"Wir haben oft noch das Image als böse Pillenverschreiber"
Der Psychiater Andreas Meißner beklagt, der Fall Mollath habe das Image der Psychiatrie "insgesamt nicht verbessert". Die Öffentlichkeit wisse oft gar nicht, dass Psychiater nicht nur Pillen verschreiben, sondern viel therapeutisch arbeiten.
Nana Brink: Sieben Jahre lang saß er in einer psychiatrischen Anstalt fest. Inzwischen ist Gustl Mollath frei, und sein Wiederaufnahmeverfahren läuft. Heute setzt das Landgericht Regensburg den Prozess fort, und Zeuge ist der pensionierte Richter Brixner. Er schickte Mollath in die Psychiatrie.
Der Fall Mollath hat bei vielen von uns ja die Frage aufgeworfen: Hat die Psychiatrie versagt, kann man denen ausgeliefert sein? Andreas Meißner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München und auch im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Münchner Nervenärzte. Schönen guten Morgen, Herr Meißner!
Andreas Meißner: Guten Morgen!
Brink: Haben die Menschen Sie schon schief angesehen, wenn Sie gesagt haben, was Sie von Beruf sind?
Böse Psychiater, gute Therapeuten?
Meißner: Also das kommt generell schon vor. Nach dem Fall kam es vor allem mit Bekannten manchmal vor, dass Leute einen so ein bisschen auf die Schippe genommen haben, was wir denn da wieder angestellt hätten. Aber generell kommt es natürlich schon vor, dass Menschen einen so ein bisschen komisch anschauen oder zucken, wenn man sagt, dass man Psychiater ist.
Wir haben oft noch das Image als böse Pillenverschreiber und als diejenigen, die die Menschen einsperren, während es dann vielleicht im Gegensatz dazu die guten Therapeuten geben soll, wobei ich denke, dass man den Gegensatz nicht mehr so aufrechterhalten kann. Wobei man erst mal unterscheiden muss, wir sind Psychiater, also Ärzte, und keine Psychologen, denn viele Menschen können das nicht unterscheiden, selbst viele ärztliche Kollegen nicht.
Brink: Und warum fühlen sich dann so viele Menschen ausgeliefert oder haben dieses Ohnmachtsgefühl, was sie gerade auch ein bisschen beschrieben haben?
Meißner: Na ja, das sind natürlich dann vor allem die, die es vielleicht auch vereinzelt schon mal erlebt haben, in der Psychiatrie gewesen zu sein – nicht unbedingt, dass sie ewig eingesperrt waren. Denn wir müssen ja auch unterscheiden, der Fall Mollath betrifft ja die forensische Psychiatrie, also den Teil der Psychiatrie, wo Patienten untergebracht werden, die sozusagen ein Verbrechen begangen haben, eine Straftat aufgrund ihrer psychischen Erkrankung, und die dann eben zur Behandlung in dem forensischen Teil der Psychiatrie untergebracht werden.
In der sogenannten "normalen" Psychiatrie, würde ich es jetzt mal nennen, ist das ja was anderes, da hat man ja kein Urteil und ist jetzt dann auf Monate eingesperrt. Aber es gibt natürlich Fälle, wo Patienten aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung auch mal gegen ihren Willen in die Psychiatrie eingeliefert werden, das kommt natürlich vor.
Brink: Ja, und das ist ja genauso gerade kritisch im Fall Mollath. Wie groß ist denn tatsächlich Ihr Einfluss, wenn es um solche Zwangseinweisungen geht, die Sie auch gerade beschrieben haben?
Einweisung gegen den Willen des Patienten nicht ohne Weiteres möglich
Meißner: Wie gesagt, der Fall Mollath ist natürlich jetzt aufgrund eines Gerichtsurteils passiert – da kann man drüber streiten, ob das jetzt glücklich war oder nicht oder ob alle Beteiligten da ein gutes Bild abgegeben haben, inklusive der Psychiater –, im Normalfall, in der Praxis geht das nicht so einfach. Wir haben im Moment ein – Gott sei Dank muss ich sagen – sehr freiheitliches, liberales System. Wenn ich jetzt mich hinstelle und sage, hier der Patient muss dringend eingewiesen werden, auch gegen seinen Willen, ist das nicht so einfach möglich. Man macht das auch nicht gerne, weil natürlich das für einen selber auch mit sehr viel Anspannung und Emotionen verbunden ist, jetzt aus der Praxis heraus, jemand gegen seinen Willen einzuweisen. Und natürlich zerbricht es auch das Vertrauensverhältnis.
Ich habe gerade im Moment einen Patienten, der sehr verwahrlost ist momentan, was mir die Angehörigen berichten, der seine Wohnung nicht mehr pflegt, wo es schon stinkt, wo der Notarzt schon nicht mehr reingeht, weil es eben stinkt, der verwirrt ist und wirre Sachen äußert, auch mich nicht mehr aufsucht leider und wohl seine Medikamente nicht mehr nimmt. Und ich kann jetzt nicht einfach hingehen und sagen, ja, bitte, liebe Polizei, nehmt's den mit in die Psychiatrie. So einfach geht das nicht. Wenn er dann sagt, er tut doch keinem Menschen was und tut sich selber auch nichts an, dann werden die ihn nicht mitnehmen.
Also es ist – Gott sei Dank, muss man sagen – nicht so leicht, gegen seinen Willen in die Psychiatrie zu kommen, aber es kann im Einzelfall, insbesondere für die Angehörigen oder für das Umfeld sehr schwierig sein, dass es so ist.
Brink: Noch mal abschließend gesagt: Welchen Einfluss hat der Fall Mollath auf Ihren Berufsstand?
Fall Mollath "hat natürlich das Image insgesamt nicht verbessert"
Meißner: Na ja, sagen wir mal, es hat natürlich das Image insgesamt nicht verbessert. Glücklich war das Ganze nie, es ist natürlich auch sehr präsent in den Medien gewesen, aber man muss sich auch sagen, es dreht sich jetzt ... Gut, jetzt ist es wieder aktuell, weil der Prozess wieder aufgerollt wird, aber wir haben ja auch andere Einflussfaktoren auf unser Image. Gerade die ganze Depressions- und Burn-out-Diskussion, denke ich, die war wiederum positiv, dass das Bewusstsein geschärft worden ist. Von daher hängt es jetzt nicht nur vom Fall Mollath ab, aber klar, der hat natürlich schon ein bisschen das kritische Bewusstsein geschärft.
Und es ist ja so, dass wir Psychiater in der Öffentlichkeit gar nicht so bekannt sind, was wir eigentlich genau machen, dass wir natürlich nicht nur Pillen verschreiben, was wir schon auch tun, sondern natürlich auch mit den Leuten reden, sehr dicht und kompakt oft therapeutisch arbeiten, innerhalb von zehn, fünfzehn Minuten oft wesentliche Punkte herausarbeiten müssen. Und das wird oft natürlich gar nicht gesehen, dass wir nicht nur die sind, selten eigentlich, die dann einweisen oder jetzt eben böse Pillen verschreiben, was so nicht stimmt, weil viele Leute dankbar sind, dass man Depressionen inzwischen auch mit Tabletten behandeln kann.
Brink: Andreas Meißner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München, schönen Dank, Herr Meißner, für das Gespräch!
Meißner: Ja, danke Ihnen auch, Wiederhören!
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