"Schlimm für die ganze katholische Kirche"
Wie sehen Laien den Fall des verschwenderischen Limburger Bischofs? Tebartz-van Elst ist inzwischen zurückgetreten - das habe die Kirchenvolksbewegung mit Erleichterung aufgenommen, erklärt Christian Weisner von "Wir sind Kirche" im Gespräch.
Kirsten Dietrich: Der Limburger Bischof Franz-Peter hat in dieser Woche ein Zeichen gesetzt, anders allerdings, als er sich das sicher erhofft hat. Er hat sein Amt verloren, weil er seine Vorstellungen für einen angemessenen Amtssitz umsetzte ohne Blick auf die Kosten, und auch ohne Gespür dafür, dass eben selbst in der katholischen Kirche Amtsträger nicht mehr so tun dürfen, als sei die Welt da draußen wenig mehr als Publikum bei der Messe. Der Limburger Bischof hat sein Amt verloren – ist das der Beginn grundlegender Veränderungen? Ist das der Augenblick, auf den die Kirchenreformer gewartet haben? Darüber habe ich mit Christian Weisner gesprochen. Er ist einer der Sprecher der Kirchenreformbewegung "Wir sind Kirche". Ich wollte von ihm wissen, wie er den Rücktritt des Limburger Bischofs aufgenommen hat.
Christian Weisner: Wir haben das mit großer Erleichterung wahrgenommen, und ich denke, die Priester, die Gläubigen, alle im Bistum Limburg und hier in der katholischen Kirche in Deutschland. Denn das hat ja wirklich seit Monaten, seit letztem Sommer ganz besonders die katholische Kirche hier wieder in negative Schlagzeilen gebracht, und während in Rom Papst Franziskus eigentlich für gute Schlagzeilen sorgt, haben es die deutschen Bischöfe und in diesem Fall ganz besonders Tebartz-van Elst immer wieder nicht geschafft, wirklich einen Reformkurs einzuleiten.
Dietrich: Der verschwenderische Bischof, der keinen Kontakt mehr mit seiner Basis hat, wird seines Amtes enthoben. Ist da ein Traum für die Kirchenreformbewegung wahr geworden?
Weisner: Nein. Ich würde eher sagen, das ist ein Trauma, was auf dem Bistum Limburg seit gut fünf Jahren gelastet hat, dass ist beendet worden. Und das möchte ich ohne Häme gegenüber jetzt der Person Tebartz-van Elst sagen. Man kann ihm nur wünschen, dass ihm auch persönlich ein guter Neuanfang gelingt. Er bleibt ja Bischof, aber er wird eine andere Aufgabe kriegen. Aber wichtiger ist mir wirklich das Bistum, dass es da wieder zu einem Gemeinschaftsgefühl kommt, dass alle für die Kirche verantwortlich sind. Ich glaube, Tebartz-van Elst hat eben deutlich gemacht, dass so wie bisher er das Bischofsamt geführt hat, doch anscheinend in einem sehr autoritären, dirigistischen Stil von oben, auch mit einer lähmenden Angst. Das war so ein Wort des offenen Briefes, das mal Priester dort formuliert haben und was viele mit unterschrieben haben, dass dieser Bischofsstil, dass das nicht mehr in die Zeit passt. Und nicht nur wegen Papst Franziskus, sondern das ist nicht der Bischofsstil, den das Zweite Vatikanische Konzil, das große Reformkonzil vor 50 Jahren gewünscht hat. Sondern wirklich, Kirche sind wir alle – dieses Grundgefühl des Konzils. Und insofern freuen wir uns natürlich, dass jetzt mit dieser Entscheidung endlich ein Neuanfang möglich ist.
Keine Flughafenbischöfe, keine Staatsfunktionäre
Dietrich: Die Laien spielen ja in dieser ganzen Affäre – kann man es Affäre nennen? – in der ganzen Auseinandersetzung eine ganz wichtige Rolle. Die Frankfurter Laien zum Beispiel haben mit einem offenen Brief ja auch viel ins Rollen gebracht. Sehen Sie das als ein Zeichen dafür, dass Laien mehr Recht haben sollten in der Kirche?
Weisner: Ja, sie müssen mehr Rechte haben, und das ist wirklich auch die Aussage des Konzils. Erst mal sind wir alle Kirche, und dann gibt es natürlich innerhalb der Kirche sicher unterschiedliche Dienste, und das ist eben nicht ein Bischof von Gottes Gnaden, sondern das ist ein Dienstamt des Diakons, des Priesters, des Bischofs. Es muss natürlich eine gewisse Struktur geben, eine Ordnung, aber dieses neue Kirchenverständnis – in einem Unternehmen würde man sagen, eine neue Unternehmenskultur –, die ist einfach noch viel zu wenig umgesetzt, praktiziert worden. Vor 50 Jahren, beim Zweiten Vatikanischen Konzil, ist das wirklich auf den Weg gebracht worden, damals sehr visionär. Ich hab den Eindruck, dass unter Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt dieses einfach wieder zurückgedrängt worden ist. Insofern sind wir jetzt noch mal an einer neuen Chance, denn Franziskus scheint dieses neue Bild von Kirche, das aber ein altes Kirche ist, auch der Ursprungskirche, dieses wieder neu ins Bewusstsein zu rufen. Er sagt mit seiner sehr anschaulichen Sprache, ich will Hirten mit dem Geruch der Schafe, keine Flughafenbischöfe, keine Staatsfunktionäre. Das ist ein neues Bischofsprofil. Das brauchen wir, und ich denke, das ist zukunftsfähig.
