Familie 2.0

Von Marko Pauli |
In der Online-Community verwandt.de können Familienmitglieder Stammbäume erstellen, nach Vorfahren suchen und ihre Familiengeschichte rekonstruieren. Die Website ist mittlerweile in zehn Sprachen verfügbar, und mehr als zehn Millionen Stammbäume sollen hier schon kreiert worden sein.
Parkett, weiße Wände, hohe Stuckdecken. Die schmucken Arbeitsräume von verwandt.de könnten auch gut zu einer Arztpraxis gehören. Doch die etwa 20 Mitarbeiter hier betreuen keine besser verdienenden Patienten aus Hamburg-Harvestehude, sondern Stammbäume von mehr als zehn Millionen Familien weltweit. Das Ganze sei kostenlos und von grenzenlosem Interesse, erklärt Geschäftsführer Sven Schmidt die hohen Nutzerzahlen.

"Stammbaum ist überall ein Begriff, das heißt es ist ein globales Thema. Und zweitens ist es halt so, wenn Sie mit einem Stammbaum anfangen, und irgendwann sind Sie mit dem Latein am Ende, können Sie Ihre Familie einladen, zusammen den Stammbaum zu machen. Das heißt, wenn ich einen Kunden gewinne, gewinne ich gleich mehrere. Und die beiden Faktoren führen zur hohen Nutzerzahl."

Auf der Website kann sofort mit dem Aufbau des Stammbaums begonnen werden. Vom eigenen Eingabefeld, in das Name und E-Mailadresse eingetragen werden, verzweigt es sich zu den Feldern, die für die Namen der Eltern vorgesehen sind. Über die abgehenden Pfeile lassen sich dann alle denkbaren weiteren Verwandten hinzufügen. Der Baum wächst.

Der hauptsächlich über Werbung finanzierte Dienst von verwandt.de ist mittlerweile in über 15 Ländern verfügbar. Die Länderbetreuer sitzen in Hamburg und kümmern sich zum Beispiel um Anfragen von Nutzern oder auch Journalisten:

"Ich heiße Marcos und betreue die spanisch sprachige Version, das heißt Spanien und Lateinamerika."

"Ich bin Sylvia und ich betreue die portugiesische und die brasilianische Seite."

"Ich bin Justina, ich komme aus Polen und ich betreue die polnische Seite moikrewni.pl."

"Momentan haben die polnischen Nutzer 26 Millionen neue Profile angelegt."

Den Erfolg in Polen führt Sven Schmidt zum Beispiel auf die vielen im Ausland arbeitenden Polen zurück.

"Und: Die polnischen Familien sind größer. Sie haben in Polen mehr Kinder, dadurch auch mehr Tanten und Onkel, mehr Cousinen. In Deutschland, wo die Leute oftmals noch an einem Ort wohnen, und teilweise nur noch ein oder zwei Kinder haben, ist es halt so, dass die Stammbäume nicht mehr so spannend sind, einfach kleiner als die in Polen."

Ob Polen oder Südamerika, das knubbelige Design der Website sieht in allen Ländern gleich aus. In der Funktionalität ist verwandt.de eine ziemlich unverschleierte Kopie des amerikanischen Anbieters geni.com. Als klassisches Einwanderungsland bekannt, beschäftigen sich die Amerikaner schon länger auch online mit ihren Wurzeln:

"In den USA ist es ein Riesenmarkt, da gibt’s Bücher, Ratgeber: Wie betreibe ich Ahnenforschung. Ahnenforschung wird in den USA sehr viel von Hausfrauen mittleren Alters betrieben. In Deutschland ist Ahnenforschung ein Thema von männlichen Rentnern über 65, wo Ahnenforschung oftmals als Frage verstanden wird, was hinterlasse ich meinen Nachfahren. Rentner haben Zeit und sie haben auch die Muße, fahren halt in Kirchen, um in alten Kirchenbüchern zu gucken. Die deutschen Ahnenforscher haben ganz, ganz große Stammbäume, teilweise 30.000 Leute im Stammbaum."

Bei verwandt.de werden die Mitglieder des eigenen Stammbaums mit den Profilen in der Datenbank abgeglichen. So lassen sich, theoretisch zumindest, weltweit weitere Verwandte finden. Doch da hierfür ziemlich detaillierte Informationen notwendig sind, passiert das eher selten. Hier wird auch weniger geforscht als vielmehr gemeinsam am Stammbaum gebastelt. Manchmal können dadurch sogar vernachlässigte Familienzweige wieder begrünt werden. Wie die Nutzerin Tanja Schulz-Hess zu berichten weiß:

"Und weil ich mich im Zuge dieser ganzen Beschäftigung mit meiner Verwandtschaft auch mehr mit meinen Cousinen beschäftigt hab, kam man ins Grübeln, wer ist das eigentlich, kenn ich die. Und bei meinen Cousinen war das so, dass das immer hieß, die sind so ein bisschen komisch. Denen wurde auch gesagt, wir sind ein bisschen komisch, und irgendwie man fand sich komisch und hat aber nie miteinander geredet."

Wer nun zum Beispiel die Cousine einladen möchte, am Stammbaum mitzuarbeiten, braucht sich dank der vorgefertigten Einladungs-E-Mail um den Tonfall keine Gedanken machen – man könne bestimmt helfen, den Stammbaum zu vergrößern, steht da ganz unverfänglich.

"Schlussendlich ging dieser E-Mail-Kontakt so nett über die Bühne, dass wir gesagt haben, wir fahren jetzt einfach mal vorbei. Wir haben dann festgestellt, dass wir uns super gut verstehen und eigentlich total viel Ähnlichkeiten miteinander haben."

Die eingegeben Familiendaten seien übrigens durch den Passwortschutz ausreichend gesichert, so der Hamburger Datenschutz auf Anfrage. Problematisch sei dagegen, dass die Aktivitäten des Nutzers auf der Website selbst und sein Wohnort mithilfe des Statistiktools Google Analytics erfasst und gespeichert werden. Das aber wäre aus Sicht des deutschen Datenschutzes nur bei Einwilligung des Nutzers zulässig.

Das kostenlose Google Analytics wird auf unzähligen Websites eingesetzt. So lässt sich aus den Bewegungen auf verschiedenen Webseiten ein detailliertes Nutzerprofil erstellen. Unfreiwillig wird man so Mitglied der weltweiten Google-Familie.