"Fachkompetenz für Ministerposten nicht entscheidend"
Nach Ansicht von Manfred Görtemaker, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam, ist bei der Besetzung von Ministerämtern in erster Linie nicht die Fachkompetenz entscheidend, sondern die Fähigkeit, Grundlinien festzulegen und Entscheidungen politisch vorzubereiten. Der für das Amt des Außenministers nominierte Frank Walter Steinmeier sei daher eine gute Wahl, sagte Görtemaker.
Balzer: Und im Studio begrüße ich Professor Manfred Görtemaker, er ist Professor für Neuere Geschichte an der Uni Potsdam und Verfasser eines Standardwerks zur Geschichte der Bundesrepublik. Schönen guten Morgen!
Görtemaker: Schönen guten Morgen!
Balzer: Herr Görtemaker, wie man Tischler wird oder Pilot, das ist klar, man macht eine richtige Ausbildung. Aber wie wird man Minister?
Görtemaker: Nun, dafür gibt es natürlich kein Rezept. Es ist eigentlich schon durchaus hilfreich, einerseits von der Sache etwas zu verstehen, andererseits aber auch über die nötigen politischen Verbindungen zu verfügen. Das ist unerlässlich. Das wichtigste allerdings sind in der Tat Managementqualitäten, denn es kommt nicht so sehr darauf an, dass man in der Sache selber alles weiß, dafür hat man die Ministerialbürokratie. Aber man muss in der Lage sein, nicht nur innerhalb des eigenen Ressorts, sondern auch im Kabinett das Gesamte zu händeln, zu managen, zu organisieren. Und dafür braucht man eben doch viel Erfahrung.
Balzer: Wie muss denn dieses Verhältnis sein zwischen, sagen wir mal, einen gewissen Maß an Fachkompetenz und Managementqualitäten?
Görtemaker: Nun, wenn Sie sich die jetzige Regierung anschauen, das ist nicht beliebig würfelbar. Wir können einfach ein Beispiel nehmen, Herr Steinmeier hat natürlich aus dem Kanzleramt schon in den vergangenen Jahren sehr viel Außenpolitik gemacht. Er ist ein sehr erfahrener Mensch. Viele haben sogar beklagt, dass das Auswärtige Amt in den letzten drei Jahren zu wenig politisch entschieden habe, und dafür zu viele Entscheidungen im Kanzleramt konzentriert worden sind, also gerade bei Herrn Steinmeier. Er verfügt außerdem über große Managementqualitäten. Also da ist schon sehr viel Erfahrung da.
Balzer: Gut, aber bleiben wir mal bei der Personalie, Frank Walter Steinmeier, der bisherige Kanzleramtschef, ein Mann trotzdem in der zweiten Reihe, der plötzlich Deutschland in der Welt vertreten soll.
Görtemaker: Ja, das ist richtig. Es kommt allerdings vor allen Dingen darauf an, das Auswärtige Amt wieder in den Griff zu bekommen. Es gibt ja im Amt große Schwierigkeiten, wie Sie sicherlich wissen. Das ist in den vergangenen Jahren nicht sehr gut gelaufen, und ich glaube, das Herr Steinmeier das sehr gut kann. Das zweite ist natürlich, die politische Grundorientierung vernünftig neu zu ordnen. Und das wird natürlich im Einvernehmen im Kabinett geschehen, hier ist vor allen Dingen die Bundeskanzlerin dann gefragt, und Herr Steinmeier wird in engem Zusammenwirken mit ihr dann die Außenpolitik bestimmen. Dass er natürlich nicht dieses Renommee für diesen Posten hat, ist klar. Aber wer kannte vorher Herrn Fischer? Herrn Fischer als Außenminister konnte sich eigentlich auch niemand vorstellen. Er hatte nie etwas mit Außenpolitik zu tun gehabt, und heute kann man sich einen anderen Außenminister als Herrn Fischer kaum vorstellen. Hans-Dietrich Genscher vorher, der ewig Außenminister war, war sozusagen der Paradeaußenminister, aber vorher war er nur als Innenminister in Erscheinung getreten. Also, wir haben solche Beispiele zu hauf, wo dann Personen aus der zweiten Reihe oder aus einem anderen Ressort überwechseln, und dann sich in diese Materie so gut einarbeiten, dass sie dann nachher fast als unverzichtbar gelten.