Dietrich: Zum Papst kommen wir gleich noch mal. Ich würde noch mal für einen Moment in Deutschland bleiben und würde gerne wissen, ob Sie als Kirchenreformbewegung "Wir sind Kirche" eigentlich irgendetwas gespürt haben, zum Beispiel in Form eines Mitgliederzuwachses von der Affäre in Limburg, von den Auseinandersetzungen in Limburg?
Weisner: Wir spüren, dass wir eigentlich das ausdrücken, was ganz, ganz viele Menschen in der katholischen Kirche und mittlerweile eben auch bis hin zum Domkapitel in Limburg zu Theologieprofessoren und Theologieprofessorinnen sagen und denken. Was leider zu beobachten ist, und das ist wirklich schlimm für die ganze katholische Kirche, es gibt einfach eine Resignatioin. Man glaubt eigentlich nicht mehr, dass die katholische Kirche, davon rede ich jetzt von der Amtskirche, von der Kirchenleitung, dass die reformfähig ist. Und diese Resignation, die spüren wir leider auch. Aber da kann ich nur sagen, Papst Franziskus hat ein neues Beispiel gegeben mit seinen Gesten. Das ist ein spiritueller Führungsstil. Und jetzt ist es wirklich an der Zeit, und die Zeit drängt ganz besonders, es ist an der Zeit, dass dieser spirituelle Führungsstil aufgenommen wird. Und da erwarten wir uns natürlich viel mehr Unterstützung auch von den deutschen Bischöfen. Aber die stecken alle noch in dieser alten Mentalität von Johannes Paul II., von Papst Benedikt. Und es gibt leider auch Seilschaften, die reichen von dem Papst Emeritus über Kardinal Müller, über den päpstlichen Kenntnis-Sekretär Erzbischof Gänswein, bis weit hinein in die deutsche Kirche. Und diesen Umbruch, in dem sind wir im Augenblick, und der sorgt leider dafür auch, dass wir noch keine anderen neuen Bischofsnennungen haben, die dem Profil von Franziskus entsprechen. Denn einzelne Bistümer, Passau und Erfurt, die sind schon seit anderthalb Jahren umbesetzt. Da stockt das System, also da ist im Grunde der Umbau in Rom noch nicht vollzogen. Aber diese Hoffnungszeichen brauchen wir. Mit der Entscheidung zu Limburg ist aber jetzt, würde ich mal sagen, irgendwo der Pfropfen geplatzt. Jetzt muss es weitergehen.
Wie das Kirchenvolk denkt
Dietrich: Wird sich denn wirklich was ändern? Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, kündigte an, man habe in der katholischen Kirche die Zeichen der Zeit verstanden und deshalb wolle man die Strukturen künftig besser erklären. Erklären, sagte er, nicht verändern.
Weisner: Da haben Sie sehr genau gelesen. Das habe ich auch in seinem von Kardinal Marx vorgelesenen Statement so gesehen. Er versteht unter Transparenz, deutlich erklären und nachvollziehbar machen die Entscheidungsstrukturen und Gremien, die sich in vielen Jahrhunderten auch in vielem bewährt haben. Das ist ein Anfang, aber dieses Transparenz reicht noch nicht aus. Es reicht nicht aus zu erklären, sondern wir brauchen wirklich neue Entscheidungsstrukturen. Im Bistum Limburg hat es die gegeben, die Vorgängerbischöfe Kämpf und Kamphaus haben ein mehr partnerschaftliches Entscheidungssystem gehabt. Die haben die Priester, die Gläubigen sehr viel mehr eingebunden in einer synodalen Struktur, und da müssen wir wieder hin, da muss die katholische Kirche auch von der evangelischen Kirche, von den evangelischen Kirchen lernen. Aber das ist jetzt noch ein Weg, da hat Kardinal Marx noch viel zu wenig sich bewegt, und ich fand also dieses Pressestatement, das er nur vorgelesen hat, nicht für Rückfragen zur Verfügung stand, das ist noch kein Kommunikationsstil, der heutzutage notwendig ist. Auch die Bischöfe sind rechenschaftspflichtig, nicht nur gegenüber dem lieben Gott oder dem Papst, sondern auch gegenüber dem Kirchenvolk, dem Domkapitel, den Gremien, die es doch in der katholischen Kirche gibt, Diözesanversammlung, Pfarrgemeinderäte. Wir brauchen wirklich eine neue Unternehmenskultur, aber das ist jetzt nicht im wirtschaftlichen Sinne gesprochen, sondern das ist wirklich urchristlich.
