Faktor X

Gibt es eine Erfolgsformel für die Kunst?

Von Carolin Pirich |
Etwa 9000 freischaffende Künstler gibt es allein in Berlin. Aber nur die wenigsten können von ihrer Kunst leben - nur drei bis vier Prozent eines Absolventenjahrgangs. Warum hat der eine Erfolg und der andere nicht? Ein Blick hinter die Kulissen der Kunstwelt.
Es ist der Traum jedes Kunststudierenden, später einmal von seinen Bildern leben zu können. Aber nur drei bis vier Prozent der Absolventen an der Berliner Universität der Künste gelingt das. Die meisten der etwa 9000 freischaffenden Künstler, die es allein in Berlin gibt, schlagen sich oft mehr schlecht als recht durchs Leben und halten sich mit Zweit- oder Drittjobs über Wasser. Nur eine kleine Minderheit bekommt Anerkennung, Ausstellungen, Kataloge und Rezensionen.
Wovon hängt es ab, dass der eine Künstler Erfolg hat, der andere nicht? Liegt es am Talent, an guten Kontakten – oder letztlich einfach nur am Glück? Und was bestimmt den Preis eines Kunstwerks? Diese Fragen hat sich auch unsere Reporterin Carolin Pirich gestellt und sich bei der Suche nach Antworten auf dem Berliner Kunstmarkt und in der Berliner Künstlerszene umgetan.

Das Manuskript der Reportage zum Nachlesen:
Ein heller Berliner Nachmittag im Spätsommer. Samira Freitag schließt den Raum auf, in dem sie in den vergangenen sechs Jahren gemalt, gezeichnet und darüber nachgedacht hat, wie sie sich als Künstlerin profilieren könnte. Wie sie sich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten könnte – eine Grundvoraussetzung, um sich einmal von anderen zu unterscheiden. Jetzt muss sie anfangen, ihre Gemälde in Luftpolsterfolie einzupacken. Ausdrucksstarke Figuren, kräftige Farben. Ein Bild erinnert an die Darstellungen indischer Göttinnen.
"Es gibt bestimmte Chiffren, Figuren, die immer wieder auftauchen. Diese Arbeit hier basiert auf einer riesengroßen Collage, wo ich mich viel mit Frida Kahlo auseinandergesetzt habe zu der Zeit. Kahlo hatte ja dieses Schicksal, dass sie körperliche Schmerzen ertragen musste, wo sie regelrecht aufgespießt worden ist mit einer Busstange. Diese Geschichte verarbeite ich auch in meiner Malerei."
Samira Freitag ist 33 Jahre alt. Wie sie da so steht im Raum, der Rücken kerzengerade, die Beine durchgestreckt, die Schultern zurück, und wie sie einen anschaut mit ihren auffallend grünen, auffallend großen Augen – neugierig, aber lauernd auch – wirkt sie, als wäre sie ständig unter Spannung.
"Das große Thema bei mir ist eigentlich Haut, als Grenze, als Metapher zwischen Innen und Außen."
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Die 33-jährige Samira Freitag, UdK-Absolventin in Malerei© Foto: Carolin Pirich
Samira Freitag hat sich das Atelier in der Universität der Künste Berlin mit anderen Studenten geteilt. Es liegt im Erdgeschoss, direkt neben dem Raum eines der derzeit bekanntesten Künstler, des Chinesen Ai Weiwei. Er ist an der UdK Professor.
Nach einer Ausbildung als Druckgrafikerin beim Berliner Letteverein hat Samira eine Mappe an der UdK eingereicht, die Aufnahmeprüfung gemacht – und wurde genommen.