Balzer: Wie lange dürfen sie denn Zeit haben, um sich einzuarbeiten?
Görtemaker: Das geht in der Regel sehr rasch. Sie dürfen aber wie gesagt nicht vergessen, dass es eine sehr, sehr große Ministerialbürokratie gibt, die alle wesentlichen Entscheidungen vorbereitet. Die Aufgabe des Ministers besteht nicht so sehr darin, Entscheidungen zu exekutieren, sondern darin sie politisch vorzubereiten. Und die Ministerialbürokratie ist dann eigentlich gefragt das Ganze in die Details umzusetzen.
Balzer: Was heißt das genau politisch vorzubereiten?
Görtemaker: … die Außenpolitik ist ein gutes Beispiel. Wir könnten das aber genauso gut am Bereich des Arbeitsmarktes darstellen, wo Herr Müntefering jetzt Verantwortung übernehmen wird. Es kommt darauf an, die Grundlinien einer Politik festzulegen, also politisch zu entscheiden, in welche Richtung das Land gehen soll, arbeitsmarktpolitisch oder eben auch außenpolitisch.
Balzer: Da geht es auch um Grundüberzeugungen?
Görtemaker: Da geht es um Grundüberzeugungen. Die Frage ist zum Beispiel, wie ordnen wir unser Verhältnis zum Westen neu, zu den Vereinigten Staaten, zu Großbritannien, wie soll unser Verhältnis zu Russland aussehen, zu Frankreich, zur Türkei? Das sind ganz wichtige und sehr kontroverse Fragen. Und die wird nicht Herr Steinmeier alleine entscheiden können, sondern da geht es natürlich darum, das im Kabinett zu diskutieren, und da wird Frau Merkel natürlich in erster Linie die Grundlinien der Politik bestimmen.
Balzer: Nicht alleine entscheiden, das heißt wie viel Menschen gibt es denn um einen Minister herum, die tatsächlich auf ihn einwirken können?
Görtemaker: Nun, wir haben zunächst einmal das Ressort-Prinzip, das heißt also der Minister ist für sein Ressort verantwortlich. Er hat also eine gewisse Eigenverantwortlichkeit in seinem Arbeitsbereich. Die Ministerialbürokratie selbst ist sehr umfangreich, allerdings in der Spitze konzentriert sich das wiederum auf etwas acht bis zehn Personen, die ihm dann direkt zuarbeiten, und mehr ginge auch gar nicht. Und das ist aber nur der eine Bereich, dieser Arbeitsbereich, der zweite Bereich ist tatsächlich die Frage, wie soll das politisch entschieden werden. Und die Ministerialbürokratie tut nur das, was man ihr politisch vorgibt, insofern ist die Festlegung der Grundorientierung der Politik, die allerwichtigste Entscheidung, die allerwichtigste Vorabentscheidung überhaupt. Und danach kann man dann die Politik im einzelnen ausrichten.
Balzer: Also, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Görtemaker, dann heißt das, tatsächliche Fachkompetenz ist in dem Sinne gar nicht für die einzelne Person als Minister wichtig, aber genau das ist es doch was die meisten Wähler eigentlich erwarten, oder?
Görtemaker: Ich glaube, dass die Wähler sich hier irren, wenn sie glauben dass das heute oder in der Vergangenheit jemals das entscheidende Kriterium für eine solche Besetzung war, natürlich gibt es gewisse Affinitäten, also dass beispielsweise Herr Müntefering nicht Außenminister wird, ist sicherlich kein Zufall. Er hat sein Interesse in diesem Bereich Arbeiten und Soziales, da gibt es gewisse Prioritäten, aber letztlich entscheidend ist natürlich, dass diese Grundlinien der Politik woanders festgelegt werden. Und das war in der Vergangenheit ganz genau so, es hat in der Geschichte eigentlich nie eine ganz klare Zuordnung gegeben, dann bräuchte man ein anderes Wahlrecht, wenn wir ein Mehrheitswahlrecht hätten in Deutschland, dann gäbe es ein Schattenkabinett und dann würden sich in der Opposition Politiker langfristig auf eine bestimmte Aufgabe vorbereiten. Wir haben aber ein repräsentatives Wahlsystem und das bedeutet eben, dass wir zu Koalitionsbildungen gezwungen sind, und das führt immer dazu, das so etwas gewürfelt wird, wie man nach außen hin den Anschein hat, aber das ist in Wirklicht gar nicht der Fall, sondern es gibt durchaus eine begrenzte Personaldecke für die zu vergebenden Ressorts und die werden dann durchaus nach Interesse besetzt.
