Meinung

Staat soll sich bei Bekämpfung von Fake News raushalten

04:30 Minuten
Ein junger Mann liest auf seinem Smartphone.
Desinformation und Fake News gelten für viele als wichtige Ursache für den Aufstieg des Rechtspopulismus und die Krise der westlichen Demokratien. © imago / Agentur 54 Grad / 54° / John Garve
Ein Einwurf von Timo Rieg |
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Der Staat will im Kampf gegen Desinformation und Fake News eine zentrale Rolle übernehmen. Dieser Ansatz ist problematisch. Es ist entscheidend, dass die Gesellschaft selbst aktiv gegen Desinformation vorgeht.
"Desinformation ist mittlerweile ein weltweites Phänomen und damit eine große internationale Herausforderung, die alle betrifft. Ob absichtliche Halbwahrheiten, Desinformationskampagnen, Verschwörungstheorien oder politisch motivierte Propaganda: Die Anzahl nimmt seit Jahren zu." 
So sagt es das Bundesinnenministerium, bei dem der Kampf gegen Desinformation weit oben auf der Agenda steht. Desinformation und Verschwörungsmythen würden vor allem über die Sozialen Medien geteilt, heißt es. Dagegen müssten die Plattformbetreiber unter anderem nach dem europäischen "Digital Services Act" vorgehen. Denn es handele sich um "illegale Inhalte". 
Doch ist alles, was in der öffentlichen Diskussion derzeit so gelabelt wird, auch wirklich Desinformation? 

Meinungen sind keine Fake News

Kürzlich veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung Empfehlungen eines Bürgerrats, wie Gesellschaft und Politik mit Desinformation umgehen sollten. Eines der Beispiele für Desinformation, das dort genannt wurde, ist der Satz: "Die NATO-Erweiterung ist schuld am Ukrainekrieg". Aber ist diese Aussage tatsächlich Desinformation?
Ob und inwieweit die NATO-Osterweiterung für Russlands Aggression eine Rolle spielt, ist selbst unter Experten umstritten. Es gibt hier nicht die eine Wahrheit, die sich mit einem Faktencheck belegen ließe. Stattdessen gibt es weit divergierende Einschätzungen.
Falsch können grundsätzlich nur Tatsachenbehauptungen sein, niemals Meinungen. Denn Meinungen bewerten Tatsachen, ohne dass es dafür einen verbindlichen, quasi vom TÜV geeichten Maßstab bräuchte. Jeder kann Dinge nach Belieben bewerten, wichtig oder unwichtig, großartig oder schrecklich finden. Auch Meinungen, die die meisten für völlig verquer halten, sind keine Fake News. 

Größte Gefahr stammt von staatlicher Desinformation

Falsche Tatsachenbehauptungen müssen enttarnt und benannt werden. Dafür sollte jedoch nicht der Staat verantwortlich sein, was letztlich immer bedeuten würde: die Politik. Ich jedenfalls möchte kein "Wahrheitsministerium" bekommen. Wer wollte behaupten, Regierungsvertreter würde stets die Wahrheit sagen, also zum Beispiel alle Fragen von Journalisten immer vollständig und nur auf Tatsachen gestützt beantworten? 
Die wirkmächtigste Desinformation dürfte von Staaten selbst kommen. Als Beispiel werden gerne russische Troll-Fabriken genannt, die das Internet mit erfundenen und verfälschten Geschichten fluten. Doch wohl alle Militärs dieser Welt zählen Manipulation zu ihren Waffen. Die Lüge gehört schon immer zum Krieg, vor allem zu dessen Beginn, bei der hier doppeldeutig zu verstehenden "Kriegserklärung". 
Erinnert sei zum Beispiel an die Warnung vor Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen als Mitbegründung für den Irakkrieg 2003. Die behaupteten Bio- und Chemiewaffen gab es dort jedoch gar nicht, entsprechende Behauptungen von Geheimdiensten und Politikern waren falsch. Ob sie allerdings gelogen hatten, ob sie es tatsächlich besser wussten, ist bis heute umstritten. 

Falschmeldungen spielen im Alltag kaum eine Rolle

Im Alltag hingegen spielt Desinformation eine weit kleinere Rolle, als es die Debatte nahelegt. Ihre Verbreitung sei "sehr gering", meint der Leipziger Medienforscher Christian Hoffmann. Dem Deutschlandfunk sagte er: '"Die öffentliche Vorstellung, dass Bürgerinnen und Bürger im Netz unschuldig herumsurfend über Fake News stolpern und dadurch in die Irre geführt werden, können wir in den Daten eigentlich überhaupt nicht feststellen." 
Wo doch Falschinformationen verbreitet werden, finden sich gerade in den Sozialen Medien meist sehr schnell Korrekturen. Sie stammen nicht von allwissenden Prüfinstanzen, sondern schlicht von anderen Nutzern, die zum Beispiel Bildfälschungen belegen. Das ist der richtige Weg, mit Falschinformationen umzugehen. 
Denn solche Hinweise und daran anknüpfende Diskussionen haben einen positiven Effekt über den Einzelfall hinaus. Sie schulen den kritischen Blick, der einem helfen kann, Fakes auch dort zu erkennen, wo weder Faktenchecker ein Siegel vergeben noch Schwarmintelligenz korrigierend eingreifen kann - zum Beispiel in der privaten Chat-Gruppe oder beim Gespräch mit den Nachbarn.  

Timo Rieg ist Buchautor und Journalist. Seine zuletzt erschienenen Bücher sind „Demokratie für Deutschland“ und der Tucholsky-Remake „Deutschland, Deutschland über alles“. Zum Thema „Bürgerbeteiligung per Los“ bietet er zudem eine Website mit Podcast an.

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