138 Absolventen - so viele gab es noch nie an der UdK

Samira blättert ein großes, dickes Buch aus schwarzem Tonpapier auf. Darin Zeichnungen, Malereien, Collagen. Das Buch hat sie bei der Abschlussausstellung gezeigt.
"Das sind wie Tagebücher für mich. Ziemlich direkt aus einem heraus, ohne groß zu filtern. Das Madonna-Bild ist durchkonstruiert."
Sechs Jahre hat Samira Freitag an der Universität der Künste Malerei studiert. Jetzt ist das Studium vorbei. Sie ist eine von 138 jungen Künstlerinnen und Künstlerin, die in diesem Sommer die Hochschule verlassen. Der größte Jahrgang bei den Bildenden Künstlern an der UdK, den es je gab, sagt sie.
"Nur drei Prozent werden es schaffen von der UdK. Vielleicht vier. Viele müssen zweigleisig fahren, sogar dreigleisig, bis zum Ende. Viele können von ihrer Kunst gar nicht leben."
Sondern haben mehrere Jobs, um ihre Berufung zu finanzieren. Samira Freitag klappt das dicke Buch zu. Sie nimmt ihre Tasche, geht zur Tür, legt den Lichtschalter um.
In einer Woche muss sie die Bilder aus dem Atelier schaffen, Platz für den nächsten Nachwuchskünstler machen. Dann ist Samira Freitag exmatrikuliert. Freischaffende Malerin.
Eine, deren Traum es ist, zu diesen drei bis vier Prozent ihres Jahrgangs zu gehören, die einmal von ihren Bildern leben können. Eine von etwa 9.000 Künstlern, die laut Schätzung des Bundesverband Bildender Künstler, allein in Berlin leben und arbeiten.

Wunderkammer der Anamorphosen und Skulpturen

Berlin-Kreuzberg. Zweiter Hinterhof, rechter Flügel, 3. Obergeschoss. Ein Fabrikloft. Hier arbeitet ein Künstler, der das erreicht hat, wovon junge Künstler wie Samira Freitag träumen: Anerkennung, Ausstellungen, Kataloge, Rezensionen. Ruhm vielleicht, und Geld.
Fertige und fast fertige Gemälde lehnen deckenhoch an den Wänden, liegen auf dem Boden. Dazwischen Farbtuben, Farbeimer, Pinsel, Paletten. Skulpturen schrauben sich in die Höhe. Ausgestopfte Tiere, Hüte, Fundstücke. Fantasiegebilde, zur Assoziation freigegeben.
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Der Berliner Künstler Wolfgang Petrick© Foto: Carolin Pirich
Das Atelier erstreckt sich über mehrere Räume: noch mehr Gemälde, noch mehr Skulpturen - eine Wunderkammer, ein Labyrinth. Es ist ein Atelier, wie man es sich malerischer nicht für ein Bilderbuch ausdenken könnte. Und darin ein Künstler wie aus einem Bilderbuch.
"Ich komme jetzt in so eine heiße Phase, die wollen alle diese Anamorphosen, diese neuen Räumlichkeiten. Das hat vielleicht mit der Zeit zu tun, mit den neuen Energien."
Wolfgang Petrick ist Jahrgang 1939, groß gewachsen, graue Haare, die wie ein Helm über seinem Gesicht liegen. Schwarzes, weites Hemd, schwarze Hose. Altersloser Blick. Verspielt, vielleicht. Neugierig auf jeden Fall.

46,6 Millionen Dollar für ein Bild? Das ist Gerhard Richter peinlich

"Das ist eine Anamorphose."
Er geht um ein Gemälde herum, das auf dem Boden liegt.
"Sie sehen diesen Typen, und wenn Sie da herum gehen, dann richtet der sich auf."
In der Mitte des Gemäldes steht ein Zylinder aus Stahl. Auf dem Stahlzylinder spiegelt sich die Figur vom Boden, sodass es aussieht, als bewege sie sich, als stünde sie auf.
"Ich habe ihn aber verändert. Diese Verzerrung ist ja gemalt. Ich hab ihn zur Frau umgewandelt, der hat jetzt Brüste bekommen."
Petrick ist kein Gerhard Richter, der mit seinen Gemälden Rekordpreise erzielt. Ein "abstraktes Bild" von Richter wurde im Februar 2015 beim Auktionshaus Sotheby's für 46,6 Millionen US-Dollar verkauft, an einen anonymen Käufer.
"Es ist eine Riesendiskussion im Gange. Selbst Richter sagt, das ist ihm peinlich. Dazu sage ich aber nichts."

