Fall Mollath: Konsequenzen für das Gutachterwesen gefordert

Maria Fick im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Nach der Freilassung des langjährigen Psychiatrie-Insassen Gustl Mollath fordert die Menschenrechtsbeauftragte der Bayerischen Landesärztekammer, Maria Fick, dass in Zweifelsfällen ein unabhängiger Zweitgutachter bestellt werden muss.
Jörg Degenhardt: Der Fall hat deutschlandweit für Aufsehen gesorgt: Seit 2006 saß Gustl Mollath in der Psychiatrie, weil er als gemeingefährlich galt. Gestern dann die überraschende Wende. Da ordnete das Oberlandesgericht Nürnberg seine sofortige Freilassung an, weil es plötzlich Zweifel an einem zentralen ärztlichen Attest gibt. Gleichzeitig wurde eine neue Hauptverhandlung angeordnet. Mollath nach den ersten Schritten in der Freiheit zu seinen nächsten Erwartungen:

Gustl Mollath: Also wissen Sie, es ist mit Sicherheit schon jetzt eine große Erleichterung, nichts mit hochqualifiziertem Personal und topp ausgebildeten Ärzten zu tun haben zu müssen, es ist eine Erleichterung, ordentliche Menschen um mich herum zu haben, auch wenn die sich jetzt quälen müssen in ihrem Job, und das ist schon schön.

Degenhardt: Gustl Mollath. Er sieht sich als Opfer eines Komplotts seiner früheren Ehefrau und der Justiz, weil er auf Schwarzgeldgeschäfte in Millionenhöhe hingewiesen hat. Die ganze Geschichte hatte Bayerns Justizministerin Merk zeitweise mächtig in Bedrängnis gebracht, gestern aber zeigte sie sich genauso zufrieden mit der Entscheidung wie Bayerns Ministerpräsident Seehofer.

Zum Gespräch begrüße ich jetzt die Menschenrechtsbeauftragte der bayerischen Landesärztekammer, Doktor Maria Fick. Sie hat sich immer wieder dafür eingesetzt, dass Mollath frei kommt und ein faires Verfahren erhält. Guten Morgen, Frau Fick!

Maria Fick: Guten Morgen auch!

Degenhardt: Plötzlich gibt es, so der Eindruck, in diesem Justizdrama nur zufriedene Gesichter im Fall Mollath. Wundert Sie das?

Fick: Eigentlich schon, ja. Da ich nämlich, als ich im letzten Jahr, Oktober, einen Brief an die Frau Ministerin schickte, war das noch ganz anders.

Degenhardt: Inwiefern?

Fick: Über die Zeit, mit der Diskussion, hat sich das wohl geändert. Und es ist wahrscheinlich politisch auch irgendwo etwas wichtiger geworden.

Degenhardt: Ist denn jetzt die Menschenwürde des Gustl Mollath wiederhergestellt?

Fick: Man kann sagen, im Augenblick ja. Aber da der Prozess ja noch mal aufgerollt werden soll, erst dadurch eigentlich kann das gerechtfertigt werden, dass seine Menschenwürde in dem Sinne wiederhergestellt wird, dass man eben näher hinschaut, die Dinge näher betrachtet, die da in diesem Prozess wohl nicht so gelaufen sind, wie sie eigentlich hätten laufen sollen.

Degenhardt: Die Dinge näher betrachten – aus Ihrer Sicht, wer trägt denn die Hauptverantwortung dafür, dass Gustl Mollath so lange in der Psychiatrie sitzen musste?

Fick: Ja, das sind wahrscheinlich mehrere Gründe und mehrere Menschen, die da verwickelt sind. Das sind also Juristen, das sind Mediziner, und ich denke, das eben sollte man wirklich, wo man Fehler aufgedeckt hat oder wo etwa Unklarheiten sind, das sollte jetzt geklärt werden, unbedingt.

Degenhardt: Wo sehen Sie denn die Verantwortung der Mediziner? Das frage ich Sie als Menschenrechtsbeauftragte der Bayerischen Landesärztekammer.

Fick: Na ja, Sie sehen ja, der Aufnahmegrund, Wiederaufnahmegrund, ist jetzt zum Beispiel ein ärztliches Attest. Es sind mehrere Ärzte dort verwickelt in diese Sache, die also nun als Gutachter aufgefordert wurden und Gutachten abgegeben haben, und da sollte man also wirklich von meiner Seite her auch, von der Ärztekammer, sich damit jetzt befassen.

Degenhardt: In welcher Weise? Welche Konsequenzen müsste es da geben?

Fick: Das weiß ich jetzt nicht genau, wie man das sagen sollte, aber man sollte ganz sicherlich jetzt auch für die Zukunft sehen, dass man Gutachten nicht einfach so, wie das jetzt zum Beispiel von Mollath erstellt wird – der hat sich ja geweigert, sich untersuchen zu lassen, was ein gutes Recht jedes Menschen ist, dass man nicht gezwungen wird, irgendetwas zu tun, wie eine Aussage, kann jemand verweigern –, dass man da eben auch bemüht, eine Veränderung herzuführen, wenn man sieht, dass das zu solchen Ergebnissen wie bei Mollath führen kann.

