Familienaufstellungen

Innere Bilder ohne Wahrheitsanspruch

32:32 Minuten
Therapeut und Patientin bei einer Familienaufstellung in der Heilpraktikerpraxis Ostertag in Stuttgart Plieningen
Die Grundannahme bei Familienaufstellungen ist immer, dass Menschen in ihren jeweiligen Systemen wie Familien oder Arbeitszusammenhängen verstrickt sind. © imago/Horst Rudel
Von Katja Bigalke |
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Familienaufstellungen sollen helfen, verdeckte psychische Muster zu erkennen. Bei professionellen Therapeuten sind die Verfahren jedoch höchst umstritten. Es gibt Aufsteller, die mehr Unheil anrichten, als dass sie helfen. Doch die Methode hat auch Potenzial.
"Hast du dir denn was überlegt?"
"Also, ich habe halt so ein Gefühl, was bei mir irgendwann im Leben aufgetaucht ist, das ich aber überhaupt nicht richtig in meiner eigenen Biografie so verankern kann. Nämlich irgendwann tauchte in meinem Leben so ein massiv schlechtes Gewissen für alle möglichen Dinge auf. Und das hat zugenommen, einfach so ab einem gewissen Alter und ging einher mit einem ziemlich abnehmenden Selbstwertgefühl. Also, dass ich das Gefühl hatte, in bestimmten Situationen immer nicht ausreichend zu sein...."
Das bin ich. Vor ein paar Monaten. Bei der ersten Familienaufstellung in meinem Leben. Ich stehe in einem Kreis mit etwa 25 weiteren Menschen, formuliere vor der Aufstellerin mein Anliegen. Ich möchte wissen, wie ich ein Gefühl loswerden kann, das mich seit Jahren plagt. Eine Freundin meint schon seit Langem, ich solle deswegen mal eine Familienaufstellung machen. Ich bin eher skeptisch. Aber warum nicht die Gelegenheit nutzen und den journalistischen Auftrag kombinieren mit einem Selbstversuch?

Stellvertreter auswählen – gar nicht so leicht

"Du suchst mal aus: Vater, Mutter und dich. Und dann gucke ich immer weiter. Geschlecht muss immer passen? Am besten ist es..."
Die Aufstellerin Subodhi Schweizer, eine psychotherapeutische Heilpraktikerin, bittet mich, aus dem Kreis der Anwesenden Stellvertreter für mich, meine Mutter und meinen Vater zu finden. Eine Aufgabe, die mir nicht ganz leicht fällt. Niemand hier ähnelt meinen echten Familienmitgliedern und so scheint mir meine Auswahl ein wenig beliebig. Eine empathisch wirkende Frau wird meine Mutter, ein kräftiger großer Mann wird, weil er eine gewisse Beständigkeit ausstrahlt, mein Vater, und für mich finde ich eine junge Frau, die freundlich und offen wirkt.
Ich stelle sie im Raum auf und werde dann gebeten zu erklären, was ich dabei empfinde.
"Warum wirkst du dabei so traurig?"
Dann werden weitere Familienmitglieder aufgestellt. Bruder, Mutter, Vater meiner Mutter. Subodhi Schweizer wählt sie aus. Lässt sie sich vor den Stellvertretern meiner Eltern auf den Boden legen.
"Großeltern, Onkel, mütterlicherseits. Okay, ihr müsst alle hier in meine Richtung rutschen. Du musst noch weiter rutschen. Jetzt müsst ihr alle neben ihr liegen."

Die Sendung ist eine Wiederholung vom 19.03.2020.

Die Szene berührt mich. Diese Oma, diesen Opa und diesen Onkel habe ich nie kennengelernt. Sie sind vor meiner Geburt ums Leben gekommen. Das ist keine neue Information. Aber das Bild vor mir zu sehen, erzeugt ein sehr unmittelbares Mitgefühl.
Subodhi Schweizer beschreibt die Haltungen der Stellvertreter, fragt sie nach ihrem Empfinden.
"Sie ist betroffen, aber sie fällt nicht um, muss ich mal kurz anmerken. Wie ist es für dich?"
"Ich falle nicht um, aber ich halte mich unglaublich zusammen. Ich habe Magenschmerzen und brauche alle meine Kraft, um nicht umzufallen, und fühle mich total lost, obwohl er so lächelnd neben mir steht."