Mit 77 in den Künstlerolymp

Trotzdem: Wolfgang Petrick nähert sich mit 77 Jahren gerade dem Künstlerolymp: Ein Museum in Braunschweig will seine "Anamorphosen" ausstellen. Das ist ein Erfolg im doppelten Sinne. Einmal, weil eine Ausstellung in einem guten Museum einem Künstler die richtige Öffentlichkeit bringt, und die richtige Öffentlichkeit steigert den Wert seiner Werke. Andererseits ist dieses Museum außerdem eines der alten Meister: Rembrandt, Rubens, Vermeer. Die "Frankfurter Allgemeine" nennt das Herzog-Anton-Ulrich-Museum auch den "Louvre des Nordens". Nach sieben Jahren Umbauzeit wird es wiedereröffnet.
"Ich darf es so sagen, es ist ein substanzielles Museum, kein modisches. Dieser Raum, in dem ich ausstelle, ist der Raum für junge Kunst. Ich sag es mal poetisch - es ist ein kleiner Ritterschlag. Es ist eines der zehn wichtigsten Museen. Die haben richtig dicke Dinger da."
Petrick ist in Berlin geboren. Studierte in Berlin Biologie. Und Bildende Kunst. War Professor für Malerei in Berlin. Lebt und arbeitet in Berlin und manchmal in Brooklyn. Er kann auf ein halbes Jahrhundert Erfahrung als Künstler zurückblicken.
Wie kommt ein Künstler ins Museum?
"Es ist auch eine gewisse Anerkennung, wenn man da eingeladen wird, auch wenn es über persönliche Sachen läuft. Aber es läuft immer über persönliche Sachen. Es gibt immer auch Glücksumstände."

Ist Erfolg letztlich nur Glücksache?

Glück, dass der Hamburger Kunstagent, der ihn derzeit im Portfolio hat, Petricks Namen an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit im Museum Braunschweig genannt hat. Petrick redet gern von Glück. Es sei Glück gewesen, dass man in der 60ern, als er anfing, Künstler zu sein, wieder figurativ malen durfte.
"Ich habe einfach gemerkt generell, mir fehlt etwas an Gegenstand, an Figur. Dann bin ich übergegangen zu diesen Toilettenkritzeleien. Da habe ich mich inspirieren lassen und habe die geheimen Messages aufgenommen und kam von so einer Psycho-Ebene immer weiter nach außen. So habe ich mich an die Figur herangetastet."
Petrick redet von Glück, dass er Teil einer Künstlergemeinschaft wurde, die eine Selbsthilfegalerie gegründet hat. Es war die erste Produzentengalerie Berlins, Großgörschen 35. Markus Lüpertz war damals auch dabei, heute zählt er zu den bekanntesten - und teuersten - deutschen Künstlern.
Es war Glück, sagt Petrick, dass es damals noch nicht so viele Künstler gab, dass in Berlin alles noch vergleichsweise billig war. Inzwischen hat sich das geändert.
"Die Mieten sind hier hochgegeigt. Zu Westberliner Zeiten war diese Ecke ja 'out of order'. Hier war die Grenze. Da waren Hausbesetzer, Türken und Künstler. Die haben das erhalten. Das ist der Knackpunkt jetzt... ich hab das in New York gesehen, als das anfing, so richtig hochzugehen, war das nicht mehr machbar."

