Familienalltag in der Hölle
Das neu eröffnete Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors" in Berlin zeigt erstmals Bilder jüdischer Fotografen aus dem Getto Litzmannstadt im polnischen Lodz. Diese Fotos waren sogar Fachleuten bisher nahezu unbekannt.
Sofort, wenn man die Ausstellung betritt, fallen sie dem Betrachter ins Auge: Zwei mal zwei Meter große Bilder, beklemmende Schwarz-Weiß-Porträts von abgemagerten und kranken Menschen, die auf dem Weg in die Vernichtungslager Auschwitz und Kulmhof sind. Beladen mit ihren letzten Habseligkeiten, verlassen sie in einem endlos scheinenden Treck das Getto Litzmannstadt, wie das polnische Lodz ab 1940 von den deutschen Besatzern genannt wurde.
Es sind Fotos von jüdischen Berufsfotografen, die der - von der deutschen Besatzungsmacht installierte – Judenrat beauftragt hat, um die NS-Behörden von der Nützlichkeit des Gettos zu überzeugen. Eindringliche Bilder, die jetzt zum ersten Mal überhaupt in einer Ausstellung zu sehen sind.
"Ja ich denke es gibt den offiziellen Auftrag des Judenrates zu zeigen, wie die Arbeit funktioniert hat, wie die Krankenversorgung, die Kinderversorgung, wie das Soziale funktioniert hat. Darüber hinaus scheint es so zu sein, dass die elf Fotografen die das insgesamt waren, auch Bilder, die eher privaten Charakter hatten, dazu getan haben."
Mit aller Verzweiflung – so Kurator Thomas Lutz - wollten die Bewohner die Bedeutung des Gettos Litzmannstadt für die deutsche Kriegswirtschaft herausstreichen. Warf doch die Produktion des Gettos für die Deutschen ansehnliche Gewinne ab. So ließen hier beispielsweise Textil-Firmen wie Josef Neckermann, Leineweber oder das Hamburger Alsterhaus Teile ihrer Konfektion anfertigen.
Mit den Fotografien hofften die Bewohner sehnsüchtig, gegenüber den deutschen Besatzungsbehörden die Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit des Gettos nachweisen zu können. Um letztlich die Auflösung des Gettos und die Deportation der Menschen in die Vernichtungslager zu verhindern. Ein Kalkül das nicht aufging, wie man weiß.
"Man kann sich die Bilder ansehen, man kann darüber forschen, aber das ist eine dermaßen exzeptionelle Situation, die sich einem Nachvollzug ohne diese Perspektive entzieht. Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt, zu sagen, wir gucken ganz genau hin und beschränken uns auf die Perspektive, die jüdische Fotografen vom Getto selbst gemacht haben."
So der Historiker und Ausstellungsmacher Ingo Loose.
Bilder vom Leben der Juden sind in unserem kollektiven Bildgedächtnis bis heute durch die Täterperspektive der Nazis geprägt. Ansichten heruntergekommener ostjüdischer Schtetls oder der bärtige Jude mit Schläfenlocken. Gängige Motive, die sich festgesetzt haben. Zu sehen sind keine einzelnen Menschen, stattdessen existieren stereotype demütigende Gruppendarstellungen. Bilder, die bis heute über eine große symbolische Kraft verfügen, so Ingo Loose:
"Was wir heute mit Ostjuden oder den orthodoxen Juden assoziieren, geht ganz ohne Zweifel, in erheblichem Maße, genau auf diese Bildtradition zurück, die damals geprägt wurde. Die Geschichte der Bilder des Ostjudens sind natürlich älter, wurden aber ganz massiv von den Nationalsozialisten geprägt und verstärkt. Mit diesem Gepäck leben wir heute noch."
Im Unterschied zu den stereotypen Bildern der Nazis sind die wiederentdeckten Bilder der jüdischen Fotografen authentische Zeugnisse des Alltags im Getto Litzmannstadt. Sie sprechen eine andere Sprache und präsentieren eine differenzierte Sicht.
"Und das können sie dann sehen, wenn sie solche Bilder nebeneinanderlegen. Die fast 12.000 Bilder der jüdischen Fotografen, den Bestand, den wir hier verwendet haben; da werden sie zwei oder drei Bilder finden, auf den gewissermaßen bärtige Juden abgebildet sind. Diese Unterschiede lassen sich bei verschiedenen Motivgruppen beinahe beliebig erweitern."
