Falle für den Kaiser
Im Juni 1812 begann Napoleon seinen Feldzug gegen das zaristische Russland. In nur einem halben Jahr entwickelte sich der Einmarsch zur militärischen Katastrophe für den französischen Kaiser. Mehr als eine Million Menschen starben in diesem Krieg.
In der Nacht zum 24. Juni 1812, am Ende eines heißen Sommertags, wurden auf Befehl Napoleons drei Brücken von den Pionieren seiner Grande Armée über den russischen Grenzfluss Njemen geschlagen. Die Arbeiten daran hörte auch der Seconde-Lieutenant von Kalckreuth vom 5. Pommerschen Husarenregiment. Der Beginn des Einmarsches nach Russland stand kurz bevor:
"Ein sehr schweres Gewitter stand gerade über uns, als wir die Brücke passierten, mehreremal schlug der Blitz in den Njemen ein und machte unsere Pferde scheu, gleichzeitig regnete es so heftig, dass wir ganz durchnäßt auf russischem Boden ankamen. Leider eine üble Vorbedeutung!"
Von Kalckreuths Ahnung trog nicht. Und das war erst der Anfang! Seit Ende des Jahres 1811 hatte Napoleon Truppen zusammengezogen, den Krieg mit dem verbündeten Zarenreich vor Augen. Schließlich waren es mehr als eine halbe Million Soldaten, nicht mitgerechnet die Zivilisten, die diese Heeressäulen begleiteten. In ihnen spiegelte sich das geografische und ethnische Ausmaß des napoleonischen Universalreiches. Die Wenigsten von ihnen sollten wiederkehren.
"Soldaten! In Tilsit schwor Rußland ewiges Bündnis mit Frankreich und Krieg gegen England. Heute bricht es seine Schwüre. Es stellt uns zwischen Entehrung und Krieg. Die Wahl kann nicht zweifelhaft sein. Marschieren wir also! Gehen wir über den Njemen und tragen den Krieg auf russischen Boden."
Napoleons Proklamation wurde am Morgen des 24. Juni verkündet. Doch der russische Boden, auf den er den Krieg zu tragen gedachte, zeigte sich widerständig. Schon die Bedingungen des Vormarsches waren schrecklich: Gewaltmärsche auf Sand- oder Schlammpisten bestimmten die ersten Tage. Bei 36 Grad Celsius Hitze, unterbrochen von heftigen Regengüssen, umschwirrt von Bremsen und Mücken, deprimiert durch den Wegesrand säumende tote Kameraden und Pferde und angeekelt vom aufsteigenden Gestank, plagte die Männer Durchfall, Hunger und Durst. Auch die Pferde litten, wie der britische Historiker Adam Zamoyski zu berichten weiß:
"Aufgrund ungewohnten Futters bekamen sie Koliken und Durchfall oder Verstopfung. Ein Artillerieoffizier notierte, dass er und seine Männer den armen Kreaturen den Arm bis zum Ellbogen in den Anus stecken mussten, um sie von steinharten Kotklumpen zu befreien. Ohne eine derartige Fürsorge blähten sich die Pferdemägen auf und explodierten."
Trotz aller Widrigkeiten kamen die Truppen voran. Aber eine Entscheidungsschlacht, als deren taktischer Meister sich Napoleon immer wieder gezeigt hatte, blieb zunächst aus. Als sie dann kam – bei Smolensk und vor Moskau, bei Borodino – führte sie zu immensen Verlusten, aber nicht zu einer Entscheidung. Der Kaiser hätte gewarnt sein können. Unmittelbar vor dem Einmarsch ließ ihm Zar Alexander I. mitteilen:
"Wenn das Waffenglück gegen mich sein sollte, zöge ich mich lieber bis nach Kamtschatka zurück, als dass ich Provinzen abträte. Der Franzose ist tapfer; aber lange Entbehrungen und ein hartes Klima entmutigen ihn. Unser Klima, unser Winter werden für uns kämpfen."
Russische Offiziere befahlen zwar nur widerwillig den Rückzug. Doch nahmen so die Entfernungen für die Grande Armée zu, und die Versorgung wurde immer schwieriger. Zum Glück, so notierte ein französischer Offizier, ...
"... haben wir grenzenloses Vertrauen in das überragende Genie Napoleons. Er ist der Armee Vater, Held und Halbgott."
Als Napoleon Bonaparte am 14. September 1812 für ein paar Tage sein Quartier im Kreml bezog, war der Feldzug verloren. Er entpuppte sich als eine riesige Falle, die in Moskau zuschnappte. Am 19. Oktober begann der Rückzug aus der verbrannten und geplünderten Stadt. Beladen mit Beutegut, fortwährend dezimiert durch einen schonungslosen Partisanen- und Kosakenkrieg und ausgezehrt von Hungerödemen und Typhus, marschierten die Soldaten ins Unvermeidliche: in den russischen Winter. Am Ende sind – unvorstellbar bis dahin – in diesem Krieg auf beiden Seiten über eine Million Menschen umgekommen.
Am 18. Dezember 1812 erreichte der Kaiser Paris und mit ihm die Nachricht, dass die Grande Armée aufgehört hatte zu existieren. Napoleon bemerkte gegenüber seinen Ministern:
"Das Glück hat mich geblendet. Ich bin in Moskau gewesen. Ich hatte geglaubt, dass ich dort einen Friedensvertrag unterzeichnen würde. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich bin zu lange geblieben."