Vom freien Künstler zum Professor und zurück

1975 wird Wolfgang Petrick zum Professor an die Hochschule der Künste Berlin berufen. Da war er 36 Jahre alt. Tausend Bewerbungen gab es damals in etwa pro Jahr, erinnert er sich heute, und 40 Studenten habe die Hochschule dann aufgenommen. 2016 waren es 178, mehr als vier Mal so viele.
"Alle wollten sehen, ob der zeichnen kann. Und ob der das Potential hat zu einer eigenen Welt. Manchmal hat's funktioniert und manchmal auch nicht. Es sind schon ein paar gute Leute dabei rausgekommen."
Professor bleibt Petrick, bis er sich zu viel als Lehrer und zu wenig als Künstler fühlt. Er geht dann für eine Zeit lang nach New York.
Wer Petrick zuhört, gerät in ein Labyrinth. Wir gehen vergnügt in eine Richtung, aber kommen ganz woanders wieder raus. Zum Beispiel beim Thema Glück:
"Das war der Herausgeber des Deutschen Ärzteblatts, das war der Herr Römer, der hatte das auf irgendeiner Ausstellung gesehen. Ich kannte die überhaupt nicht persönlich. Da klopfte es an der Tür. Ich hatte ein Telefon damals, da rief der an: Hallo, hier ist Römer aus Köln, ich habe ein Bild gesehen, ich würde Sie gerne besuchen. Das ist natürlich der Wahnsinn. Sie rufen in den Wald rein, und dann kommt ein Echo zurück. Keine Beziehung, kein gar nichts, Sie rechnen mit gar nichts. Das war der erste richtige Verkauf. Die haben dann jeden Monat meine Miete übernommen und ein bisschen mehr noch."
Römer war dieser eine, erste Sammler, der an Petrick geglaubt hat. Und es gab einen Galeristen.
"Es gab den Poll, die Galerie Poll. Der hat sich die realistische Gruppe rausgezogen, und ein Journalist hat dann darüber geschrieben, kritischer Realismus, und darüber haben wir eine Berühmtheit bekommen, haben international ausgestellt."

"In jeder Branche gibt es schwarze Schafe"

Heute befindet sich die Galerie Poll in Berlin-Mitte. Da, wo alle neuen Galerien jetzt sind. Alle hippen. Auch die, über die gemunkelt wird, sie sprächen sich ab, um die Preise künstlich hochzutreiben.
"Es gibt in jeder Branche schwarze Schafe, die Sachen machen, die man eigentlich nicht machen sollte. Es gibt Künstler, die illoyal sind, Galeristen, die nicht professionell sind. Oder Künstler, wenn's einmal Erfolg hatte, die Variation auf Variation auf Variation machen, weil es gut ging."
Eva Poll. Eine ältere Dame mit kurzem grauen Haar. Sie sitzt in einem Ledersessel und strahlt Autorität aus. Eva Poll und ihre Tochter Nana führen heute die Galerie. Sie sind im Bundesverband der Galerien engagiert.* Es gibt eine Faustformel für den Preis eines Bildes.
"Die Künstler haben sich so ein System ausgedacht, dass sie Länge plus Breite mal Faktor zur Preisgestaltung sich ausgedacht haben. Und der Faktor ändert sich meistens im Laufe der Entwicklung des Künstlers und wird immer höher. Das bedeutet, das Bild wird immer teurer."
Der Faktor X. Er soll Vertrauen bringen, eine gewisse Nachvollziehbarkeit für den Wert eines Künstlers. Er bemisst den Wert des Bildes - und den Grad des Erfolges. Aber: Was heißt Erfolg?
(Nana und Eva Poll:) "Es gibt diesen Kunstkompass, den damals der Bongard erfunden hat, wo die wichtigsten Künstler aufgezählt werden, wie so eine Rangliste. Und da gibt es bestimmte Kriterien, und da sind die Museen. Das Moma ist wichtig, die Tate in London ist wichtig, und wenn der Künstler da austellte, dann kriegt der Punkte. Ob er eine Besprechung hat in einer renommierten Kunstzeitschrift, wie 'Art news' oder 'Art Forum', dann zählt das auch. Oder wenn der bei der Documenta dabei ist oder der Biennale."