Degenhardt: Sie haben ja Gustl Mollath auch kennengelernt, Sie haben ihn besucht. Wie haben Sie diesen Mann erlebt, der so lange unschuldig in der Psychiatrie saß?

Fick: Ich habe ihn erlebt als etwas skeptisch gegenüber einer Institution wie der Kammer, der Landesärztekammer, aber ich habe ihn nicht als irgendwo für mich gefährlich, so wie ich es gestern im Fernsehen gesehen hab mit seinem Pflichtverteidiger. Ich hatte keine Angst. Ich bin auf ihn zugegangen und hab halt meine Fragen gestellt, die ich von ihm als Antworten wissen wollte. Und wir wurden ja in der Stunde, in der ich bei ihm war, viermal sozusagen kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. Und das fand ich also auch etwas übertrieben, möchte ich jetzt mal sagen.

Degenhardt: Für andere unschuldig Weggesperrte geht der Alptraum weiter. Haben Sie einen Überblick, wie viele ähnliche Fälle es in Bayern gibt und möglicherweise darüber hinaus, im Rest der Republik?

Fick: Also da bin ich nicht informiert, wie viele es gibt, aber es gibt sicher welche, und es ist auch so, dass diese ganze Diskussion um Herrn Mollath dazu führt, dass man sich miteinander zusammensetzt und auch diverse Tische, wo man sagt, ist das gerechtfertigt, ist das nicht gerechtfertigt. Natürlich auch Angriffe, die pauschal auf die Psychiatrie gehen, wo ich meinen muss, man sollte da auch gerecht sein und sagen, in vielen Fällen muss sozusagen eine Versorgung eines Menschen stattfinden, weil er für sich und für andere eben gefährlich sein kann, was ich jetzt im Falle von Herrn Mollath anzweifle.

Degenhardt: Kann man aus dem Fall Mollath Schlüsse ziehen für das Gutachterwesen? Bedarf es da Korrekturen, muss da etwas verändert werden?

Fick: Dessen bin ich mir sicher, dass da etwas verändert werden soll. Ich habe auch mal als Delegierte zur Ärztekammer einen Antrag gestellt, man möge erstens mal das Alter der Gutachter begrenzen, und dann eben wirklich, wenn es hart auf hart geht, dass man ein Zweitgutachten dazuschaltet. Dass man nicht nur auf ein Gutachten, sondern dass man einen zweiten, unabhängigen Gutachter in so einer schwierigen Situation dazu bringt.

Degenhardt: Wie groß ist denn Ihre Hoffnung, Frau Fick, dass man jetzt auch den Fall Mollath zum Anlass nimmt, um genauer hinzuschauen, wie es bei anderen, möglicherweise gleichfalls unschuldig Weggesperrten zugeht?

Fick: Ja, das ist wahrscheinlich schwierig im Augenblick. Sie müssen wissen, ich bekomme fast jeden zweiten Tag irgendein Schreiben, sei es aus dem Gefängnis, sei es aus der Psychiatrie. Zu unterscheiden, was ist denn nun wirklich dran an den verschiedenen Dingen, also es ist sehr, sehr schwierig, da eine Entscheidung zu treffen, bei wem ich mich massiv einsetze, bei wem ich einfach sage, Sie müssen sich an jemand anderen wenden, das ist nicht meine Aufgabe. Also, es ist nicht ein – das ist eines unserer schwierigsten Fächer, möchte ich jetzt mal sagen, in der Medizin.

Degenhardt: Und was meinen Sie, muss Herr Mollath jetzt auch nicht entschädigt werden für das, was er erlitten hat, zu Unrecht?

Fick: Das muss das Gericht entscheiden. Also da muss man jetzt sagen, was kommt jetzt bei dem Ganzen raus, und muss das Gericht entscheiden. Mein Vorschlag war es, dass, wenn das sich wirklich rausstellt, dass das so lange, dass er so lange weggesperrt wurde für eine Anschuldigung, die jetzt zum Beispiel diese sozusagen – der Angriff auf seine Frau und diese Geschichte, da muss man sagen, das wäre längst abgesessen sozusagen, wenn das über ein normales Gericht gegangen wäre, weil die Zeit wäre nicht sieben Jahre gewesen für den Angriff auf seine Frau und auf diese angeblichen Verletzungen sozusagen der Autoreifen verschiedenster Menschen aus dem Bekanntenkreis.

Degenhardt: Die Menschenrechtsbeauftragte der Bayerischen Landesärztekammer, Dr. Maria Fick, zum Fall Mollath. Ich bedanke mich für das Gespräch!

Fick: Ja, auf Wiedersehen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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