Grundannahme: Menschen sind in Systemen verstrickt

Die Aufstellerin beobachtet die Szene, lässt die Stellvertreterin meiner Mutter ein paar Sätze zu den Stellvertretern ihrer Familie sagen. Dann werden weitere Stellvertreter in die Szene geholt. Repräsentanten für meine Schwestern und meinen Bruder. Subodhi Schweizer stellt sie in der Nähe meiner Stellvertreterin auf.
"Dann sag mal zu ihm: Ich bin so froh, dass es dich gibt!"
Die Art und Weise, wie Subodhi Schweizer mein Anliegen angeht, ist keine Ausnahme. Die Heilpraktikerin und Körpertherapeutin, die in Köln schon viele Jahre Aufstellungen durchführt, geht in ihrer Arbeit grundsätzlich so vor.
"Zunächst setze ich mich mit dem Klienten hin und höre mir an, was der mitbringt, was sein Anliegen ist. Ich höre das, was er mir erzählt, und ich höre, was in mir anschwingt und wo ich das Gefühl habe, das sind die Statisten, die wir für diese Aufstellung unter Umständen brauchen. Oft fange ich so an, dass ich lieber nicht zu viele aufstelle, sondern eher klein anfange und gucke, ob es vielleicht noch mehr braucht.
Und dann bleibe ich einfach nur offen. Dann beobachte ich die Bewegung, die in den Menschen passieren, nicht nur die körperlichen Bewegung, sondern ich beobachte auch die emotionalen Regungen oder die energetischen Regungen. Aus diesen Informationen ergibt sich der nächste Schritt. Das heißt, ich habe überhaupt keinen Plan, wo es hingeht. Ich weiß nicht, was die Lösung für dieses System sein wird."

Aber die Grundannahme ist immer, dass Menschen in ihren jeweiligen Systemen – das können Familien, aber auch Arbeitszusammenhänge sein – verstrickt sind. Dass irgendwo ein Ausgleich von Geben und Nehmen verletzt wurde.
"Es fängt schon damit an, dass der Klient die Statisten hinstellt. Dann entsteht ein bestimmtes Bild, und manchmal ist es schon fast genug, dieses Bild da stehen zu haben, weil man es anders wahrnimmt als in der inneren Welt. In der inneren Welt haben wir eine bestimmte Idee. Wenn wir es dann sehen, hat das schon mal eine ganz andere Kraft. Wenn das dann auch noch anfängt, sich zu bewegen und sich zu lösen, also aus der Verstrickung rauszukommen, dann hat es noch mehr Kraft. Und dadurch kann es anfangen, in uns zu wirken."

