Wenn der Papst um Hilfe bittet
Papst Franziskus will wissen, was katholische Familien bewegt - und Ute Eberl ist dabei: Die Familienreferentin ist neben Kardinal Reinhard Marx als einzige deutsche Teilnehmerin zur Sondersynode in Rom eingeladen. Für sie war das zunächst eine "Schrecksekunde".
Kirsten Dietrich: Ich habe vor dieser Sendung mit Ute Eberl gesprochen und sie gefragt, wie man den Teilnehmerin einer so illustren Veranstaltung wird.
Ute Eberl: Also es gab kein Assessment Center. Ich war auf Dienstreise und mein Handy war ... also das Telefon hat nicht funktioniert. Da bekomme ich eine SMS von unserem Generalvikar, und er schreibt mir, ob ich mir vorstellen kann, bei der außerordentlichen Synode dabei zu sein, Rom hätte mich eingeladen, mehr könne er mir nicht sagen dazu und ich sollte mich möglichst schnell entscheiden.
Das war eine Schrecksekunde und das war auch ein, hoppla, was ist denn jetzt passiert? Und ich habe dann zugesagt, und einige Wochen später habe ich dann einen dicken Umschlag aus Rom bekommen mit dem Ernennungsschreiben von Papst Franziskus und dass ich eben tatsächlich als Auditrix, als Hörerin bei dieser außerordentlichen Synode jetzt im Oktober dabei sein darf.
Dietrich: Das heißt, Sie sitzen sozusagen mit dabei, Sie haben jetzt nicht eigene Redezeit oder so was, sondern Sie sollen präsent sein und hören und Dinge weitergeben?
Eberl: Zunächst bin ich einfach mal als Hörerin da. Es gab dann auch Beschreibungen, dass die Dinge, die während der Synode besprochen werden, erst mal nicht zum Rumplaudern sind, weil nämlich das, was da besprochen wird, soll in aller Freiheit besprochen werden können, ohne Einschränkung. Das ist das eine. Das andere ist: Wenn es Zeit gibt, dann kann ich auch das Wort erheben.
"Diesmal hat er einen Zusatz gemacht"
Dietrich: Papst Franziskus hat sich so als erstes Thema für eben die erste große Bischofssynode, die er anregt, dieses Thema Familie auf die Agenda gesetzt. Ist das das Thema, aus Ihrer Erfahrung, das die katholischen Gläubigen am meisten umtreibt?
Eberl: Ich denke ja. Der Papst Franziskus hat ja im Vorfeld dieser außerordentlichen Synode eine, ich sage mal, Fragebogenaktion gestartet, also er hat ... Was üblich ist im Vorfeld – immer die Bischöfe zu befragen: Wie sieht es denn aus bei euch? Das passiert immer.
Aber diesmal hat er einen Zusatz gemacht, nämlich: Die Bischöfe sollen doch diese Fragebögen zur Situation der Familie, zur Lebenswirklichkeit der Familie weitergeben an die Pfarreien, an die Menschen, an alle die, die da mitsprechen wollen, die ihre Meinung dazu weitergeben wollen, ihre Lebenswirklichkeit beschreiben wollen. Und das hat was ausgelöst. Die Ergebnisse, die ja mittlerweile gesammelt sind und auch im sogenannten Instrumentum Laboris, das ist der Fachtitel dann, zusammengefügt sind, ...
Dietrich: Also das Vorbereitungsdokument für die Synode.
Eberl: ... genau, und zwar aus aller Welt, nicht nur aus Deutschland, sondern aus aller Welt sind mittlerweile eingegangen, und es hat was ausgelöst, also ich will mal fast sagen, so eine Art partizipatives Element, wovon wir jetzt sonst in der katholischen Kirche noch nicht so ganz überschüttet wurden. Das hat bei den Leuten zum Beispiel, die in Berlin geantwortet haben auf diesen Fragebogen, ausgelöst, ... Die ersten Sätze hießen immer: Wir sind total überrascht, dass wir gefragt sind, und das machen wir sehr gern, wir helfen mit. Wir haben unsere Aktion auch überschrieben mit "Papst Franziskus bittet um Mithilfe".
"So schnell kann es gar nicht gehen"
Dietrich: Es gab allerdings auch Kritik daran, dass nämlich die Sprache des Fragebogens, der ganze Duktus doch sehr innerhalb des kirchlichen Denkens und des kirchlichen Sprachgebrauchs verhaftet bleibe, also eher was für Insider dann doch sei.
Eberl: Da stimme ich Ihnen zu, und das haben die Leute auch, nachdem sie den Dank ausgedrückt haben, sofort gesagt, dass die Sprache dieses Fragebogens als auch die Zeitdauer zur Beantwortung eigentlich eine Frechheit ist. So schnell kann es gar nicht gehen.