Nach welchen Kriterien entscheiden Galeristen?

Die Räume der Galerie Poll sind hell und nüchtern ausgeleuchtet. Fußboden, kaltweiße Wände. Die Wirkung des Raumes soll von den Kunstwerken ausgehen, von nichts sonst.
Vor gut 50 Jahren stand die Galerie Poll in Charlottenburg. 1968 eröffneten sie. Wolfgang Petrick war einer der Künstler der ersten Stunde.
(Poll:) "Damals hatte er anders gearbeitet als heute, er hat damals ganz akribisch gezeichnete Farbstift-Zeichnungen gemacht, die Themen waren gesellschaftskritisch, Touristen, ferngesteuerte Schüler, Strauß. Wie er das umgesetzt hat, dass Kunst rausgekommen ist und kein Pamphlet. Das hat uns eben gefallen."
Woher konnten sie damals wissen, das sich dieser Wolfgang Petrick entwickelt, ob es sich lohnt, ihn auszustellen, für ihn Werbung zu machen? Dass er sich verkauft?
"Für mich ist ein Grundsatz oder eine Voraussetzung, dass ich einen Künstler ausstelle, dass mir die Arbeit gefällt, dass sie mir etwas sagen."

"Das Motiv geht gut, von dem musst du noch zehn malen"

Ein Abend im Herbst. Samira Freitag, seit nunmehr zwei Monaten freischaffende Künstlerin, ist unterwegs in eine Galerie. Heute ist Neueröffnung. Die Galerie liegt in einer Seitenstraße im vergleichsweise ruhigen, vergleichsweise reichen Charlottenburg. "Edmond Galerie" heißt sie. Die Edmond-Galerie wird von einem Ehepaar geleitet.
"Er ist Franzose, ich schätze ihn so um die 60, sie ist deutlich jünger, um die 40. Sie ist Chinesin. Da gibt es den Kontakt nach Shanghai. Ich muss noch in Erfahrung bringen, ob sie eine Galerie schon geführt haben. Ich habe da etwas gehört, dass er schon in der Kunstszene war in Paris. Sie stellen jetzt zwei Künstler vor, zwei Chinesen."
Samira hat noch eine andere Galerie im Auge, man ist auf sie zugekommen. Junge Künstler träumen von einem Vertrag mit einer Galerie, aber an wen man sich bindet, das muss sehr gut überlegt sein, sagt Samira. Gerade am Anfang.
"Ich habe da so Geschichten gehört. Dass die Galerien sie wie eine Zitrone ausquetschen, die sagen, ach, das Motiv geht gut, von dem musst du noch zehn malen. Ich finde es schade, wenn man nur noch Masse macht, um die Galerie zu bedienen."
Es ist ein angenehm milder Abend. Vor den Schaufenstern der Galerie ist ein Tisch aufgebaut, vor dem sich eine kleine Traube Menschen gebildet hat. Es gibt Sekt und Weißwein in Plastikbechern, Oliven, Salami. Die meisten Menschen sprechen eine fernöstliche Sprache, Mandarin vielleicht? Einer spricht englisch mit französischem Akzent.
"We wanted to open in a new capital of art..."
Eric Vinassac, Mitbegründer der Edmond-Galerie. Ein gemütlich aussehender Mann: runder Kopf, freundliches Gesicht, die Augen sind wach. Wachsam vielleicht.
"It's good for artists to live here. ... Edmond Galerie will go to Paris, to Hongkong, this is a Plattform. We have to go to art fairs. You can earn your living not only by opening a Galerie. But collectors there are more in Paris, London, Hongkong maybe."