Erfahrungen wie bei Geisterbeschwörungen

Wie umgestellt wird beziehungsweise wie sich das jeweilige Bild verschiebt, ergibt sich spontan aus der jeweiligen Situation und aus den Informationen, die die Stellvertreter bereithalten.
"Und natürlich gibt es auch Statisten, die sehr verstrickt sind mit ihrer eigenen Geschichte. Aber dafür gibt es eben auch den Aufsteller, dass der eine gewisse Wachsamkeit auch dafür hat, was in den einzelnen Rollen passiert."
Was bei den Stellvertretern während so einer Aufstellung passieren kann, dazu gibt es unzählige Erfahrungsberichte. Mitunter klingen die wie Geisterbeschwörungen. Stellvertreter empfänden in der Position, in die sie gestellt würden, oft Dinge, von denen sie gar nichts wissen könnten, erzählt auch Ramateertha Doetsch, Arzt und Kollege von Subodhi Schweizer.
"Da stand ich in einer Rolle, wo derjenige, für den ich stand, dem war der Kopf zertrümmert worden von einem Gewehrkolben. Ja, und ich habe das empfunden in meinem Kopf. Ich sagte, 'was ist passiert, was in meiner linken Kopfhälfte?' Dann ist die Frau blass geworden, die diese Informationen hatte und sagte 'ja, genau, so ist der umgekommen.'"
Manchmal, so der Lehrtherapeut für Systemaufstellungen, entstünden bei Aufstellungen auch Bilder, die den Informationen des Klienten erst mal widersprächen.
"Ich erinnere mich an eine Aufstellung, das mache ich sehr selten. Das war ganz klar, dass eine der Geschwister... da habe ich mir die Klientel beiseite genommen und habe das gesagt: 'Es ist das Bild hier, dass dieses Kind missbraucht wurde.' Und dann wurde die sehr blass. Und dann sagt sie: 'Das hat die immer gesagt, und es hat ihr keiner geglaubt.' Und als dann diese Person erfuhr, dass das jemand gesagt hatte, dann war das für die unglaublich, dass es jemanden gab, der ihr sozusagen glaubte und sogar wusste, ohne dass er es gehört hatte, dass da tatsächlich Missbrauch stattgefunden hatte.
Das heißt, in diesem Feld treten diese Wahrheiten dadurch zutage, dass andere das übernehmen, die nicht auf die gleiche Weise daran interessiert sind, das unter dem Deckel zu halten."

Subjektives Empfinden und faktische Wirklichkeit

Wahrheit ist ein Begriff, den die psychologische Psychotherapeutin Astrid von Chamier nicht so gern im Zusammenhang mit Aufstellungen in den Mund nimmt. Und das, obwohl sie die Methode durchaus anwendet:
"Das Bild ist nicht die Wahrheit. Das Bild ist keine Abbildung der Realität. Zumindest keiner objektiven Realität, sondern nur ihrer inneren. In diesem jetzigen Moment."
Astrid von Chamier, die vor Kurzem als eine der ersten Psychologinnen in Berlin eine Approbation in systemischer Therapie erhalten hat, ist die Betonung des Unterschieds zwischen subjektivem Empfinden und faktischer Wirklichkeit extrem wichtig. Schließlich war es unter anderem der Wahrheitsbegriff, der in den 1990er-Jahren die Aufstellungspraxis insgesamt schwer in Verruf gebracht hatte.
Damals machte der ehemalige Priester Bert Hellinger mit seinen öffentlichen Aufstellungen Furore. Auf Massenveranstaltungen arbeitet er zum Teil mit psychisch kranken Menschen auf großer Bühne. Seine Interpretation des sogenannten "wissenden Feldes" ging zum Teil mit ganz konkreten, für die Betroffenen schwerwiegenden Lösungsanweisungen einher. Menschen mussten sich beschuldigen lassen, für ihre Krankheiten selbst verantwortlich zu sein. Klienten sollten demütigende Handlungen vollziehen, um aus ihren Verstrickungen heraus zu kommen, und gingen mitunter schwer geschädigt aus diesen Veranstaltungen nach Hause.
"Das hat verheerende Folgen ausgelöst, Menschen sind schwer depressiv geworden oder haben sich gar umgebracht, weil angeblich in einer Aufstellung deutlich geworden sei, dass der eigene Vater ein Mörder ist oder dass der eigene Vater gar nicht der eigene Vater ist. Oder oder oder oder. Das Problem ist, dass die Bilder, die in Aufstellungen aufgetaucht sind und die von Hellinger in einer bestimmten Weise gedeutet worden sind, sozusagen angebliche Wahrheiten zementiert haben, mit denen die Menschen nicht nur nicht umgehen konnten, sondern die ihnen jegliche Handlungsmöglichkeiten verschlossen haben, eigene Lösungswege zu finden."
Der umstrittene Familientherapeut Bert Hellinger im Gespräch mit dem ehemaligen TV-Pfarrer Jürgen Fliege bei einer Veranstaltung des evangelischen Kirchentages in Köln 2007.
2019 verstorben: der umstrittene Familientherapeut Bert Hellinger (li.) auf einer Veranstaltung des Evangelischen Kirchentags 2007 mit dem Fernsehpfarrer Jürgen Fliege.© imago / epd
Bert Hellinger polarisierte – von einer wachsenden Anhängerschaft wurde er schnell idealisiert, im akademischen Kontext hingegen distanzierte man sich von seinen dogmatischen Deutungen, den Unterwerfungsritualen oder auch den fragwürdigen Geschlechtervorstellungen, die in den Aufstellungen zu Tage traten. Anfang der Nullerjahre veröffentlichte die deutschen Gesellschaften für systemische Therapie Erklärungen, in denen viele von Hellingers Aussagen und Vorgehensweisen explizit als unvereinbar mit den grundlegenden Prämissen systemischer Therapie erklärt wurden.