Ich, ich, ich – kein Wort zum Tod und den Qualen seiner Männer. Noch im Exil auf Sankt Helena ist er überzeugt: Wäre er bei Borodino gefallen, so wäre ihm der Ruhm sicher gewesen. Als ewiger Sieger aber war er entzaubert und seine Aura dahin.
"Ein sehr schweres Gewitter stand gerade über uns, als wir die Brücke passierten, mehreremal schlug der Blitz in den Njemen ein und machte unsere Pferde scheu, gleichzeitig regnete es so heftig, dass wir ganz durchnäßt auf russischem Boden ankamen. Leider eine üble Vorbedeutung!"
Von Kalckreuths Ahnung trog nicht. Und das war erst der Anfang! Seit Ende des Jahres 1811 hatte Napoleon Truppen zusammengezogen, den Krieg mit dem verbündeten Zarenreich vor Augen. Schließlich waren es mehr als eine halbe Million Soldaten, nicht mitgerechnet die Zivilisten, die diese Heeressäulen begleiteten. In ihnen spiegelte sich das geografische und ethnische Ausmaß des napoleonischen Universalreiches. Die Wenigsten von ihnen sollten wiederkehren.
"Soldaten! In Tilsit schwor Rußland ewiges Bündnis mit Frankreich und Krieg gegen England. Heute bricht es seine Schwüre. Es stellt uns zwischen Entehrung und Krieg. Die Wahl kann nicht zweifelhaft sein. Marschieren wir also! Gehen wir über den Njemen und tragen den Krieg auf russischen Boden."
Napoleons Proklamation wurde am Morgen des 24. Juni verkündet. Doch der russische Boden, auf den er den Krieg zu tragen gedachte, zeigte sich widerständig. Schon die Bedingungen des Vormarsches waren schrecklich: Gewaltmärsche auf Sand- oder Schlammpisten bestimmten die ersten Tage. Bei 36 Grad Celsius Hitze, unterbrochen von heftigen Regengüssen, umschwirrt von Bremsen und Mücken, deprimiert durch den Wegesrand säumende tote Kameraden und Pferde und angeekelt vom aufsteigenden Gestank, plagte die Männer Durchfall, Hunger und Durst. Auch die Pferde litten, wie der britische Historiker Adam Zamoyski zu berichten weiß:
"Aufgrund ungewohnten Futters bekamen sie Koliken und Durchfall oder Verstopfung. Ein Artillerieoffizier notierte, dass er und seine Männer den armen Kreaturen den Arm bis zum Ellbogen in den Anus stecken mussten, um sie von steinharten Kotklumpen zu befreien. Ohne eine derartige Fürsorge blähten sich die Pferdemägen auf und explodierten."
Trotz aller Widrigkeiten kamen die Truppen voran. Aber eine Entscheidungsschlacht, als deren taktischer Meister sich Napoleon immer wieder gezeigt hatte, blieb zunächst aus. Als sie dann kam – bei Smolensk und vor Moskau, bei Borodino – führte sie zu immensen Verlusten, aber nicht zu einer Entscheidung. Der Kaiser hätte gewarnt sein können. Unmittelbar vor dem Einmarsch ließ ihm Zar Alexander I. mitteilen:
"Wenn das Waffenglück gegen mich sein sollte, zöge ich mich lieber bis nach Kamtschatka zurück, als dass ich Provinzen abträte. Der Franzose ist tapfer; aber lange Entbehrungen und ein hartes Klima entmutigen ihn. Unser Klima, unser Winter werden für uns kämpfen."
Russische Offiziere befahlen zwar nur widerwillig den Rückzug. Doch nahmen so die Entfernungen für die Grande Armée zu, und die Versorgung wurde immer schwieriger. Zum Glück, so notierte ein französischer Offizier, ...
"... haben wir grenzenloses Vertrauen in das überragende Genie Napoleons. Er ist der Armee Vater, Held und Halbgott."
Als Napoleon Bonaparte am 14. September 1812 für ein paar Tage sein Quartier im Kreml bezog, war der Feldzug verloren. Er entpuppte sich als eine riesige Falle, die in Moskau zuschnappte. Am 19. Oktober begann der Rückzug aus der verbrannten und geplünderten Stadt. Beladen mit Beutegut, fortwährend dezimiert durch einen schonungslosen Partisanen- und Kosakenkrieg und ausgezehrt von Hungerödemen und Typhus, marschierten die Soldaten ins Unvermeidliche: in den russischen Winter. Am Ende sind – unvorstellbar bis dahin – in diesem Krieg auf beiden Seiten über eine Million Menschen umgekommen.
Am 18. Dezember 1812 erreichte der Kaiser Paris und mit ihm die Nachricht, dass die Grande Armée aufgehört hatte zu existieren. Napoleon bemerkte gegenüber seinen Ministern:
"Das Glück hat mich geblendet. Ich bin in Moskau gewesen. Ich hatte geglaubt, dass ich dort einen Friedensvertrag unterzeichnen würde. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich bin zu lange geblieben."
Ich, ich, ich – kein Wort zum Tod und den Qualen seiner Männer. Noch im Exil auf Sankt Helena ist er überzeugt: Wäre er bei Borodino gefallen, so wäre ihm der Ruhm sicher gewesen. Als ewiger Sieger aber war er entzaubert und seine Aura dahin.