Ein Hauptmotiv der Berufsfotografen, die ja selbst eingesperrt waren, und ihre Mitbürger stets mit Empathie und Einfühlungsvermögen gezeigt haben, sind Kinder. Wie sie fröhlich im Schnee spielen oder mit lachenden Gesichtern im Schatten der gleißenden Sonne tanzen.
"Das war ein sehr großes Anliegen der Fotografen, weil sie darin natürlich auch ihre Zukunft gesehen haben. Und ich denke bei den Kindern wird auch in ihren Blicken die Zweischneidigkeit deutlich. Also wenn sie was zu essen haben, lächeln sie auch. Oder sie spielen Ringelreih und versuchen für einen Moment, das Leben zu vergessen."
Das ist so etwas wie das Hauptmotiv des Gesichts des Gettos, so Thomas Lutz, Mitarbeiter des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors. Man erkennt das kleine Glück des Alltags. Die Menschen sind heiter, es wird gelacht, an einer Stelle sieht man gar eine Hochzeitsgesellschaft. Bilder, die für den Betrachter mitunter schwer zu verdauen, und letztlich auch so bedrückend sind, weil man weiß, dass später fast alle brutal ermordet werden.
Von den Fotografen selbst weiß man heute wenig bis gar nichts. Einer von ihnen war Mendel Grosman. Offiziell fertigte er Passbilder.
"Grosman überlebt nicht. Seine Bilder werden aufgefunden, gehen aber dann durch den Unabhängigkeitskrieg 1948 in Israel größtenteils verloren. Henryk Gross überlebt, findet seine Bilder wieder, die er selbst versteckt hat. Lebte noch einige Jahre in Polen und emigriert 1956 nach Israel. Er ist etwas präsenter, unter anderem weil er im Eichmann-Prozess aussagt …"
…und dessen Bilder wichtige Beweismittel waren. Nochmal Ingo Loose:
"Ich glaube, die Bilder hier könnten ein Stückchen dazu beitragen, zu sehen, dass es jüdisches Leben gab. Auch in einer so ungewöhnlichen und heute so schwer zu verstehenden Situation wie in einem Getto. Das ist ein ganz wichtiger Lerneffekt. Was einen ansprechen kann. Und dass es die Klischees konterkariert und hoffentlich mithilft, solche Klischees zu überwinden."
Die Fotografien der jüdischen Fotografen im Getto Litzmannstadt dokumentieren nicht nur die beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten. Sie sind eindrucksvolle Zeugnisse von Menschen, die in den Gettos versucht haben, mit Würde und Menschlichkeit zu überleben.
Es sind Fotos von jüdischen Berufsfotografen, die der - von der deutschen Besatzungsmacht installierte – Judenrat beauftragt hat, um die NS-Behörden von der Nützlichkeit des Gettos zu überzeugen. Eindringliche Bilder, die jetzt zum ersten Mal überhaupt in einer Ausstellung zu sehen sind.
"Ja ich denke es gibt den offiziellen Auftrag des Judenrates zu zeigen, wie die Arbeit funktioniert hat, wie die Krankenversorgung, die Kinderversorgung, wie das Soziale funktioniert hat. Darüber hinaus scheint es so zu sein, dass die elf Fotografen die das insgesamt waren, auch Bilder, die eher privaten Charakter hatten, dazu getan haben."
Mit aller Verzweiflung – so Kurator Thomas Lutz - wollten die Bewohner die Bedeutung des Gettos Litzmannstadt für die deutsche Kriegswirtschaft herausstreichen. Warf doch die Produktion des Gettos für die Deutschen ansehnliche Gewinne ab. So ließen hier beispielsweise Textil-Firmen wie Josef Neckermann, Leineweber oder das Hamburger Alsterhaus Teile ihrer Konfektion anfertigen.
Mit den Fotografien hofften die Bewohner sehnsüchtig, gegenüber den deutschen Besatzungsbehörden die Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit des Gettos nachweisen zu können. Um letztlich die Auflösung des Gettos und die Deportation der Menschen in die Vernichtungslager zu verhindern. Ein Kalkül das nicht aufging, wie man weiß.
"Man kann sich die Bilder ansehen, man kann darüber forschen, aber das ist eine dermaßen exzeptionelle Situation, die sich einem Nachvollzug ohne diese Perspektive entzieht. Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt, zu sagen, wir gucken ganz genau hin und beschränken uns auf die Perspektive, die jüdische Fotografen vom Getto selbst gemacht haben."
