Ulrike Ackermann, geb. 1957, Studium der Politik, Soziologie und Neueren Deutschen Philologie in Frankfurt/Main., ab 1977 Zusammenarbeit mit der Charta 77, dem polnischen KOR, der Solidarnosc und anderen Bürgerrechtsbewegungen in Ostmitteleuropa. Sie war verantwortliche Redakteurin der "Frankfurter Hefte/Neue Gesellschaft", wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung, Gründerin und Leiterin des Europäischen Forums an der Berlin-Brandenburgischen Akademie für Wissenschaften. Ulrike Ackermann ist Professorin für Politikwissenschaften und Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung in Heidelberg. Buchveröffentlichungen: "Sündenfall der Intellektuellen", "Versuchung Europa", "Welche Freiheit. Plädoyer für eine offene Gesellschaft", "Eros der Freiheit. Plädoyer für eine radikale Aufklärung", "Im Sog des Internets" (Hg.), "Freiheitsindex Deutschland" 2011-2015 (Hg.), "John Stuart Mill. Ausgewählte Werke" (Hg.)
Mitte unterliegt Populismus
Heilsbringer würden die gesellschaftliche Debatte polarisieren und es einer pragmatischen, freiheitlich orientierten Mitte schwer machen, Konflikten vernünftig zu begegnen und sich falschen Utopien zu widersetzen, meint die Heidelberger Politologin Ulrike Ackermann.
Wir leben in äußerst turbulenten Zeiten: unweit von Europa zerfallen Staaten, wüten Bürgerkriege und Stellvertreterkriege im arabischen und afrikanischen Raum. Islamisten setzen beharrlich ihren ideologischen und militärischen Krieg gegen unsere mühsam errungenen westlichen Freiheiten fort.
Und Migranten drängen in nie gekanntem Ausmaß nach Europa, was diesen Ansturm kaum bewältigen kann und spaltet – ganz im Sinne Vladimir Putins, der mit seiner neoimperialen Politik diese Destabilisierung seit Jahren betreibt.
Die Bürger in der EU werden immer skeptischer gegenüber dem europäischen Einigungsprojekt, dass die politischen Eliten lange Zeit forsch vorangetrieben haben.
Insbesondere in Deutschland scheint vielen erst jetzt zu dämmern, wie begehrt diese Ecke der Welt ist. Wohlstand, Rechtsstaat, Marktwirtschaft, funktionierende repräsentative Demokratie und die Achtung der Menschenrechte sind so attraktiv, dass Hunderttausende ihr Leben riskieren, um hier neu anzufangen.
Populismus triumphiert über freiheitliche Mitte
Doch je komplizierter die Herausforderungen und vermeintlichen sowie realen Bedrohungen sich gestalten, umso erfolgreicher sind die neuen Heilsbringer auf rechter und linker Seite: eine pragmatisch und freiheitlich orientierte politische Mitte hat es immer schwerer.
Das spiegeln auch die Polarisierungen in den gesellschaftlichen Debatten wider. Populistische Bewegungen und Parteien sind in ganz Europa auf dem Vormarsch: ob Marine Le Pens Front National in Frankreich, der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders in den Niederlanden, im Norden die wahren Finnen oder Beppe Grillo mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung in Italien - sie alle bedienen den Hass auf die politischen Eliten. AfD und Pegida sind Nachzügler in dieser Entwicklung.
Auch der linke Populismus mit seinem Antikapitalismus und der Skepsis gegenüber den Institutionen und Procedere der repräsentativen Demokratie wächst und feiert seine Helden wie den Griechen Alexis Tsipras, den spanischen Podemos-Chef Pablo Iglesias oder Jeremy Corbyn, den neuen britischen Labour-Chef.
Frustration polarisiert Politik
Selbst in den USA wollen die Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders auf der Linken und Donald Trump auf der Rechten die Wutbürger mit Parolen gegen das Establishment um sich scharen.
Sie alle spielen mit den Sehnsüchten nach einer perfekten, gerechten, überschaubaren und konfliktfreien Gesellschaft. Umso heftiger entlädt sich die Frustration über den unheilvollen Zustand in der Polarisierung der ideologischen Lager. Und die Kluft zwischen Bevölkerung und politischer Klasse wird immer größer.
Daran ändert auch die fürsorglich paternalistische Geste wenig, mit der Politiker ihr Wahlvolk gerne an die Hand nehmen, es nicht beunruhigen und Unangenehmes zumuten wollen.
Nur ideologiefreier Blick löst Konflikte
Angesichts unserer komplizierten Lage kann der Ruf nach mehr Nüchternheit und Pragmatismus nicht laut genug sein. Weder eine moralisch aufgeladene Politik, die Gesinnungen bedient, noch Tabuisierungen oder Diskussionsverbote sind deshalb hilfreich.
Nur ein schonungsloser und ideologiefreier Blick auf die konfliktreiche Realität und die offene und ehrliche Auseinandersetzung mit ihr erlaubt es uns, der unheilvollen Weltlage vernünftig zu begegnen und kluge Lösungen zu finden. Denn 500 Jahre nach der Lektüre von Thomas Morus’ "Utopia" sollten wir doch gelernt haben, uns vom falschen Glanz der Utopien nicht mehr blenden zu lassen.