Die interessanten Sammler sind in Paris, London, Hongkong

Berlin ist gut für Künstler, aber die interessanten Sammler tummeln sich anderswo: Paris, London, Hongkong – auf den dortigen Kunstmessen ist das Geld. Dort zieht es Eric Vinassac hin. An diesem Abend eröffnet die Edmond-Galerie in Berlin mit zwei chinesischen Künstlern.
Die Galerie füllt sich langsam. Aber noch ist der Blick frei auf die Werke an der Wand.
(Samira Freitag:) "Ich kann diese Namen mir nicht so gut merken. Hu Weiyi? Er scheint gute Referenzen zu haben. Er ist auch nicht anwesend, weil er ein Stipendium hat."
Der Künstler hat Fotos von Mündern, Zungen, Lippen, Ohren, Unterhosen in Gruppen zusammengehängt und sie mit einem Leuchtfaden vernäht, der Faden sticht durch Lippe, Hose, Zunge und fädelt sich von Bild zu Bild.
"Auch da habe ich gehört, im Asiatischen Raum, der fängt gerade erst an zu blühen, sich zu entwickeln. Der ist noch gar nicht gesättigt..."
Samira sieht sich im Raum um.
"Ich finde den Schnitt der Galerie auch interessant, diese Hochebene, diesen etwas verwinkelten Raum."
Vielleicht stellt sich Samira ihre Gemälde vor, wie sie hier hängen könnten, eines Tages. Vielleicht denkt sie daran, wie ihr Bild von der leidenden Madonna eines Tages in Shanghai das Publikum begeistert...

Samiras Bilder zeigen Träume und Schmerz

Sie wendet sich einer zierlichen Dame zu. Muss netzwerken. Vielleicht der wichtigste Grund für junge Künstler, eine Vernissage zu besuchen. Die Dame ist georgische Kunsthistorikerin. Sie hat eine Internet-Plattform gegründet, E-Merging-Artists, auf der sich junge Künstler präsentieren können, die noch keine Galerie in der realen Welt haben.
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Die Berliner Künstlerin Samira Freitag© Foto: Carolin Pirich
Am Ausgang steht Eric, der Mann der neuen Galeristin in Berlin. Wird er Samira ins Programm nehmen?
"Samira's art is strong, she is a woman, she speaks about dreams, pain, I think she is true. She has something to say. You can feel it or not. I feel it."
Eric findet Samiras Kunst ausdrucksstark, Träume und Schmerz lassen sich spüren, er fühlt, dass sie etwas zu sagen hat. Aber festlegen will er sich noch nicht.
Gefühle. Die richtige Galerie. Glück. Die entscheidenden Leute treffen. Gibt es noch andere Kriterien für den Erfolg eines Bildes? Und wenn es solche Kriterien gibt - müsste sie nicht dann jemand benennen können, der in einer Jury sitzt und darüber entscheidet, welche Kunst mit einem Preis ausgezeichnet werden soll und welche nicht?
Jemand wie Marc Wellmann, derzeit Künstlerischer Leiter des Hauses am Lützowplatz Berlin. In 20 verschiedenen Jurys war er Mitglied, gerade wurde entschieden, wer den Meisterschülerpreis des Präsidenten der Universität der Künste Berlin bekommt.
Marc Wellmann ist ein Mann Ende 40, das graue Haar keck nach oben gebürstet. Sein Blick ist abwartend, zu oft schon wurde der Kunstmarkt als völlig irrational beschrieben, da ist man lieber erstmal vorsichtig. Aber warum jetzt das eine Bild - und das andere nicht?
"Das kann ich abstrakt so gar nicht darlegen, wo man auch vergleicht miteinander. Man versucht, einen Begriffskatalog aufzumachen, was für den einen oder für den anderen spricht. Da gibt es die allgemeinen Kriterien, wo Sie mich jetzt fragen, die gibt es da nicht."