An dem Namen Bert Hellinger kommt niemand vorbei

Und trotzdem wird jemand, der sich mit Familien- oder Systemaufstellungen beschäftigt, auch heute nicht an dem Namen Bert Hellinger vorbei kommen. Er hat die Aufstellungsarbeit in Deutschland geprägt und populär gemacht. Erfunden hat er sie aber nicht. Seine Ideen über Strukturen und Dynamiken in Familien waren auch damals inspiriert von längst praktizierten, familientherapeutischen Ansätzen. Das Psychodrama ist nur ein Beispiel, "das von Moreno begründet wurde und als eine der ersten Varianten gelten kann, in Gruppen Simulationsverfahren umzusetzen um mit mehreren Menschen familiäre Szenen oder bloß Lebensszenen zu rekonstruieren".
Das Psychodrama war eine wichtige Inspiration auch für Virginia Satir, die dann die Familien-Rekonstruktion beziehungsweise die Familien-Skulptur entwickelt hat. Also in der Rekonstruktion werden auch Rollen verteilt für einzelne Familienmitglieder, um das zu ermöglichen, dass die Familien selber sozusagen noch mal mehr wahrnehmen, wie sich eine bestimmte Konfliktsituationen darstellt. Da ist es aber doch mehr so, dass die einzelnen Darsteller sehr, sehr viele Informationen bekommen.
In der Aufstellungsarbeit neueren Datums, wie sie dann durch Bert Hellinger bekanntgeworden ist, sind sehr viel weniger Informationen da. Und er hat sehr klare Ideen darüber entwickelt, was richtig ist und was falsch ist. Und diese Deutungen hat er dann auch sehr dogmatisch und sehr provokant teils in den Aufstellungen vertreten und vermittelt."
Doch auch schon vor Hellinger hatte sich der Blick auch in der Psychotherapie längst weg vom Individuum hin zu den Beziehungen geöffnet.
"Das heißt, in dem Moment, wo ich den Blick auf die Beziehungen und Beziehungssysteme richte, in denen bestimmte Probleme entstehen, erweitere ich auch mein Verständnis für Zusammenhänge. Das erlaubt es den Betroffenen von außen, einen Blick auf das zu werfen, was sie täglich erleben oder was sich womöglich in ihrem Inneren abspielt. Und das ist immer hilfreich.
Deswegen gibt es Theater, weil Menschen immer versucht haben, Grundthemen, Grundkonflikte, die sie erleben, in Form von Geschichten sozusagen auf die Bühne zu bringen und dann dadurch – Aristoteles hat das Katharsis genannt – Reinigungseffekte zu erzielen."