Balzer: Sie haben die Vergangenheit angesprochen, wie war das denn zum Beispiel, da wir jetzt ja auch vor einer großen Koalition stehen, in der großen Koalition Ende der 60er? Gab es da Kompetenzminister?
Görtemaker: Ja, die gab es durchaus, die gibt es übrigens auch heute! Also, wenn Sie an Peer Steinbrück denken, der hat natürlich als Finanzminister große Erfahrung in Nordrhein-Westfalen und er war ja schon von Herrn Eichel selbst vorgeschlagen worden als Bundesfinanzminister vor einigen Jahren. Also, da gibt es durchaus auch heute Kompetenzminister, um Ihre Bezeichnung aufzugreifen. Und das war 1966 natürlich genauso, es gab bestimmte Personen, die waren für diese große Koalition einfach gesetzt. Das hing damit zusammen, dass Herbert Wehner und einige aus der Union mehrere Jahre lang diese große Koalition eigentlich vorbereitet haben, so dass sich in der Opposition SPD-Politiker wie zum Beispiel Karl Schiller als Wirtschaftsminister langfristig auf dieses Amt vorbereitet haben.
Balzer: Das ist heute jetzt nicht mehr so.
Görtemaker: Das ist heute nicht so. Sie dürfen nicht vergessen, diese Regierungsbildung kommt sehr überraschend, die Wahl kommt im Grunde ein Jahr zu früh, wenn man so will. Das heißt also, die Politiker waren darauf eigentlich so nicht vorbereitet, und mussten dann gewissermaßen aus dem Stand diese Regierungsbildung vorantreiben. Das war 1966 ein bisschen anders, weil gerade in der SPD damals diese längerfristige Vorbereitungsphase da gewesen war. Und das hat es natürlich damals erleichtert.
Balzer: Also, ist es einfach altmodisch oder rückwärtsgewandt Fachminister zu erwarten, also man hat eigentlich den Eindruck, dass viele Leute schon auch von Ministern oder von Personen in der Politik einfach eine gewisse Glaubwürdigkeit erwarten, wenn zum Beispiel jemand Ministerpräsident von Niedersachsen war, abgewählt wurde, dann aus welchen Gründen auch immer Pop-Beauftragter war, Siegmar Gabriel, und jetzt plötzlich Umweltminister werden soll. Wenn man diese politische Biographie zum Beispiel mal verfolgt als Wähler, hat man da nicht ein Problem?
Görtemaker: Ja, aber das ist in der Vergangenheit genauso gewesen. Das, was mich daran erstaunt, ist nur, dass die Wähler beziehungsweise auch die Öffentlichkeit immer wieder neu überrascht ist, dass es in der Demokratie so ist, dass Menschen sich in neue Aufgabenbereiche neu einarbeiten müssen. Wenn Sie sich die Geschichte der Bundesrepublik ansehen, war das immer so. Wir haben nie den Fall gehabt, dass es ausgesprochene Fachleute für einen bestimmten Bereich gab, und die dann eben Minister wurden. Das heißt also, es ist eine gewisse Affinität zu bestimmten Bereichen da, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Wirtschaft, Soziales, Arbeitsmarkt, und diese Affinitäten werden in der Regel auch bedient. Aber das sind mehr oder minder große Bereiche, und wie dann im einzelnen das zugeschnitten wird, das hängt dann eben tatsächlich von den jeweiligen Gegebenheiten ab, und die können eben tatsächlich mal in die eine mal in die andere Richtung ausschlagen. Insofern ist das, was wir heute erleben, überhaupt nichts Neues und keine Überraschung, sondern etwas ganz normales in einer repräsentativen Demokratie.
