Familie als Keimzelle der Gesellschaft
Wir alle kennen die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern. Verführt von einem modernen Modekünstler hüllt sich der Kaiser in Gewebe und Gespinste, die er zwar nicht sieht, die er aber dennoch für einzigartig hält, da alle Höflinge, genau wie er, sie bewundern. Erst als ein kleines Kind, unbeeindruckt vom Marketing des angeblichen Künstlers - ausruft, aber der Kaiser ist ja nackt, sehen es alle, dass nichts da ist, womit der Kaiser seine Blöße bedecken könnte.
Mit Frank Schirrmachers Buch "Minimum", erschienen bei Blessing, ist es gerade anders herum: Der Kaiser trägt Kleider, uralte Kleider, die wir seit Jahren, ja man möchte sagen seit Jahrhunderten, kennen. Doch wir wollen es nicht glauben, dass das schon alles ist, bestimmt ist der Kaiser nackt und wir bilden uns seine Verhüllung nur ein und bald wird wieder jemand kommen - vielleicht der Autor selbst - und rufen aber der Kaiser ist ja nackt. Doch er ist es nicht.
Frank Schirrmacher hat entdeckt, dass die Familie längst vor dem Staat und natürlich viel besser als der einzelne unser gesellschaftliches Überleben sichert. Und dafür bietet er viele bedeutende Namen der amerikanischen Soziologie und der Evolutionsforschung auf, die allesamt zu dem Ergebnis kommen, die Familie kann es besser und wird um so notwendiger, je weniger mangels Kindern von ihr vorhanden ist und je schwächer der Staat, ebenfalls mangels Kindern - in seiner sozialen Sicherungsfunktion wird.
"Die Menschen einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft werden lange vergessene Verbündete brauchen; Vertrauen, Uneigennützigkeit, Altruismus und Solidarität werden keine Worthülsen mehr sein, sondern begehrte, zum Teil sogar in Geld und Kredite ummünzbare Werte. In einer Welt des Verlustes hat die Familie den Wert des einzigen und aus eigener Kraft geretteten Gutes, schrieb Helmut Schelsky mit Blick auf die unmittelbare Nachkriegszeit: Dieses Gut wurde umso überflüssiger, je mehr das Gefühl des Entronnenseins schwand. Schließlich vergaß man nicht nur, dass Familien einen radikal-realistischen Sinn haben, man vergaß auch, dass die gefahrlose und in allem versorgte Welt des alten Europa ein kurzfristiger Ausnahmetatbestand der Geschichte war."
Wir lesen über die Katastrophe vom Donnerpass, wo um die Mitte des vorigen Jahrhunderts amerikanische Siedler, die gen Westen zogen, in Eis und Schnee stecken blieben und nur diejenigen überlebten, die nicht allein, sondern im Familienverband unterwegs waren. Und das gleiche noch einmal, 1973, in einer Ferienanlage auf der Insel Man, wo eine Brandkatastrophe diejenigen am ehesten und sichersten überlebten, die nicht allein oder als Freunde Erholung suchten, sondern im Familienverband dem Blute folgten und sich besser zurecht fanden bei Rettung und Hilfe als die vereinzelten Hedonisten.
Frank Schirrmacher hat ein Buch geschrieben über eine Banalität, eine Wahrheit, die kaum je bestritten wurde, nämlich dass die Familie die Keimzelle des Staates wie der Gesellschaft ist. Nun ist es bestimmt richtig, dass in Zeiten steigenden Wohlstandes und staatlicher sozialer Absicherung diese uralte Kleidung des Kaisers nicht mehr besonders pfleglich behandelt wurde, dass Adenauers Satz, 'Kinder bekommen die Leute immer', eben den leichtfertigen Ton anschlug, der die Familie für ewig hielt und die Veränderungen von Pille und Individualisierung kaum zur Kenntnis nahm. Doch außer in einigen anarchistischen Zirkeln war das Lebensgefühl der Deutschen immer mit der Familie. Frank Schirrmachers apokalyptische Untergangsrhetorik, die Spenglersche Versteinerungskälte ist deshalb unangebracht:
"Wir glaubten bisher unser Spiel mit Elementargewalten beschränke sich auf die technisch-wissenschaftliche Welt, auf, wie der berühmte Buchtitel des Philosophen Karl Jaspers lautete die Atombombe und das Überleben des Menschen. Aber auch die Familie und die verwandtschaftlichen Netzwerke, so müssen wir jetzt erkennen, sind Urgewalten, mit denen wir gespielt, deren Kräfte wir entfesselt haben und deren Kontrolle uns und unseren Kindern zu entgleiten droht. Was geschieht, wenn eine Urgewalt einem Minimum entgegenstrebt?"