Die Gefühle der Stellvertreterinnen und Stellvertreter

"Es löst sich was, super, und ich fühle mich beweglicher, habe das Gefühl, dass die dahinten, dass ich sie auch nicht mehr tragen möchte."
In meiner Aufstellung geht es meiner Stellvertreterin nach gut 20 Minuten etwas besser an ihrem Platz. Sie soll sich dort von den Stellvertretern meiner Eltern hin zu den Stellvertretern meiner Geschwister drehen.
"Das machen wir jetzt mal so, dass du denen das sagen kannst, dass sie dich sehen können."
Interessant für mich ist, dass meine Stellvertreterin auf einmal sagt, sie hätte die kleinere Schwester gar nicht in der Reihe gesehen.
"Du hast nur eine gesehen, guck an – da sind noch zwei verständlicherweise, die ist zehn Jahre jünger als du, da warst du schon auf einem anderen Planeten. Das sind deine drei Geschwister: ein Bruder und drei Schwestern."
Meine Stellvertreterin wird traurig.
"Ich habe sie gar nicht kennengelernt, gar nicht mitbekommen."
"Die Kleinste?"
"Ja."
"Und findet ihr das so ganz schlimm?"
"Darf ich mal was sagen? Ich habe hier meine Schwester in der Hand und sie hat meine Hand genommen und hält die ganz eng und das tut mir so gut, ich bin so nah mit ihr..."
"Dann guckst du jetzt mal die Große an und sagst ihr: 'Ich gehöre dazu.'"
"Natürlich."
Für mich ist diese Szene spannend, nicht weil sie unbedingt neue Informationen mit sich brächte, sondern weil ich diese Informationen noch nie so geordnet habe. Es kommt eine neue Perspektive hinzu. Meine Stellvertreterin stellt sich um.

Hilfreiche Erfahrung eines Perspektivwechsels

Viele Menschen berichten, dass die Erfahrung solch eines Perspektivwechsels ihnen die Möglichkeiten gibt, etwas zu ändern und damit auch in ihrem Umfeld etwas zu bewegen. Diese oft beschriebene Wirksamkeit von Aufstellungen wurde mittlerweile auch in Studien untersucht. Von einem so genannten "wissenden Feld" ist hier allerdings nicht die Rede. Sondern vielmehr von repräsentativer Wahrnehmung.
"Das lässt sich sehr wohl empirisch überprüfen, und zwar, indem man verschiedene Menschen immer wieder in dieselbe Aufstellung gehen lässt. Das hat Peter Schlötter gemacht. Mit Figuren, die halt positioniert wurden. Und er Hunderte Menschen immer in dieselbe Konstellation geführt und angeschaut hat: Gibt es da Übereinstimmung? Und die gab's!"
Gemeinsam mit drei weiteren systemtherapeutisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen wollte der Psychologe Jan Weinhold wissen, ob sich der Zustand der Klienten nach Aufstellungen nachweislich verbessere. Er ließ 200 Menschen als Aufstellende oder Beobachtende zeitlich versetzt an acht Aufstellungsseminaren am Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg teilnehmen.
"Wir haben dann eine Studie designt, die sozusagen streng wissenschaftlichen Richtlinien genügt, nämlich ich hab eine Interventionsgruppe und ich hab eine Kontrollgruppe. Und haben dann geschaut mittels psychologischer Fragebögen, zwei Wochen nach dem Aufstellungsseminar, vier Monate nach dem Aufstellungsseminar.
Unsere Intervention, wenn Sie so mögen, war ein dreitägiges Seminar und jeder wurde einmal aufgestellt. Es war sozusagen Aufstellung gegen Nichtaufstellung. Wir haben dann bei der Vergleichsgruppe, nachdem sie ihre Seminare bekommen, auch nochmal nach zwei Wochen, nach vier Monaten gefragt und haben diese beiden Stichproben dann kumuliert."