Fünf Jahre nach dem Abschluss muss man es "geschafft" haben

Als Juror will und darf er keine Einzelheiten verraten. Eine Jury muss ein paar Geheimnisse behalten. Sonst würde man ihr vielleicht Parteilichkeit vorwerfen. Sonst würde die nächste Generation von Bewerbern sich vielleicht danach ausrichten, was Wellmann verraten hat. Nur so viel:
"Wenn die künstlerisch gleichwertig sind, man muss aber zu einer Entscheidung kommen. Dann geht es bei uns auch um soziale Faktoren. Brauchen die den Preis? Oder sind die schon im Galeriebetrieb erfolgreich, obwohl sie gleichwertig sind. Und dann würde man vielleicht dazu neigen, dem, der noch nicht so vertreten ist, mit dem Preis einen Schub geben. Oder hat der schon andere Preise bekommen? Wollen wir ins gleiche Fahrwasser gehen oder einen Kontrast dagegen setzen? Oder ist es einen Mann oder eine Frau, auch eine wichtige Frage."
Als Kunsthistoriker und Kurator kennt Wellmann die Regeln der Kunstwelt. Ob man nun den Weltmarkt im Blick hat oder den kleinen in Berlin - die Mechanismen für Erfolg sind dieselben: Handwerk, Ausstellungen, Kontakte. Nur - wer hat dann Erfolg?
"Es gibt aber eine Faustformel: Wenn man es in der ersten fünf Jahren nach Studienende nicht geschafft hat, dann ist die Chance sehr gering, dass man es noch schafft, von seiner Kunst zu leben. In Deutschland sind es nur zwei Prozent aller Studienabgänger von den Hochschulen, die es schaffen, von ihrer Kunst zu leben. Das ist relativ wenig."

Eine Ausstellung im "Louvre des Nordens"

Die Vorbereitung für Petricks Ausstellung im Braunschweiger Herzog-Anton-Ulrich-Museum, dem "Louvre des Nordens" tritt in die heiße Phase. Inzwischen ist der Katalog fertig für die Braunschweig Ausstellung, schreibt Petrick in einer Mail. Ich fahre nochmal in sein Atelier nach Berlin-Kreuzberg, zweiter Hinterhof, dritter Stock. Gern würde ich sehen, wie Petrick arbeitet. Das Expressive, Spontane, diese vielen Farben, dieses Verspielte in aller Ernsthaftigkeit... Ich habe Pech. Petrick malt nicht. Er sitzt auf seinem Ledersessel.
"Wir haben noch ganz viel zu tun. Wir haben ein Konzept entwickelt, eine Grundstruktur, diese sechs Objekte zu inszenieren, in einem dunklen Raum, die werden alle mit einem Spot angeleuchtet."
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Denkt auch mit 77 noch nicht ans Aufhören: Wolfgang Petrick© Foto: Carolin Pirich
Gerade war der Kurator aus Braunschweig im Atelier. Dann ein befreundeter Künstler mit neuer Flamme, eben zur Tür hinaus.
"Ich ziehe so eine Art Horizontlinie. Von oben und unten wird die bespielt, mit Unterwelt und Oberwelt. Anamorphosen und Zeichnungen und noch ein paar andere Dinge, die das bespielen."
Es sind nur zwei Wochen bis zur Eröffnung. Nervös?
"Im Gegenteil, das freut mich. Ich bin da ganz scharf drauf. Das bin richtig voll, wie ein Panzer. Ich fahre los zum Sturmangriff."
Wolfgang Petrick ist 77 Jahre alt, und es geht immer weiter. Gerade hat eine Berliner Galerie bei ihm angeklopft. Petrick freut sich. Warum sollte er auch aufhören? Nur weil er fast 80 ist? Er hat Spaß, er hat Kraft - und wer weiß, was noch alles kommen kann? Dann wird er nachdenklich: all die jungen Künstler, irgendwann brauchen die doch auch Platz.
"Das ist ja für Junge eine Bedrohung. Was sollen die dagegen setzen, gegen so ein Werk? Wie kriegen die Jungen den Raum dann?"