Wir haben uns dann in Berlin entschieden mit Kardinal Woelki zusammen: Wir machen es trotzdem, so, wie es ist, weil die Zeit uns wegrennt. Vielleicht war das auch in Rom für die Kollegen dort überraschend, dass Papst Franziskus diese Idee hatte und es dann alles eben etwas schneller gehen musste.
Dietrich: Sie haben den Fragebogen im Berliner Erzbistum mit ausgewertet. Was sind denn so die Hauptthemen, die dann von den Antwortenden angesprochen sind? Was brennt da besonders unter den Nägeln?
Eberl: Also in den Fragebögen taucht häufig das Wort auf "irreguläre Lebenssituationen", und das sieht aus der Perspektive aus Rom vielleicht etwas anders aus als in Deutschland. Und da haben sich die Leute sehr dagegen gewehrt. Also ich denke an Patchworkfamilien, an Alleinerziehende, an Menschen, die nach einer Scheidung wieder geheiratet haben – das wurde stark moniert, weil sie es selber nicht als irregulär empfinden.
Zum Beispiel hat aus einer Gruppe, einer Pfarrei, die haben geschrieben: Wir sind hier sechs Familien und vier von uns sind sogenannte irreguläre, aber wir gestalten hier das Gemeindeleben. Ich fand diesen Drive wunderbar.
"Ich kenne fröhliche, irreguläre Familien"
Dietrich: Das heißt also, die Beobachtung, dass das, was das Familienleben, auch das katholische Familienleben im Alltag bestimmt, eigentlich gar nicht unter den doch relativ engen und klaren Rahmen passt, den das katholische Sakramentsverständnis vorstellt, nämlich dass Ehe, Vater, Mutter verheiratet und dann die Kinder sind?
Eberl: Es passt aber sehr wohl in die Inhalte, die da gelebt werden. Es geht ja um die Werte, die in einer Beziehung gelebt werden, die in einer Familie gelebt werden, die über die Generationen hinaus miteinander gelebt werden, und das wurde sehr deutlich besprochen.
Eine Frau sagte zum Beispiel: Ich kenne fröhliche, irreguläre Familien, die den Glauben verkünden an ihre Kinder und darüber hinaus, und ich kenne richtig katholische Familien, die möglicherweise gar nicht so fröhlich strahlen. Gleichzeitig haben sich aber natürlich auch Familien geäußert, die sagen: Ja, das ist unser Lebensmodell, die auf Ehe gegründete Familie, und wir sind dankbar, dass es gutgeht miteinander, und es ist wunderbar.
Dietrich: Das Thema, das, wenn es um Familienfragen in der katholischen Kirche geht, immer als erstes eigentlich, zurzeit jedenfalls, auftaucht, ist die Frage nach der Situation der Wiederverheirateten und Geschiedenen, also Menschen, die einen neuen Partner, eine neue Partnerin gefunden haben und deswegen dann zwar in der Gemeinde noch aktiv sein dürfen, aber eben nicht mehr die Mahlfeier im Gottesdienst mitmachen dürfen. Denken Sie auch, dass das so eines der zentralen Themen sein wird?
Eberl: Das Thema steht im Instrumentum Laboris dick drin, also es wird, denke ich, schon ein Thema sein. Ich glaube aber auch, dass es – es ist ja eine weltweite Synode – in anderen Ländern nicht diese Herausforderung ist wie hier in Deutschland. Also das ist vielleicht ganz wichtig, das immer im Hinterkopf zu haben.
Wir haben neben diesem Thema auch Themen stehen wie die Polygenie in manchen Ländern oder Themen wie, dass die strukturellen Rahmenbedingungen für Familien katastrophal sind, also Armut und so. Das steht alles nebeneinander. Aber ich denke, in Deutschland ist das ein herausforderndes Thema, allerdings auch nicht für alle Menschen, die in dieser Situation leben. Manche leiden furchtbar drunter, andere haben für sich eine Entscheidung getroffen, und wieder andere sprechen mit dem Ortspfarrer und mal gucken, was da geht.
"Manchmal geht es schlicht und einfach um die Spülmaschine"
Dietrich: Was sind denn so die Familienthemen, die Ihnen in Ihrer Arbeit am häufigsten begegnen?
Eberl: Die große Kunst des Zusammenlebens, die ja ... In Deutschland oder ich denke in Europa, weil wir eine Vorstellung von Partnerschaft haben, die auf Augenhöhe miteinander funktionieren soll, sind das die herausfordernden Themen.
Bis vor Kurzem gab es noch so eine Werbung, die hieß immer: "Unterm Strich zähl' ich", und ich sage: Wer Partnerschaft lebt oder wer Familie lebt, der streicht das ganz fett durch, weil unterm Strich zählen wir. Und das wollen die Menschen auch leben, sie wollen füreinander da sein – und es ist manchmal in diesen Rahmenbedingungen gar nicht so einfach. Manchmal geht es schlicht und einfach um die Spülmaschine und wer die ausräumt.
