Schornsteinfegerin in Brandenburg

Keine Angst vor hohen Dächern und schmutzigen Händen

07:29 Minuten
Es muss nicht immer der schwarze Zylinder sein: Schornsteinfegerin Marisa Schiffer bei der Arbeit.
Es muss nicht immer der schwarze Zylinder sein: Schornsteinfegerin Marisa Schiffer bei der Arbeit. © Deutschlandradio / Christoph Richter
Von Christoph Richter |
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In den Köpfen sind viele Handwerksberufe immer noch mit Männern verbunden, in der Realität sind die Frauen längst in den Branchen angekommen. Marisa Schiffer ist Schornsteinfegerin – in Brandenburg noch immer eine Seltenheit.
"Die Leute sind immer verwundert", sagt Marisa Schiffer. "Am Anfang dachten die immer, dass ich die Sekretärin bin. Mittlerweile haben sie alle mitbekommen, dass ich die Gesellin bin, die die Arbeiten macht. Entweder auf dem Dach oder im Keller an der Heizung. Von daher ist die Freude groß, wenn ich vorbeikomme."
Marisa Schiffer ist Schornsteinfegerin. Im letzten Sommer hat sie ihre Gesellinnenprüfung gemacht. Damit bildet die 23-Jährige eine Ausnahme. Noch immer sind nach Angaben der Innung bundesweit nur etwa zehn Prozent aller Schornsteinfeger, weiblich. Insgesamt 2100.
„Es gibt unten in Bayern, Baden-Württemberg schon unheimlich viele Schornsteinfegerinnen. Hier in Brandenburg ist es eine Seltenheit. Wird mittlerweile immer mehr. Ist ein vielfältiger Beruf. Man hat die Büroarbeit, man sitzt beim Kunden. Man muss körperlich aktiv sein: Das macht den Beruf so besonders.“

Abgase prüfen, Leben schützen

Jetzt steigt Marisa Schiffer im brandenburgischen Senftenberg – das liegt etwa 70 Kilometer nördlich von Dresden – den Menschen aufs Dach. Mal in der typischen Zunftkleidung – mit Zylinder, schwarzem Sakko und goldenen Knöpfen – und ihrem klassischen Arbeitsgerät – Kehrleine, Eisenkugel und Besen–, mal aber nur in schwarzen Jeans und schwarzem T-Shirt.
Und einem Messgerät in der Hand. Das benötigt sie, wenn sie Gasheizungen überprüft. Sie kontrolliert damit, ob nicht zu viele Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Verstopfte Abgasleitungen kann sie auch entdecken, dazu verwendet sie eine kleine Mini-Kamera, erzählt sie.
Heute ist Marisa Schiffer in einem Senftenberger Plattenbaugebiet unterwegs. „Wir kommen jedes Jahr einmal her. Es muss sichergestellt sein, dass der Kohlenmonoxidwert im Abgas so gering ist, dass keine lebensbedrohlichen Schäden entstehen.“

Beruf mit Aussicht

Der Tariflohn für Berufsanfängerinnen: monatlich brutto 2500 Euro. Aber Geld sei nicht alles, sagt die 23-Jährige. Das Tollste am Beruf: Wenn es aufs Dach geht, erzählt sie. Der Blick über die Lausitzer Weite – über Felder, Wälder und Dächer – sei einmalig. Gefährlich? Nö, sagt Marisa Schiffer.
„Man muss jedes Mal aufs Dach gehen, als wäre es das erste Mal, hat mein Lehrgeselle mal gesagt. Also gucken: Wie sind die Sicherheitseinrichtungen befestigt? Wo kann ich mich festhalten? Wo kann ich sicher stehen? Von daher muss man immer gut aufpassen. Ansonsten kann nichts schiefgehen.“

Auf dem Bau liegt der Frauenanteil bei drei Prozent – so niedrig wie in keiner anderen Branche. Woran liegt das? Ein Gespräch mit Marlen Schlosser , Geschäftsführerin der Schlosser Holzbau GmbH, die sich mehr Frauen im Betrieb wünscht und auch dafür wirbt. Denn davon profitieren ihr zufolge auch die Männer.