Das erste eigene Atelier: 185 Euro für 20 qm

Samira Freitag hat ihren ersten Raum erobert: das erste eigene Atelier. Ein Anfang.
"Ich bin im 5. OG einer ehemaligen Schokoladenfabrik. Wir sind ein Verein, ein Kollektiv, wir haben uns zusammengeschlossen. Diesen Raum teile ich mit anderen. Ich kann hier gut arbeiten. Ich zahle 185 Euro für 20 qm, da sind schon die Vereinskosten drin."
Samira trägt eine schwere Arbeitshose, besprenkelt mit Farbe. Es ist die alte Arbeitshose ihres Vaters. Er ist Steinmetz.
Der Blick aus dem Gemeinschaftsatelier geht nach Süden, an den Rand Berlins. Der Himmel spannt sich auf, Wolken eilen vorbei. Nun ist sie eine von geschätzt 9.000 freien Künstlern in Berlin. Samira Freitag, 33 Jahre alt, Malerin.
Von der Galerie, mit der sie vor ein paar Monate in Kontakt war, hat sie noch nichts Neues gehört. Dafür hat sich ein Sammler bei ihr gemeldet. Sie nimmt einen Katalog in die Hand: Die Sammlung von Kornelia und Harald Frisch aus Berlin.
"Die haben in den 70er Jahren angefangen zu sammeln. Da ist auch ein Gerhard Richter dabei. Eine Miriam Vlaming. Und der Schwerpunkt ist Malerei."
Das Ehepaar Frisch hat zwei Bilder von Samira gekauft. Zwei Hauptwerke aus ihrer Meisterschülerausstellung. Die leidende Madonna - und ein ziemlich finsteres, skulpturales Gemälde. Samira nennt es "das Gewächs".
"Als ich da ankam gestern und diese beiden Bilder sah, im Wohnbereich neben einer Miriam Vlaming. Ich habe auch gemerkt, wie euphorisch Harald Frisch war. Für mich ist das ein enorm großes Lob, wenn jemand sagt, diese Bilder verkaufe ich nicht. Mit denen gehe ich bis zum Ende."
Wie viel sie für das Bild bekommen hat, verrät sie nicht.
"Höhe plus Breite des Gemäldes mal Faktor x. Und Faktor X entscheidet sich nach dem Punkt, wo man steht. Da muss man ein bisschen spielerisch vorgehen. Wenn man im Studium steht, dann ist das Faktor 10 oder elf. Das kommt darauf an, wer vor einem ist."
Der Faktor X ist das Maß für die Zukunft. Bei Samiras nächstem Bild wird er vielleicht schon etwas gestiegen sein. Sie ist dann ihrem Ziel einen Schritt näher, eines Tages von ihren Bildern leben zu können. Aber Faktor X bleibt vor allem eines: ungewiss.
"Künstler sein, das heißt, aus sich heraus eine eigene Welt zu entwerfen. Mich fasziniert diese Energie, die davon ausgeht, auch das gewisse Selbstbewusstsein, das ein Künstler braucht. Eine Freundin von mir ist Künstlerin. Ich habe vor Jahren ein Bild von ihr gekauft, es berührt mich noch immer. Sie hat Zeiten, da verkauft sie gut, in anderen Zeiten zweifelt sie und braucht immer wieder andere Jobs, um ihre Kunst zu finanzieren. Da kam die Frage auf: warum hat der eine Erfolg und der andere nicht?"
Carolin Pirich
Carolin Pirich© Foto: privat
*Anmerkung der Redaktion: In der ersten Fassung wurde fälschlicherweise der Begriff "Klüngelei" in Zusammenhang mit der Arbeit der Galerie Poll verwendet. Dies haben wir korrigiert.
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