Andreas Bernard: Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014
544 Seiten, 21,99 Euro.
Wie hat die Reproduktionsmedizin unsere Sicht auf das Kinderkriegen verändert?
Rund 10.000 Babys werden hierzulande jährlich nach einer künstlichen Befruchtung geboren. Der gesellschaftliche Umgang mit ungewollter Kinderlosigkeit hat sich völlig verändert, sagen Experten. Die Erwartungen an die Medizin sind groß.
"In den letzten 30 Jahren hat sich fundamental verändert, wie unsere Gesellschaft mit Unfruchtbarkeit und Kinderlosigkeit umgeht",
sagt Andreas Bernard, Journalist und Kulturwissenschaftler am Centre for Digital Cultures der Leuphana Universität Lüneburg. Für sein neuestes Buch "Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie" recherchierte er in Samenbanken und Laboren, sprach mit kinderlosen Paaren, Eltern, Spendern und Medizinern – und befragte auch Spenderkinder, wie sie mit der Situation umgehen.
Seine Beobachtung:
"Ungewollte Kinderlosigkeit wird, glaube ich, nicht mehr so leicht akzeptiert. Ein unfruchtbares Paar, das heute Rat bei Ärzten oder Freunden sucht, hört schnell: 'Da kann man doch was machen!' Immer wieder stößt man bei Problemen mit der Fortpflanzung inzwischen auf diese Castingshow-Rhetorik: 'Ihr könnt es schaffen, ihr müsst nur ein bisschen Arbeit investieren!' Wenn es in der Reproduktionsklinik nicht klappt, dann ist der nächste Schritt eben die Eizellspenderin im Ausland."
Den Kulturwissenschaftler interessiert besonders, wie die neuen medizinischen Techniken das Familiengefüge beeinflussen.
"Nehmen Sie das Familien-, das Erbrecht – alles ist nach der Folge des Blutrechts geregelt. Aber auf ganz viele Familien trifft dies nicht mehr zu. Und wie geht eine Gesellschaft damit um?"
"Die beste Zeit, ein Kind zu bekommen, liegt bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, ab 30 geht die natürliche Fruchtbarkeit bereits merklich nach unten",
sagt Prof. Dr. Heribert Kentenich, einer der bekanntesten Reproduktionsmediziner Deutschlands und Leiter des Fertility Centers Berlin.
"Eine 41-jährige Frau hat nur noch ein Prozent der Eizellen, die sie bei der Geburt hatte. Und diese ein Prozent sind nicht die besten – und das ist ein Problem."
In mehr als 30 Jahren hat der Mediziner tausenden von Paaren zu einem Kind verhelfen können. Aber auch er gerät oft an medizinische Grenzen:
"Sie erwarten das Unmögliche von uns und sind furchtbar enttäuscht, wenn es unmöglich bleibt." Eine Frau habe bei drei Befruchtungsversuchen eine Wahrscheinlichkeit von sechzig bis siebzig Prozent, dass sie schwanger wird.
"Das ist eine ganze Menge, aber das ist keine Garantie. Die Machbarkeit steht zu sehr im Vordergrund. Die Menschen denken, wir können ihnen helfen, wie bei einem entzündeten Blinddarm oder bei einem Husten. Dabei kriegen wir nur 50 Prozent erfolgreich durch die Kinderwunschbehandlung. Wir müssen also immer parallel dazu diskutieren, dass eine Frau nicht schwanger wird, und das Leben weiter gehen muss."
Der Frauenarzt plädiert für eine Liberalisierung des Embryonenschutzgesetzes, dass in Deutschland auch die Eizellenspende und Leihmutterschaft erlaubt sein sollten:
"Wenn wir positiv darüber nachdenken, kann man viele Fehler vermeiden, die im Ausland gemacht werden: Man sollte die Frauen nicht ausbeuten, man muss die finanzielle Frage klären. Man könnte dies ähnlich positiv regeln wie in England. Sie erlauben es unter ganz bestimmten Regeln."
Kinder aus der Retorte – Licht und Schatten der Reproduktionsmedizin. Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9:05 Uhr bis 11 Uhr mit Andreas Bernard und Heribert Kentenich. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail und gespraech@deutschlandradiokultur.de.