So der Historiker und Ausstellungsmacher Ingo Loose.
Bilder vom Leben der Juden sind in unserem kollektiven Bildgedächtnis bis heute durch die Täterperspektive der Nazis geprägt. Ansichten heruntergekommener ostjüdischer Schtetls oder der bärtige Jude mit Schläfenlocken. Gängige Motive, die sich festgesetzt haben. Zu sehen sind keine einzelnen Menschen, stattdessen existieren stereotype demütigende Gruppendarstellungen. Bilder, die bis heute über eine große symbolische Kraft verfügen, so Ingo Loose:
"Was wir heute mit Ostjuden oder den orthodoxen Juden assoziieren, geht ganz ohne Zweifel, in erheblichem Maße, genau auf diese Bildtradition zurück, die damals geprägt wurde. Die Geschichte der Bilder des Ostjudens sind natürlich älter, wurden aber ganz massiv von den Nationalsozialisten geprägt und verstärkt. Mit diesem Gepäck leben wir heute noch."
Im Unterschied zu den stereotypen Bildern der Nazis sind die wiederentdeckten Bilder der jüdischen Fotografen authentische Zeugnisse des Alltags im Getto Litzmannstadt. Sie sprechen eine andere Sprache und präsentieren eine differenzierte Sicht.
"Und das können sie dann sehen, wenn sie solche Bilder nebeneinanderlegen. Die fast 12.000 Bilder der jüdischen Fotografen, den Bestand, den wir hier verwendet haben; da werden sie zwei oder drei Bilder finden, auf den gewissermaßen bärtige Juden abgebildet sind. Diese Unterschiede lassen sich bei verschiedenen Motivgruppen beinahe beliebig erweitern."
Ein Hauptmotiv der Berufsfotografen, die ja selbst eingesperrt waren, und ihre Mitbürger stets mit Empathie und Einfühlungsvermögen gezeigt haben, sind Kinder. Wie sie fröhlich im Schnee spielen oder mit lachenden Gesichtern im Schatten der gleißenden Sonne tanzen.
"Das war ein sehr großes Anliegen der Fotografen, weil sie darin natürlich auch ihre Zukunft gesehen haben. Und ich denke bei den Kindern wird auch in ihren Blicken die Zweischneidigkeit deutlich. Also wenn sie was zu essen haben, lächeln sie auch. Oder sie spielen Ringelreih und versuchen für einen Moment, das Leben zu vergessen."
Das ist so etwas wie das Hauptmotiv des Gesichts des Gettos, so Thomas Lutz, Mitarbeiter des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors. Man erkennt das kleine Glück des Alltags. Die Menschen sind heiter, es wird gelacht, an einer Stelle sieht man gar eine Hochzeitsgesellschaft. Bilder, die für den Betrachter mitunter schwer zu verdauen, und letztlich auch so bedrückend sind, weil man weiß, dass später fast alle brutal ermordet werden.
Von den Fotografen selbst weiß man heute wenig bis gar nichts. Einer von ihnen war Mendel Grosman. Offiziell fertigte er Passbilder.
"Grosman überlebt nicht. Seine Bilder werden aufgefunden, gehen aber dann durch den Unabhängigkeitskrieg 1948 in Israel größtenteils verloren. Henryk Gross überlebt, findet seine Bilder wieder, die er selbst versteckt hat. Lebte noch einige Jahre in Polen und emigriert 1956 nach Israel. Er ist etwas präsenter, unter anderem weil er im Eichmann-Prozess aussagt …"
…und dessen Bilder wichtige Beweismittel waren. Nochmal Ingo Loose:
"Ich glaube, die Bilder hier könnten ein Stückchen dazu beitragen, zu sehen, dass es jüdisches Leben gab. Auch in einer so ungewöhnlichen und heute so schwer zu verstehenden Situation wie in einem Getto. Das ist ein ganz wichtiger Lerneffekt. Was einen ansprechen kann. Und dass es die Klischees konterkariert und hoffentlich mithilft, solche Klischees zu überwinden."
Die Fotografien der jüdischen Fotografen im Getto Litzmannstadt dokumentieren nicht nur die beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten. Sie sind eindrucksvolle Zeugnisse von Menschen, die in den Gettos versucht haben, mit Würde und Menschlichkeit zu überleben.