Balzer: Manfred Görtemaker, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und Verfasser einer Geschichte der Bundesrepublik über das Personal der Republik. Herzlichen Dank!
Görtemaker: Schönen guten Morgen!
Balzer: Herr Görtemaker, wie man Tischler wird oder Pilot, das ist klar, man macht eine richtige Ausbildung. Aber wie wird man Minister?
Görtemaker: Nun, dafür gibt es natürlich kein Rezept. Es ist eigentlich schon durchaus hilfreich, einerseits von der Sache etwas zu verstehen, andererseits aber auch über die nötigen politischen Verbindungen zu verfügen. Das ist unerlässlich. Das wichtigste allerdings sind in der Tat Managementqualitäten, denn es kommt nicht so sehr darauf an, dass man in der Sache selber alles weiß, dafür hat man die Ministerialbürokratie. Aber man muss in der Lage sein, nicht nur innerhalb des eigenen Ressorts, sondern auch im Kabinett das Gesamte zu händeln, zu managen, zu organisieren. Und dafür braucht man eben doch viel Erfahrung.
Balzer: Wie muss denn dieses Verhältnis sein zwischen, sagen wir mal, einen gewissen Maß an Fachkompetenz und Managementqualitäten?
Görtemaker: Nun, wenn Sie sich die jetzige Regierung anschauen, das ist nicht beliebig würfelbar. Wir können einfach ein Beispiel nehmen, Herr Steinmeier hat natürlich aus dem Kanzleramt schon in den vergangenen Jahren sehr viel Außenpolitik gemacht. Er ist ein sehr erfahrener Mensch. Viele haben sogar beklagt, dass das Auswärtige Amt in den letzten drei Jahren zu wenig politisch entschieden habe, und dafür zu viele Entscheidungen im Kanzleramt konzentriert worden sind, also gerade bei Herrn Steinmeier. Er verfügt außerdem über große Managementqualitäten. Also da ist schon sehr viel Erfahrung da.
Balzer: Gut, aber bleiben wir mal bei der Personalie, Frank Walter Steinmeier, der bisherige Kanzleramtschef, ein Mann trotzdem in der zweiten Reihe, der plötzlich Deutschland in der Welt vertreten soll.
Görtemaker: Ja, das ist richtig. Es kommt allerdings vor allen Dingen darauf an, das Auswärtige Amt wieder in den Griff zu bekommen. Es gibt ja im Amt große Schwierigkeiten, wie Sie sicherlich wissen. Das ist in den vergangenen Jahren nicht sehr gut gelaufen, und ich glaube, das Herr Steinmeier das sehr gut kann. Das zweite ist natürlich, die politische Grundorientierung vernünftig neu zu ordnen. Und das wird natürlich im Einvernehmen im Kabinett geschehen, hier ist vor allen Dingen die Bundeskanzlerin dann gefragt, und Herr Steinmeier wird in engem Zusammenwirken mit ihr dann die Außenpolitik bestimmen. Dass er natürlich nicht dieses Renommee für diesen Posten hat, ist klar. Aber wer kannte vorher Herrn Fischer? Herrn Fischer als Außenminister konnte sich eigentlich auch niemand vorstellen. Er hatte nie etwas mit Außenpolitik zu tun gehabt, und heute kann man sich einen anderen Außenminister als Herrn Fischer kaum vorstellen. Hans-Dietrich Genscher vorher, der ewig Außenminister war, war sozusagen der Paradeaußenminister, aber vorher war er nur als Innenminister in Erscheinung getreten. Also, wir haben solche Beispiele zu hauf, wo dann Personen aus der zweiten Reihe oder aus einem anderen Ressort überwechseln, und dann sich in diese Materie so gut einarbeiten, dass sie dann nachher fast als unverzichtbar gelten.
Balzer: Wie lange dürfen sie denn Zeit haben, um sich einzuarbeiten?
