Fahrrad-Gesetz in NRW

Schafft NRW die Verkehrswende?

07:52 Minuten
Ein Radfahrer wird auf einer engen Straße von einem schweren Betonmischer überholt.
Mehr Sicherheit beim Radfahren: Das verspricht das neue Fahrrad-Gesetz in Nordrhein-Westfalen. © imago / Gottfried Czepluch
Von Vivien Leue |
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Auf Druck der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein landesweites Fahrrad-Gesetz verabschiedet. Kritiker befürchten allerdings, dass die Verkehrswende weiter auf sich warten lässt.
Am 4. November 2021 verabschiedet der Landtag Nordrhein-Westfalen das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz, als erstes Flächenland in Deutschland. „Radfahren hat jetzt Gesetzesrang. Das gibt dem Ganzen natürlich eine Ernsthaftigkeit“, meint Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU). Sie hat den Gesetzesentwurf von Amtsvorgänger Hendrik Wüst übernommen.
„Ich glaube tatsächlich, dass, wenn man die Menschen dazu bringen möchte, dass sie ihr Mobilitätsverhalten verändern – und das ist ja das, worum es hier geht, dass man eben nicht mehr automatisch ins Auto steigt, sondern dass man eben das Fahrrad nimmt, kann ja inzwischen auch das E-Bike oder das Pedelec sein: Da muss man das möglichst bequem und sicher machen“, meint dazu Brandes.

Keine Zieldaten, keine konkreten Maßnahmen

Das Gesetz ist nicht auf Initiative der Politik, sondern auf Drängen einer Volksinitiative entstanden. Mehr als 200.000 Unterschriften hatte sie eingesammelt, um den Fahrradverkehr endlich voranzubringen – und damit auch einen Schritt in Richtung Verkehrswende zu gehen. Der Fahrradanteil am Gesamtverkehr sollte von aktuell knapp zehn auf 25 Prozent steigen, bis 2025, so die zentrale Forderung.
Die 25 Prozent stehen als Zielgröße nun auch im Gesetz. Ein Zieldatum gibt es aber nicht, bemängelt die Vorsitzende des ADFC in Nordrhein-Westfalen Annette Quaedvlieg. „Das ist unsere zentrale Kritik an dem Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz, dass es an der Selbstverpflichtung fehlt, wann, wie, mit wem, in welcher Verteilung diese Ziele, der 25 Prozent Radverkehrsanteil, wie das erreicht werden soll.“

Verkehrsplanung in Karlsruhe: Fahrradfreundlich, auch ohne Fahrradgesetz

Karlsruhe ist laut ADFC eine besonders fahrradfreundliche Großstadt. Ein Fahrradgesetz wie in Berlin oder Nordrhein-Westfalen gibt es in Baden-Württemberg nicht, wohl aber eine grün geprägte Landesregierung und eine konsequente Rad-Politik. 

In der Karlsruher Innenstadt fährt ein Radfahrer auf einem Fahrradstreifen.
© picture alliance / dpa / Uli Deck
Die Zeit laufe davon, ergänzt Ute Symanski vom Verein Radkomm in Köln. „Die Klimakrise ist eine ausgewachsene, und es geht ja um viel mehr als um das Fahrradfahren. Es geht darum, dass der Verkehr einen so großen Anteil an Emissionen hat, und wir müssen das herunterfahren.“
„Ich drücke es mal bewusst, hart aus. Im Moment ist erst einmal zu befürchten, dass es schöne Kosmetik ist“, bringt Quaedvlieg es auf dem Punkt.

Unfallgefahr auf Radwegen

Damit das neue Fahrrad-Gesetz für ein Flächenland wie Nordrhein-Westfalen mehr ist, muss das Fahrradfahren auch außerhalb der Städte, an Land- und Bundestraßen sicher sein.
Eine Landstraße in Mettmann, östlich von Düsseldorf: Michael Niklas vom hiesigen ADFC engagiert sich seit Jahren für den Ausbau sicherer Fahrradstrecken. „Da ist zum Beispiel ein Radweg, wenn sie jetzt in die Richtung weitergehen, ist da ein Schild: Radweg Ende. Das heißt, Sie sind hier gezwungen, auf der Straße zu fahren.“ Das bedeutet an dieser zweispurigen Landstraße: Lastwagen, Busse und Autos donnern mit rund 80 km/h ganz nah an Fahrradfahrern vorbei. „Das ist durchaus auch gefährlich.“
Niklas zeigt auf den Boden des kurzen Radweges: Er ist voll mit matschigem Herbstlaub. „Das ist wie Schmierseife.“ Auf ungepflegten Radwegen drohen Unfälle. Ein paar Meter weiter, ein ähnliches Problem: „Da gibt es so eine Engstelle, dass man da im Prinzip, 50, 60 Zentimeter noch Weg hat. Der Rest ist zugewachsen. Deswegen fahren viele, die pendeln, dann doch auf der Straße, weil die Straße gepflegt ist.“ Oder sie bleiben einfach im Auto sitzen. Denn aufs Fahrrad steigen die Menschen nur um, wenn sie auch damit sicher und schnell von A nach B kommen, ist Michael Niklas überzeugt.