Dietrich: Die Kunst des Zusammenlebens, das Thema Ihrer Arbeit – spiegelt sich das in dem, was Rom vorher wissen wollte, also in den Fragen des Fragebogens?
Eberl: Es spiegelt sich schon wieder, weil zum Beispiel die Situation in Deutschland häufig verglichen wird mit der in Nordamerika. Dann kommen natürlich von vielen Seiten diese Fragestellungen. Also wie kann es heute gelingen unter je unterschiedlichen politischen Bedingungen, dass Partnerschaft und Familie gelebt werden kann? Und zu unserem Eheverständnis gehört, dass Ehe eine personale Beziehung ist, also nichts Statisches, sondern etwas, was in Bewegung ist, was sich zusammen ändert, verwächst – und das ist eine Herausforderung für die Menschen.
"In Loyalität, Treue und in Verlässlichkeit miteinander alt werden"
Dietrich: Ist es leicht, dann dieses katholische, sakramentale Verständnis von der Ehe zu vermitteln nach außen?
Eberl: Ich bin hier in Berlin für die Ehevorbereitung zuständig, das ist ein Angebot in der katholischen Kirche für Paare, die heiraten wollen. In Berlin ist es so, dass Menschen aus der ganzen Welt hier versammelt sind, so wie unsere Stadt eben ist, also mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, manche auch, ich sage mal so, mit einem kleinen Messer in der Tasche – was wird uns die Kirche jetzt hier wohl erzählen, was wir machen müssen oder so. Und dann beginne ich ganz anders. Ich frage nämlich die Menschen erst, die Paare erst: Was sind denn die Werte, die ihr leben wollt in eurer Partnerschaft? Sammelt es mal, schaut mal, was so euer Fundament wäre, was ganz, ganz wichtig ist, und schaut mal, was vielleicht wenig wichtig ist.
Und das für mich immer wieder Schöne, Überraschende ist: Was die Menschen wollen, ist in Loyalität, Treue und in Verlässlichkeit miteinander alt werden. In der Kirchensprache heißt es, ein Leben lang die Treue wahren, Paare heute formulieren es eher so, in Achtung und Respekt und in gegenseitiger Verlässlichkeit miteinander leben. Menschen, die sich heute entscheiden für die Ehe, die wollen genau das, was sie dann im Eheversprechen versprechen. Dass das Leben dann manchmal anders spielt, ist eine andere Sache. Aber dieser Duktus, dieser Impuls, der ist auf alle Fälle da, und ich denke, die Jugendstudien bestätigen es genauso.
Dietrich: Das heißt, das Schwierige ist eigentlich gar nicht die Erwartung, die von der katholischen Ehevorstellung ausgeht, sondern das Schwierige ist eher, die Realität da mit einzubeziehen, die eben das kennt, dass trotz aller großen Erwartung Ehen auch scheitern können?
Eberl: Genau.
Dietrich: Die evangelische Kirche, die hat sich ja gerade ziemlich gründlich zerstritten bei dem Versuch, Familie weiter zu fassen, das Familienverständnis offener zu diskutieren. Spielte diese Debatte bei Ihrer Vorbereitung eine Rolle?
Eberl: Ich kenne natürlich das Dokument und die Diskussionen, die es jetzt auch gibt in der evangelischen Kirche. Ich denke, die Synode, die jetzt ansteht, die hat es anders angepackt mit dieser Befragung, weltweit bei uns ja auch, richtig bis ganz nach unten sozusagen. Und die evangelische Studie und die Zerreißprobe, die ich da auch jetzt sehe bei meinen Schwestern und Brüdern in der evangelischen Kirche, ist schon eine Herausforderung. Und so wie ich das mitbekommen habe, wird das auch weiter diskutiert.
"Dann schmeißen wir das zusammen und gucken noch mal"
Dietrich: Zeigt aber auf jeden Fall, dass gerade in den Kirchen diese Frage nach Sexualmoral, nach dem, was Familie ausmacht, wirklich ein ganz brennendes Thema ist.
Eberl: Genau.
Dietrich: An welchem Punkt sehen Sie denn den dringendsten Handlungsbedarf?
Eberl: Wenn ich auf die Synode blicke und auf diese unterschiedlichen kulturellen und politischen Gegebenheiten auf der ganzen Welt, könnte ich mir gut vorstellen – wünschen darf man sich ja was –, dass Papst Franziskus sagt: So, ihr Bischöfe in diesem Land setzt euch jetzt mal zusammen und überlegt euch, wie ihr das jetzt genau machen wollt in eurer Pastorale, und ihr Bischöfe in diesem Land überlegt euch, wie es für euch richtig ist und stimmig ist, und dann schmeißen wir das zusammen und gucken noch mal.
Dietrich: Ute Eberl leitet die Ehe- und Familienseelsorge im Erzbistum Berlin und nimmt als Zuhörerin an der sogenannten Familiensynode der katholischen Bischöfe in Rom teil.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.