Dietrich: "Wir sind Kirche" bezieht sich in seinen Äußerungen ja im Moment wirklich sehr gezielt, sehr breit, sehr oft auf Papst Franziskus in Rom. Sie setzen den neuen Schwung in Rom gegen die Verkrustung in Deutschland. Worauf gründet sich diese Hoffnung? Bisher gibt es in Rom Zeichen für einen anderen Stil, es gibt aber noch überhaupt keine substanziellen Veränderungen.
Weisner: Doch. Da muss ich sehr widersprechen. Es gibt auch diese substanziellen Veränderungen. Ich denke an die K8-Gruppe, das sind die Kardinäle, wo auch der Münchener Kardinal Marx drin ist. Natürlich geht das jetzt nicht in vier Wochen oder in vier Monaten, die aber Kurienreform, Änderung des Finanzsystems, Vatikanbank, auf den Weg bringen. Papst Franziskus hat eine außerordentliche Familiensynode einberufen. Er hat den Fragebogen wirklich an die Menschen versenden lassen, also dass er wissen will, wie das Kirchenvolk denkt und glaubt in aller Welt. Also da ist viel passiert, und da ist noch viel mehr passiert, auch hinter den Kulissen, was wir alle gar nicht wissen. Aber: Wir machen es nicht nach der Methode Nordkorea, dass die alten geköpft werden, die alte Garde, sondern – das ist vielleicht der besondere katholische Weg der Kontinuität, dass eine Einbindung stattfindet. Also Kardinal Müller ist jetzt weiter Präfekt der Glaubenskongregation, aber andererseits hat der Papst auch ganz klar gesagt, dass die Glaubenskongregation eigentlich nur eine dienende Funktion in der Kirche hat. Und letztlich hat sich viel geändert. Ich denke an Kardinal Maradiaga, der Leiter der K8-Gruppe, und es gibt noch viele, viele andere Dinge. Aber was jetzt wirklich fehlt, dass das mittlere Management, dass das, ich sag mal, zwischen Papst und Kirchenvolk, ganz simpel gesprochen, dass dieses mittlere Management, die Bischöfe, dass die auch mitziehen. Und da hapert es wirklich. Und wenn wir das nicht schaffen, dann marginalisiert sich die katholische Kirche selber.
Dietrich: Die Kirchenreformbewegung kämpft seit Jahren um Dinge wie die Aufhebung des Pflichtzölibats, um eben mehr Rechte von Laien. Diese Themen stehen aber gerade auch in Rom nicht auf der Agenda.
"Es gibt einen Bewusstseinswandel"
Weisner: Doch. Auch die stehen auf der Agenda. Wenn es Aussagen gibt, dass wirklich wir alle Kirche sind, Überschrift im Radio Vatikan: Fastenpredigt: Wir sind Kirche. Also dieser Klerikalismus, den klagt doch Papst Franziskus an. Und das ist eine Anklage, dass er sagt, wir wollen auch nicht mehr jetzt erst mal Frauen haben in Männerkleidern, und die diesen Klerikalismus weiterführen. Also, das ist wirklich eine ganz umfassende Wende, die eingeleitet wird. Nicht alles von heute auf morgen, und es gibt auch andere Dinge, die sehr zu diskutieren sind. Aber ich denke, dieser Bewusstseinswandel, dass wir alle Kirche sind, das ist ein Bewusstsein des Zweiten Vatikanischen Konzils der Communio-Theologie. Das muss sich jetzt Schritt für Schritt umsetzen, und ich denke, die Kirchenvolksbewegung hat versucht, dazu beizutragen, aber jetzt muss es weitergehen. Wenn Sie Umfragen in Deutschland machen, die Menschen denken so, die Menschen glauben so, aber die Kirchenleitung hier in Deutschland hinkt leider noch sehr hinterher.
Dietrich: Bisher deutete vieles auf einen Vormarsch der konservativen Kräfte in der katholischen Kirche. Franz-Peter Tebartz-van Elst galt als eines der Aushängeschilder dieser Bewegung. Ist dieser Trend zum Konservativismus, hin zu einer ganz strikten Besinnung auf die Tradition, ist der jetzt beendet?
Weisner: Ich hoffe es sehr, denn dieses von oben herab einen Bischof reinsetzen – er ist damals, glaube ich, sogar vom Domkapitel gewählt, aber sie haben ihn ja nicht mal gekannt, da brauchen wir wirklich neue Wege, neue Entscheidungsstrukturen. Es gibt ein altes kirchliches Prinzip: Wer über allen vorstehen soll, muss auch von allen gewählt werden. Und diese zunehmende Partizipation – das ist noch kein Landtagswahlkampf, aber diese brauchen wir auch in der katholischen Kirche.
Dietrich: Was bedeutet der Rücktritt des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst für die katholische Kirche, und sehen Kirchenreformer jetzt größere Hoffnungen für ihre Anliegen? Darüber habe ich mit Christian Weisner gesprochen. Er ist einer der Sprecher der katholischen Kirchenreformbewegung "Wir sind Kirche".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.