Mehr Tempo für die Verkehrswende

Hilft das Fahrradgesetz hier? Verkehrsministerin Ina Brandes meint: ja. Ihr Ministerium erstellt aktuell eine Übersicht der vorhandenen – und fehlenden – Radwege. „Dass wir eben auf Nordrhein-Westfalen-Ebene das Ganze als Radfahrweg-Netz denken und nicht wie bisher, dass eine Kommune sich Gedanken macht oder ein Landkreis sich Gedanken macht und dort Infrastruktur baut, sondern dass wir über das ganze Land einmal rüber gucken und sagen: Was müssen wir denn eigentlich tun, um sicherzustellen, dass wir ein gutes Fahrradwege Netz haben über das ganze Land Nordrhein-Westfalen?“
Bisher gebe es vor allem an den Übergängen von einem Landkreis zum anderen Lücken im Radwege-Netz, weil sich der eine kümmert, der andere aber nicht.
Für mehr Sicherheit im Fahrradverkehr hat das Gesetz außerdem das Ziel „Vision Zero“ übernommen: Keine Toten mehr im Straßenverkehr. „Ein Beitrag, den wir dazu leisten, ist, dass wir die 600 Nutzfahrzeuge, die über dreieinhalb Tonnen wiegen, und die Busse, die im Besitz des Landes sind, mit einem Abbiegeassistenten ausstatten, sodass eben zukünftig die Radfahrerinnen und Radfahrer sicherer unterwegs sind.“
Das alles seien gute Ansätze, sagt Radkomm-Vorsitzende Ute Symanski. Für die dringend benötigte Verkehrswende bräuchte es aber mehr, vor allem mehr Tempo. „In der Logik, dass wir jetzt so kleine Schritte gehen und darauf hoffen, mit kleinen Verbesserungen, dass immer mehr Leute denken: Ach, ich könnte auch mal mit dem Fahrrad fahren. Im Prinzip läuft das ja so… und die Verkehrswende vollzieht sich nicht.“

Kein echtes Umdenken

Ihr fehlt ein echtes Umdenken: Das Fahrrad müsse dem Auto gleichgestellt werden. „Es gibt keine wirklichen Regelungen, die dazu führen, das bestehende Straßenfläche umverteilt wird. Es wird zwar viel geschrieben von Sanierung bestehender Radinfrastruktur, Neubau. Aber wenn das Gesetz das ernst meint, dass das Fahrrad ein gleichberechtigtes Verkehrsmittel ist, dann finde ich, ist die logische Folge, dass dem Fahrrad auch gleichberechtigt Fläche zugesprochen gehört.“
Für so einen Schritt brauche es Mut, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. „In dem Moment, wo es an die Umsetzung geht, wo Straßenraum dem Auto weggenommen wir, oder ganz stark, wenn Parkplätze eben wegfallen sollen, um eine bessere Radinfrastruktur zu ermöglichen, dann fangen genau diese Diskussion an“, meint Annette Quaedvlieg vom ADFC. „Und deshalb brauchen wir eben Politiker und Politikerinnen, die das wirklich ernsthaft wollen und dann auch den Mut haben, diese Diskussion zu führen.“

Autoverkehr soll nicht beschränkt werden

„Das sehe ich nicht so“, winkt NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes ab. „Ich weiß auch: Nordrhein-Westfalen ist ein sehr großes Bundesland mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, vor allen Dingen natürlich Stadt und Land. Aber wir haben eben auch die Unterschiede zwischen Mobilitätsbedarf bei jungen und bei älteren Menschen.“
Das Fahrradgesetz solle den Radverkehr fördern, nicht den Autoverkehr beschränken. Es seien ausreichend Ressourcen für alle da, „um eben nicht ein Gegeneinander zu haben in der Verkehrspolitik, sondern um zu sagen: Wir können für alle etwas tun und wir machen das auch“.
Ob das letztlich die 25 Prozent Fahrradanteil am Gesamtverkehr bringt – an diesem Ziel werden sich das Gesetz und die neue Ministerin messen lassen müssen.
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