Adriano Mannino ist Philosoph und Sozialunternehmer. Er forscht an der LMU München und leitet das Solon Center for Policy Innovation der Parmenides Stiftung. Zusammen mit Nikil Mukerji hat er unlängst das Buch "Covid-19: Was in der Krise zählt" veröffentlicht. Ein Artikel zur liberalen Begründbarkeit eines Fake-News-Verbots erscheint demnächst in einem Band über "Demokratie im Zeitalter der Frühdigitalisierung" (Hg. Michael Oswald & Isabelle Borucki).
Vorsätzliche Lügen müssen verboten werden
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Lassen sich "Fake News" verbieten? Oder sind sie Ausdruck der Meinungsfreiheit? Da gibt es Grauzonen, meint der Philosoph Adriano Mannino. Aber vorsätzliche Täuschungsakte gehören vor Gericht.
Was tun gegen die Fake-News-Epidemie? Im Netz kursieren Bilder deutscher Corona-Demonstrationen, die international Millionen Menschen beeindrucken und glauben machen, die Bewegung der Corona-Skeptiker sei riesig. Tatsächlich zeigen die Bilder die Züricher Street Parade.
In den USA glauben Millionen Menschen, Nancy Pelosi sei an öffentlichen Veranstaltungen betrunken gewesen. Tatsächlich wurde das entsprechende Video manipuliert, die Redegeschwindigkeit der Spitzenpolitikerin ganz simpel auf 75 Prozent reduziert.
Das ist erst der Anfang: Bald könnte es möglich sein, sogenannte "Deep Fake"-Videos so schnell zu erstellen wie Youtube-Videos. Deep Fakes zeigen Menschen lebensecht in Situationen, in denen sie nie waren – die Imitation der Stimme und der Körperbewegungen ist perfekt.
Sind dem liberalen Staat die Hände gebunden?
Im liberal-demokratischen Staat ist hier zunächst Zurückhaltung geboten. Es gilt die Meinungsäußerungsfreiheit und die regulative Idee, dass Gesetze gegenüber einem jeden Individuum rechtfertigbar sein müssen. Wollte man "Fake News" verbieten, wer würde auch bestimmen, was wahr ist und was falsch?
In der Tat kann es nicht darum gehen, falsche bzw. von jemandem für falsch gehaltene Information zu verbieten – was wahr ist und was falsch, ist höchst strittig. Wenn ich redlich eine Meinung äußere, die Sie für falsch halten, dann glaube ich, einen wertvollen Beitrag zum öffentlichen Diskurs zu leisten.
Auch wenn Sie aber Recht haben und ich komplett irre, können Sie ein Verbot meiner Meinungsäußerung mir gegenüber nicht rechtfertigen. Umgekehrt würden auch Sie nicht akzeptieren, Ihre Meinung nicht äußern zu dürfen, nur weil andere – und sei es eine Mehrheit – Ihre Meinung für falsch halten.
Fake News - gefälschte Information
Nun wäre es aber verkürzt, unter "Fake News" falsche bzw. für falsch gehaltene News-Information zu verstehen. Eine ethisch-politisch relevantere Definition bestimmt Fake News nicht als falsche, sondern primär als gefälschte Information, das heißt als Täuschungs- und Manipulationsakt. Dabei kann die Täuschung vorsätzlich erfolgen (Lüge) oder fahrlässig in Kauf genommen werden (Bullshitting).
Wie steht es um die Begründbarkeit eines Verbots entsprechend definierter Fake News? Wenn ich Sie mit News-Information täusche, dann ist mein Sprechakt nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt – ich glaube ja nicht an die Wahrheit des Gesagten und äußere daher gar keine Meinung, die ich habe.
Ich bin auch nicht bestrebt, einen wertvollen Beitrag zum öffentlichen Diskurs zu leisten, sondern verfolge strategisch meine eigene Agenda und nehme in Kauf, Sie zu schädigen, indem ich Ihnen falsche Information in den Kopf setze und Sie womöglich veranlasse, falsch zu handeln (etwa: aufgrund der Falschinformation politisch falsch zu wählen).
Täuschung ist Schädigung, Schädigung ist illegitim
Vor diesem Hintergrund ist es Ihnen durchaus möglich, mir gegenüber ein Fake-News-Verbot zu rechtfertigen: Ich schädige Sie ohne zureichenden Grund, was Sie nicht hinnehmen müssen. Denn die Freiheit des einen endet dort, wo die Schädigung des anderen beginnt, oder wo ich mir etwas herausnehme, das ich Ihnen nicht zugestehen würde.
Und sollte ich argumentieren, dass ich allen anderen die Fake-News-Manipulation durchaus zugestehe, wäre zu erwidern: Politische Fake-News-Schlachten sind diskursive Kriegsführung, und Krieg ist ein Negativsummenspiel.
Wir würden besser abrüsten, das heißt auf Fake News verzichten und versuchen, uns im Diskurs gemeinsam auf die Wahrheitssuche zu konzentrieren. Wer Fake News produziert, verursacht negative Externalitäten für all jene, die sich wahrheitsorientiert austauschen wollen. Es ist legitim, dies gesetzlich einzuschränken.
Wie bei jedem Gesetz stellen sich bei der Formulierung eines Fake-News-Verbots Fragen der Verhältnismäßigkeit. Vor Gericht wird es Grauzonen geben, in denen gelten muss: in dubio pro reo bzw. pro libertate. Diese geläufigen Schwierigkeiten ändern aber nichts an der Konklusion: Ein Verbot von Fake News, die auf Täuschungsakte zurückgehen, ist liberal begründbar.