Und immer, wenn sie oben auf dem Dach unterwegs ist, nehme sie sich für einen Moment die Zeit, um die Aussicht zu genießen. Nur Höhenangst sollte man keine haben, schiebt Schiffer noch hinterher und lacht.
„Ist was anderes, als wenn man als Kind auf den Baum klettert. Aber die Aussicht haut einen schon um. Man konzentriert sich nicht auf die Höhe, man guckt nicht nach unten, sondern eher in die Ferne. Von daher ist es ein schönes Gefühl, da oben zu stehen.“
Eigentlich wollte sie Polizistin werden, erzählt sie. Aber nach einem Besuch einer Jobmesse war ihr schnell klar, dass sie das nicht machen will. Sondern lieber hoch hinaus will.

Frauen wird weniger zugetraut

Noch immer wundern sich Kunden, wenn statt eines Schornsteinfegers, eine Schornsteinfegerin vorbeikommt. Für ihren Meister dagegen – den 44-Jährigen Mike Preußmann– ist das völlig normal. Er hat seine Gesellin über persönliche Kontakte kennengelernt und ihr sofort die Stelle zugesagt, als er hörte, dass sie nach der Ausbildung einen Job sucht. "Sie macht nichts anderes als die männlichen Kollegen", sagt er. "Und das macht sie gut.“
Heute ist Schornsteinfegermeister Mike Preußmann zusammen mit seiner Gesellin Marisa unterwegs. In einer der Wohnungen, in die sie heute rein müssen, wohnt Wasserwirtschaftsingenieur Karl Friedrich Jung. Er wartet schon auf die Schornsteinfegerin. Für ihn ist es absolut nichts Ungewöhnliches, sagt er, dass auch Frauen diesen Job machen.
„Ich denke, dass viele Branchen historisch gewachsen sind. Dann hat man das eben immer schon so gemacht. 'Das ist ein typischer Männerberuf, das ist viel zu anstrengend' – da wird Frauen weniger zugetraut, als sie dann tatsächlich leisten.“

Fachkräftemangel und Gender-Pay-Gap

Laut dem Fachkräftemonitor der Industrie- und Handelskammer Brandenburg fehlen dem Land bis 2030 etwa 50.000 qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gerade Ostdeutschland habe unter einem massiven Fachkräftemangel zu leiden, sagte kürzlich auch Joachim Ragnitz vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München.
Ein Problem sei auch der sogenannte Gender-Pay-Gap in Deutschland. Das heißt: Frauen – auch im Handwerk – verdienen weniger als Männer. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Laut Statistischem Bundesamt haben im 2021 die Männer im Durchschnitt 18 Prozent mehr verdient als Frauen.
Um das Handwerk generell zu stärken, müsse man schon in den Schulen ein größeres Augenmerk auf die berufliche Ausbildung legen, sagte kürzlich auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, SPD. Es sei ein Fehler, das Abitur als den einzig wahren Schulabschluss zu verkaufen. Da brauche es dringend eine Trendwende.
„Dieses klassische Bild: Wer in die Ausbildung geht, hat morgen komplett schmutzige Finger – ich beziehe das mal auf die jungen Frauen – und gleich sind die Fingernägel abgebrochen, deswegen setze ich mich mit dem Beruf erst gar nicht auseinander", sagt Steinbach. "Das sind Dinge, wo wir falsche Bilder in die Welt gesetzt haben, die wir korrigieren müssen."
Schornsteinfegerin Marisa Schiffer ist es egal, ob sie mit sauberen oder dreckigen Fingern nach Hause kommt. Den Ruß könne man abwaschen, sagt sie lächelnd. Und bereut keinen einzigen Moment, Schornsteinfegerin zu sein.
„Ich fange jetzt meine Meisterschule an. Werde hoffentlich noch lange Geselle bleiben dürfen. Und dann – wenn sich die Möglichkeit anbietet – mal einen Kehrbezirk übernehmen.“

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