Görtemaker: Das geht in der Regel sehr rasch. Sie dürfen aber wie gesagt nicht vergessen, dass es eine sehr, sehr große Ministerialbürokratie gibt, die alle wesentlichen Entscheidungen vorbereitet. Die Aufgabe des Ministers besteht nicht so sehr darin, Entscheidungen zu exekutieren, sondern darin sie politisch vorzubereiten. Und die Ministerialbürokratie ist dann eigentlich gefragt das Ganze in die Details umzusetzen.
Balzer: Was heißt das genau politisch vorzubereiten?
Görtemaker: … die Außenpolitik ist ein gutes Beispiel. Wir könnten das aber genauso gut am Bereich des Arbeitsmarktes darstellen, wo Herr Müntefering jetzt Verantwortung übernehmen wird. Es kommt darauf an, die Grundlinien einer Politik festzulegen, also politisch zu entscheiden, in welche Richtung das Land gehen soll, arbeitsmarktpolitisch oder eben auch außenpolitisch.
Balzer: Da geht es auch um Grundüberzeugungen?
Görtemaker: Da geht es um Grundüberzeugungen. Die Frage ist zum Beispiel, wie ordnen wir unser Verhältnis zum Westen neu, zu den Vereinigten Staaten, zu Großbritannien, wie soll unser Verhältnis zu Russland aussehen, zu Frankreich, zur Türkei? Das sind ganz wichtige und sehr kontroverse Fragen. Und die wird nicht Herr Steinmeier alleine entscheiden können, sondern da geht es natürlich darum, das im Kabinett zu diskutieren, und da wird Frau Merkel natürlich in erster Linie die Grundlinien der Politik bestimmen.
Balzer: Nicht alleine entscheiden, das heißt wie viel Menschen gibt es denn um einen Minister herum, die tatsächlich auf ihn einwirken können?
Görtemaker: Nun, wir haben zunächst einmal das Ressort-Prinzip, das heißt also der Minister ist für sein Ressort verantwortlich. Er hat also eine gewisse Eigenverantwortlichkeit in seinem Arbeitsbereich. Die Ministerialbürokratie selbst ist sehr umfangreich, allerdings in der Spitze konzentriert sich das wiederum auf etwas acht bis zehn Personen, die ihm dann direkt zuarbeiten, und mehr ginge auch gar nicht. Und das ist aber nur der eine Bereich, dieser Arbeitsbereich, der zweite Bereich ist tatsächlich die Frage, wie soll das politisch entschieden werden. Und die Ministerialbürokratie tut nur das, was man ihr politisch vorgibt, insofern ist die Festlegung der Grundorientierung der Politik, die allerwichtigste Entscheidung, die allerwichtigste Vorabentscheidung überhaupt. Und danach kann man dann die Politik im einzelnen ausrichten.
Balzer: Also, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Görtemaker, dann heißt das, tatsächliche Fachkompetenz ist in dem Sinne gar nicht für die einzelne Person als Minister wichtig, aber genau das ist es doch was die meisten Wähler eigentlich erwarten, oder?
Görtemaker: Ich glaube, dass die Wähler sich hier irren, wenn sie glauben dass das heute oder in der Vergangenheit jemals das entscheidende Kriterium für eine solche Besetzung war, natürlich gibt es gewisse Affinitäten, also dass beispielsweise Herr Müntefering nicht Außenminister wird, ist sicherlich kein Zufall. Er hat sein Interesse in diesem Bereich Arbeiten und Soziales, da gibt es gewisse Prioritäten, aber letztlich entscheidend ist natürlich, dass diese Grundlinien der Politik woanders festgelegt werden. Und das war in der Vergangenheit ganz genau so, es hat in der Geschichte eigentlich nie eine ganz klare Zuordnung gegeben, dann bräuchte man ein anderes Wahlrecht, wenn wir ein Mehrheitswahlrecht hätten in Deutschland, dann gäbe es ein Schattenkabinett und dann würden sich in der Opposition Politiker langfristig auf eine bestimmte Aufgabe vorbereiten. Wir haben aber ein repräsentatives Wahlsystem und das bedeutet eben, dass wir zu Koalitionsbildungen gezwungen sind, und das führt immer dazu, das so etwas gewürfelt wird, wie man nach außen hin den Anschein hat, aber das ist in Wirklicht gar nicht der Fall, sondern es gibt durchaus eine begrenzte Personaldecke für die zu vergebenden Ressorts und die werden dann durchaus nach Interesse besetzt.