Was an diesem Buch ärgert, ist die Folgenlosigkeit seines Pathos. Es ist die Beschwörung des Hauses Usher, zu dessen Rettung das Buch aber nichts beiträgt. Es wird in den Malstrom gestarrt ohne Rettungsringe zu werfen. Dass die Geburtenzahlen in anderen Ländern ganz unterschiedlicher Sozialordnung wie Frankreich oder den USA weniger hoffnungslos sind als in Deutschland könnte zu Überlegungen anregen über Kindergärten, Ganztagsschulen, Elterngeld oder eine konservative Familienrenaissance. Doch nichts dergleichen.
Am Ende geht ein fahler Hoffnungsschimmer wie auf den Winterbildern von Caspar David Friedrich von der sozialen Kompetenz der Frauen aus, deren genetischer Altruismus den Untergang der Menschheit oder besser der deutschen Menschheit noch etwas verzögern könnte. Und so resümiert der Autor:
"Die große Chance liegt darin zu erkennen, dass das, was die Gemeinschaft im Innersten zusammenhält nicht vom Markt aber auch nicht vom Staat organisiert werden kann: Jene Handlungen für die Eltern und Kinder kein Geld und keine Anerkennung bekommen, die so selbstverständlich sind, dass es keine Orden gibt und keine Sozialversicherung ... das wirkliche Erbe, das wir hinterlassen können, ist die Einsicht, dass das, was Familien füreinander tun für alle getan ist."
Diese Sätze könnten von Edmund Burke, Norbert Blüm oder Ursula von der Leyen stammen. Und sie könnten sie aussprechen, ohne auf die Tragödie am Donnerpass rekurrieren zu müssen. Sie sind eben so wahr, wie sie banal sind. Damit ähnelt der Autor verzweifelt dem jungen Mädchen, dem Heinrich Heine einst am Ostseestrand begegnete:
Das Fräulein stand am Meere
und seufzte lang und bang
es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang
Mein Fräulein! sein Sie munter
das ist ein altes Stück;
hier vorne geht sie unter
und kehrt von hinten zurück.
Ein Minimum eben!
Frank Schirrmacher: Minimum - Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gesellschaft
Karl Blessing Verlag
München 2006
192 Seiten
Frank Schirrmacher hat entdeckt, dass die Familie längst vor dem Staat und natürlich viel besser als der einzelne unser gesellschaftliches Überleben sichert. Und dafür bietet er viele bedeutende Namen der amerikanischen Soziologie und der Evolutionsforschung auf, die allesamt zu dem Ergebnis kommen, die Familie kann es besser und wird um so notwendiger, je weniger mangels Kindern von ihr vorhanden ist und je schwächer der Staat, ebenfalls mangels Kindern - in seiner sozialen Sicherungsfunktion wird.
"Die Menschen einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft werden lange vergessene Verbündete brauchen; Vertrauen, Uneigennützigkeit, Altruismus und Solidarität werden keine Worthülsen mehr sein, sondern begehrte, zum Teil sogar in Geld und Kredite ummünzbare Werte. In einer Welt des Verlustes hat die Familie den Wert des einzigen und aus eigener Kraft geretteten Gutes, schrieb Helmut Schelsky mit Blick auf die unmittelbare Nachkriegszeit: Dieses Gut wurde umso überflüssiger, je mehr das Gefühl des Entronnenseins schwand. Schließlich vergaß man nicht nur, dass Familien einen radikal-realistischen Sinn haben, man vergaß auch, dass die gefahrlose und in allem versorgte Welt des alten Europa ein kurzfristiger Ausnahmetatbestand der Geschichte war."
