"So funktioniert das nicht in einer Demokratie"
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In Frankreich hat die Regierung eine Liste mit vertrauenswürdigen Medien veröffentlicht, ohne das mit irgendwem abzusprechen. Der Aufschrei ist groß – auch bei denen, die auf dieser Liste gelandet sind.
Dass das Coronavirus zu einer Anhäufung von Verschwörungsmythen, vor allem aus der rechten Ecke, führt, haben wir bereits in einer vergangenen Sendung behandelt. Doch es gibt Initiativen, die diesen Trend bekämpfen wollen. In Frankreich ist dies sogar auf Regierungsebene geschehen – und krachend gescheitert.
Eine Liste vertrauenswürdiger Medien
Es ist eigentlich nichts, worüber man sich aufregen müsste: Eine unscheinbare Internetseite, links oben ganz klein das Logo der französischen Republik in Blau-Weiß-Rot. Unter der Überschrift "désinfox Coronavirus" eine Liste von Links zu Artikeln französischer Medien. Die Seite verlinkt auf Fact-Checking-Artikel großer französischer Medien, Artikel, in denen versucht wird, Fake News über die Corona-Krise zu entkräften.
So unsexy gestaltet und wenig beworben wäre die Seite vielleicht gar niemandem aufgefallen, hätte Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye sie nicht auf Twitter erwähnt. Xavier Antoyé, Chefredakteur der Tageszeitung "Le Progrès" in Lyon, nennt das Thema ein "Micro-Sujet", kaum der Rede wert angesichts einer Gesundheitskrise mit Tausenden Toten. Und dennoch, findet Antoyé, sei es wichtig gewesen, dass sich die französischen Medien kurz, aber heftig über die Webseite beschwerten.
"Das Problem in diesem speziellen Fall der Seite Désinfox ist, dass einige Informationen vom Staat eine Art Gütesiegel erhalten und damit aufgewertet werden. Ist es die Rolle des Staates zu entscheiden, was wahr ist und was unwahr? Ich glaube nicht."
Niemand wurde gefragt
Die Regierung wählte aus, welche Medien verlinkt wurden. Nicht dabei waren zahlreiche Regionalzeitungen, auch nicht "Le Progrès". Aber selbst von den auserwählten Redaktionen hagelte es Kritik. Redakteure der großen Zeitungen von "Libération" bis "Le Figaro", von öffentlich-rechtlichen Sendern bis zu privaten Fernsehstationen unterzeichneten einen offenen Brief in der Zeitung "Le Monde".
Die nationale Journalistenvereinigung SNJ schickte ihre Anwälte gegen die Webseite los.
Nicolas Hubé, Medienwissenschaftler an der Université de Lorraine: "Die Hauptkritik ist, dass die Regierung diese Webseite aufgebaut hat, ohne irgendjemanden zu informieren, ohne Le Monde oder die AFP nachzufragen, ob sie damit einverstanden sind. Die werden dann instrumentalisiert."
Den "Lügenpresse"-Vorwurf gibt es auch in Frankreich
Die etablierten Medien haben auch in Frankreich derzeit ein Glaubwürdigkeitsproblem. So ein Gütesiegel der Regierung, das kann die Medien schnell als Komplizen der Mächtigen dastehen lassen – der aus Deutschland bekannte "Lügenpresse"-Vorwurf.
Nach der Kritik hat Kulturminister Franck Riester die Webseite vom Netz genommen. Dennoch erkennen Medienwissenschaftler Hubé und "Le Progrès"-Chefredakteur Antoyé an: Die Regierung habe mit "Désinfox" keine unehrenhafte Absicht verfolgt. Hätte sie vielleicht gemeinsam mit den Medien eine Anti-Fake-News-Kampagne starten können?
"Ich glaube, zuerst hätte man fragen können, wer da teilnehmen will", mein Hubé. Oder man hätte die AFP als Nachrichtenagentur fragen können, ob sie das tun möchten."
"Wir nennen diesen Kampf 'Eine Zeitung herausgeben'"
Hubé spricht von so einer Kooperation nur ganz vorsichtig im Konjunktiv. Ein solcher Vorschlag hätte wohl wenig Aussicht auf Erfolg, zu schlecht sind die Beziehungen zwischen Medien und Regierung.
Chefredakteur Xavier Antoyé: "Nein! So funktioniert das nicht in einer Demokratie. Ob Regierung oder andere Institutionen, jeder soll seine Arbeit machen. Es ist Aufgabe unseres Berufsstandes, die Leute daran zu erinnern, dass wir tagtäglich gegen die Fake News kämpfen. Wir nennen diesen Kampf 'Eine Zeitung herausgeben'."
Bei Le Progrès gibt es ebenfalls eine Kategorie namens "Désinfox", die Fake News entlarven soll. Findet sich da etwa die einzig gültige Wahrheit? Fake News verortet der Chefredakteur in den Sozialen Medien, nicht in den Artikeln der Journalisten. Dennoch, Journalismus, sagt Antoyé, sei nur der Versuch, sich der Wahrheit anzunähern. Gerade beim Thema Coronavirus kann das heute Gesagte morgen schon wieder ganz anders bewertet werden.