Studie zeigte Verbesserungen durch Aufstellungen

Im Anschluss an die Aufstellungen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu drei Bereichen abgefragt: zum allgemeinen psychischen Befinden, zum Erleben im eigenen System, also der Familie zum Beispiel, und dann zur Frage, inwiefern sie das Ziel der Aufstellung umsetzen konnten.
"Es waren Ziele wie zum Beispiel: 'Ich möchte mit meinem Vater, der seit 35 Jahren tot ist, Frieden schließen können.' Oder auch: 'Ich möchte mir klarer werden über meine beruflichen Erfolgsblockaden' oder 'ich hätte gern weniger Katastrophenfantasien bezogen auf mein Kind, Zukunft, Alter' oder 'ich möchte in einer freundlichen Distanz zu meinen Eltern leben'. Das waren so, im Original formuliert, die Ziele aus unserer Studie."
Nach Auswertung der Fragebögen zeigte sich, dass sich alle drei Bereiche verbessert hatten, sowohl nach zwei Wochen als auch nach vier Monaten, sowohl in der Interventions- als auch in der Kontrollgruppe, nachdem diese dann auch an Aufstellungen teilgenommen hatte.
"Es hat sich gezeigt, dass die Gruppe Verbesserung hatte im leichten bis mittleren Bereich. Das ist keine Wunderwaffe. Es kann bestimmten Menschen in bestimmten Situationen wirklich helfen, so unsere Erfahrung, und das zeigt sich auch immer wieder. Nur es war wissenschaftlich gesprochen, statistisch gesprochen, nicht so wirksam wie wirklich eine Langzeittherapie. Was jetzt nicht verwundert."
Außerdem, so Jan Weinhold, sei das Setting der Untersuchung ein Besonderes gewesen. So hätte ein Großteil der Klienten schon vor der Untersuchung Erfahrungen mit Aufstellungen gehabt. Und die Aufsteller seien als Diplom-Psychologin und Arzt für Psychiatrie auch besonders qualifiziert gewesen.
"Wir können die Ergebnisse von unserer Studie nicht generalisieren. Es waren einfach sehr gute Therapeuten, die das gemacht haben. Und es war ein bestimmtes Klientel, die an der Studie teilgenommen hat."

Buntes Bild von Aufstellenden

Nur – wie findet man gute Therapeuten und Aufstellerinnen? Der Hinweis, nach "systemischen" Aufstellungen zu suchen, erweist sich in der Praxis als wenig hilfreich, bezeichnen sich mittlerweile fast alle der geschätzt 2000 Aufsteller in Deutschland als "systemisch". Mit einer Ausbildung an einem der anerkannten Institute für systemische Therapie hat das allerdings selten etwas zu tun.
Stattdessen ergibt sich ein buntes Bild von Aufstellerinnen und Aufstellern aus unterschiedlichsten Berufsgruppen, die zum Teil schamanisch arbeiten, nach Hellinger oder nach der patentierten Methode der systemischen Strukturaufstellung. Hier Orientierung bieten will die Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellungen, kurz DGfS.
"Die ist 2004 gegründet wurden. Und die Ziele sind natürlich, dass man Qualitätskriterien festlegt, was sollte jemand können oder gelernt haben, was muss jemand wissen, damit er einigermaßen gut aufstellen kann."
Christopher Bodirsky ist Vorsitzender der DGfS. Er kommt aus der IT-Branche und hat selbst eine Ausbildung zum systemischen Strukturaufsteller gemacht.
"Das ist ein Verfahren, was Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd entwickelt haben. Matthias Varga von Kibéd ist Professor für Logik und Mathematik und Wirtschaftswissenschaften und er hat eine Grammatik entwickelt, in den letzten 30 Jahren. Also ein Regelwerk, eine Sprache, die neben dem gesprochenen Wort auch Winkel, Abstände, Blickrichtungen mit beinhaltet, sodass man das gut lernen kann. Man könnte sagen: eine handwerklich eher nüchterne Methode, wenn man sich das Spektrum ansieht."

Über 400 anerkannte Systemaufsteller

Und das Spektrum, das die über 400 anerkannten Systemaufsteller der DGfS bedienen, ist, zumindest was den beruflichen Hintergrund angeht, durchaus groß. Alle Mitglieder des DGfS zeichnet allerdings eines aus:
"Man muss einen Grundberuf haben, mit einer mehrjährigen Erfahrung, Beratungskompetenz, um Menschen in Gruppen begleiten zu können. Wir haben inzwischen eine zweijährige anerkannte Weiterbildung innerhalb der DGfS für die Aufstellungsarbeit. Die muss durchlaufen worden sein von einem anerkannten Weiterbildenden.
Da gibt‘s ein Grundkonzept, was mindestens drin sein muss: Das sind dann mindestens 30 Tage Theorie und in der Praxis fünf Tage Arbeit in der Peer Group, sechs Tage Hospitationen. Man muss einige eigene Aufstellungen absolviert haben. Und es gibt dann die üblichen Verpflichtungen, pro Jahr so und so viele Stunden Supervision, Interventionen zu machen."