Wir lesen über die Katastrophe vom Donnerpass, wo um die Mitte des vorigen Jahrhunderts amerikanische Siedler, die gen Westen zogen, in Eis und Schnee stecken blieben und nur diejenigen überlebten, die nicht allein, sondern im Familienverband unterwegs waren. Und das gleiche noch einmal, 1973, in einer Ferienanlage auf der Insel Man, wo eine Brandkatastrophe diejenigen am ehesten und sichersten überlebten, die nicht allein oder als Freunde Erholung suchten, sondern im Familienverband dem Blute folgten und sich besser zurecht fanden bei Rettung und Hilfe als die vereinzelten Hedonisten.
Frank Schirrmacher hat ein Buch geschrieben über eine Banalität, eine Wahrheit, die kaum je bestritten wurde, nämlich dass die Familie die Keimzelle des Staates wie der Gesellschaft ist. Nun ist es bestimmt richtig, dass in Zeiten steigenden Wohlstandes und staatlicher sozialer Absicherung diese uralte Kleidung des Kaisers nicht mehr besonders pfleglich behandelt wurde, dass Adenauers Satz, 'Kinder bekommen die Leute immer', eben den leichtfertigen Ton anschlug, der die Familie für ewig hielt und die Veränderungen von Pille und Individualisierung kaum zur Kenntnis nahm. Doch außer in einigen anarchistischen Zirkeln war das Lebensgefühl der Deutschen immer mit der Familie. Frank Schirrmachers apokalyptische Untergangsrhetorik, die Spenglersche Versteinerungskälte ist deshalb unangebracht:
"Wir glaubten bisher unser Spiel mit Elementargewalten beschränke sich auf die technisch-wissenschaftliche Welt, auf, wie der berühmte Buchtitel des Philosophen Karl Jaspers lautete die Atombombe und das Überleben des Menschen. Aber auch die Familie und die verwandtschaftlichen Netzwerke, so müssen wir jetzt erkennen, sind Urgewalten, mit denen wir gespielt, deren Kräfte wir entfesselt haben und deren Kontrolle uns und unseren Kindern zu entgleiten droht. Was geschieht, wenn eine Urgewalt einem Minimum entgegenstrebt?"
Was an diesem Buch ärgert, ist die Folgenlosigkeit seines Pathos. Es ist die Beschwörung des Hauses Usher, zu dessen Rettung das Buch aber nichts beiträgt. Es wird in den Malstrom gestarrt ohne Rettungsringe zu werfen. Dass die Geburtenzahlen in anderen Ländern ganz unterschiedlicher Sozialordnung wie Frankreich oder den USA weniger hoffnungslos sind als in Deutschland könnte zu Überlegungen anregen über Kindergärten, Ganztagsschulen, Elterngeld oder eine konservative Familienrenaissance. Doch nichts dergleichen.
Am Ende geht ein fahler Hoffnungsschimmer wie auf den Winterbildern von Caspar David Friedrich von der sozialen Kompetenz der Frauen aus, deren genetischer Altruismus den Untergang der Menschheit oder besser der deutschen Menschheit noch etwas verzögern könnte. Und so resümiert der Autor:
"Die große Chance liegt darin zu erkennen, dass das, was die Gemeinschaft im Innersten zusammenhält nicht vom Markt aber auch nicht vom Staat organisiert werden kann: Jene Handlungen für die Eltern und Kinder kein Geld und keine Anerkennung bekommen, die so selbstverständlich sind, dass es keine Orden gibt und keine Sozialversicherung ... das wirkliche Erbe, das wir hinterlassen können, ist die Einsicht, dass das, was Familien füreinander tun für alle getan ist."
Diese Sätze könnten von Edmund Burke, Norbert Blüm oder Ursula von der Leyen stammen. Und sie könnten sie aussprechen, ohne auf die Tragödie am Donnerpass rekurrieren zu müssen. Sie sind eben so wahr, wie sie banal sind. Damit ähnelt der Autor verzweifelt dem jungen Mädchen, dem Heinrich Heine einst am Ostseestrand begegnete:
Das Fräulein stand am Meere
und seufzte lang und bang
es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang
Mein Fräulein! sein Sie munter
das ist ein altes Stück;
hier vorne geht sie unter
und kehrt von hinten zurück.
Ein Minimum eben!
Frank Schirrmacher: Minimum - Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gesellschaft
Karl Blessing Verlag
München 2006
192 Seiten