Balzer: Sie haben die Vergangenheit angesprochen, wie war das denn zum Beispiel, da wir jetzt ja auch vor einer großen Koalition stehen, in der großen Koalition Ende der 60er? Gab es da Kompetenzminister?
Görtemaker: Ja, die gab es durchaus, die gibt es übrigens auch heute! Also, wenn Sie an Peer Steinbrück denken, der hat natürlich als Finanzminister große Erfahrung in Nordrhein-Westfalen und er war ja schon von Herrn Eichel selbst vorgeschlagen worden als Bundesfinanzminister vor einigen Jahren. Also, da gibt es durchaus auch heute Kompetenzminister, um Ihre Bezeichnung aufzugreifen. Und das war 1966 natürlich genauso, es gab bestimmte Personen, die waren für diese große Koalition einfach gesetzt. Das hing damit zusammen, dass Herbert Wehner und einige aus der Union mehrere Jahre lang diese große Koalition eigentlich vorbereitet haben, so dass sich in der Opposition SPD-Politiker wie zum Beispiel Karl Schiller als Wirtschaftsminister langfristig auf dieses Amt vorbereitet haben.
Balzer: Das ist heute jetzt nicht mehr so.
Görtemaker: Das ist heute nicht so. Sie dürfen nicht vergessen, diese Regierungsbildung kommt sehr überraschend, die Wahl kommt im Grunde ein Jahr zu früh, wenn man so will. Das heißt also, die Politiker waren darauf eigentlich so nicht vorbereitet, und mussten dann gewissermaßen aus dem Stand diese Regierungsbildung vorantreiben. Das war 1966 ein bisschen anders, weil gerade in der SPD damals diese längerfristige Vorbereitungsphase da gewesen war. Und das hat es natürlich damals erleichtert.
Balzer: Also, ist es einfach altmodisch oder rückwärtsgewandt Fachminister zu erwarten, also man hat eigentlich den Eindruck, dass viele Leute schon auch von Ministern oder von Personen in der Politik einfach eine gewisse Glaubwürdigkeit erwarten, wenn zum Beispiel jemand Ministerpräsident von Niedersachsen war, abgewählt wurde, dann aus welchen Gründen auch immer Pop-Beauftragter war, Siegmar Gabriel, und jetzt plötzlich Umweltminister werden soll. Wenn man diese politische Biographie zum Beispiel mal verfolgt als Wähler, hat man da nicht ein Problem?
Görtemaker: Ja, aber das ist in der Vergangenheit genauso gewesen. Das, was mich daran erstaunt, ist nur, dass die Wähler beziehungsweise auch die Öffentlichkeit immer wieder neu überrascht ist, dass es in der Demokratie so ist, dass Menschen sich in neue Aufgabenbereiche neu einarbeiten müssen. Wenn Sie sich die Geschichte der Bundesrepublik ansehen, war das immer so. Wir haben nie den Fall gehabt, dass es ausgesprochene Fachleute für einen bestimmten Bereich gab, und die dann eben Minister wurden. Das heißt also, es ist eine gewisse Affinität zu bestimmten Bereichen da, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Wirtschaft, Soziales, Arbeitsmarkt, und diese Affinitäten werden in der Regel auch bedient. Aber das sind mehr oder minder große Bereiche, und wie dann im einzelnen das zugeschnitten wird, das hängt dann eben tatsächlich von den jeweiligen Gegebenheiten ab, und die können eben tatsächlich mal in die eine mal in die andere Richtung ausschlagen. Insofern ist das, was wir heute erleben, überhaupt nichts Neues und keine Überraschung, sondern etwas ganz normales in einer repräsentativen Demokratie.
Balzer: Manfred Görtemaker, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und Verfasser einer Geschichte der Bundesrepublik über das Personal der Republik. Herzlichen Dank!