Aus eigener Erfahrung würde Bodirsky noch einen weiteren Punkt hinzufügen, der seiner Meinung nach für eine gute Aufstellungspraxis spricht.
Verschiedene Playmobil und Holzfigürchen werden im Rahmen einer Therapiesitzung auf einer Oberfläche angeordnet.
Bei einer Familienaufstellung braucht es nicht unbedingt lebendige "Stellvertreter". Playmobil- oder Holzfiguren tun es auch.© imago / epd / Werner Krueper
"Das separate Vorgespräch, das halte ich für ganz, ganz wichtig. Weil, es gibt Thematiken, wo man sagen muss: Tut mir leid, da bin ich der falsche. Da müssen Sie woanders hingehen, vielleicht in eine Psychotherapie. Wenn wahnhafte Vorstellungen vorhanden sind, Persönlichkeitsstörungen, würde ich unbedingt sagen: um Gottes willen keine Aufstellung machen.
Ich hatte auch mal jemand, also wenn orakelhaft was gewünscht wird - 'ich möchte durch eine Aufstellung wissen, ob mich mein Vater missbraucht hat oder nicht' - habe ich auch gesagt, tut mir leid, da ist die Aufstellung das falsche Mittel. Und dann wird leider manchmal doch aufgestellt. Und dann passieren diese Sachen."
"Sachen", mit denen sich Menschen dann bei der Ombudsfrau des DGfS melden können. Allerdings melde sich hier selten jemand, meint Bodirsky. Aufstellungsgeschädigte landen über Umwege eher bei der Sekteninfo in Nordrhein-Westfalen. Die hat immer mal wieder mit Menschen zu tun, die auf einmal nicht mehr glauben, dass der Vater der leiblicher Vater ist, und sich nur noch durch Gentests eines Besseren belehren lassen. Mit depressiven Jugendlichen, die von ihren Eltern ständig auf Aufstellungen mitgeschleppt wurden.

Problematische Folgen von Aufstellungsrichtlinien

Auch Sibylle wurde irgendwann hierhin vermittelt. Ihren richtigen Namen will sie nicht nennen, weil die Geschichte mit dem Mann, in die sie und ihre beiden Kinder über Familienaufstellungen hineingerutscht sind, vor Gericht immer noch nicht ganz durchgestanden ist.
"Ich war geschieden und lernte dann einen neuen Mann kennen. Und das war eine ganz glückliche Geschichte. Ich habe mit dem Partner auch noch ein Kind bekommen und dann wurden plötzlich meine Söhne abgelehnt, mit den Worten, das seien systemische Verstrickungen. Kinder aus der ersten Verbindung, gerade wenn es Jungs sind, gehören zum Vater. Sie stören in der neuen Familie, weil sie die Stellvertreter des Ex-Partners sind, und somit wäre ein Familienleben nicht möglich."
Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter sollte in der Patchworkfamilie nichts mehr so laufen wie bisher. Sibylle, mit einer postnatalen Depression, sah mit Entsetzen zu, wie der neue Mann in ihrem Leben auf jedes Problem des Paares mit schematischsten Erklärungen aus einer Art Psychobaukasten reagierte.
"Unser ein ganzes Leben wurde durchinterpretiert, nach dogmatischen Aufstellungsrichtlinien. Wenn ich nicht seiner Meinung war, dann wurde mir unterstellt, ich sei die Stellvertreterin meiner Großmutter, und ich solle aus meinen systemischen Verstrickungen heraus. Ich müsste unbedingt auch zu solchen Aufstellungen gehen, um die Schuld der vorherigen Generation von mir zu werfen. Und ja, also nach und nach zog sich da richtig eine Schlinge zu.
Es fielen dann auch so Worte im Familienleben: Nee, ich passe heute nicht auf die anderen Kinder auf, weil, die sind ja nicht mit mir blutsverwandt. Es wurde ganz viel von Schuld geredet. Du hast Schuld auf dich geladen, immer wieder dieses Stellvertretertum. Und es wurden Briefe in meinem Umfeld verschickt, mit Pathologisierungen, die sich dann auf solchen dogmatischen Grundsätzen aufbauten."
Schlimm waren für Sibylle auch die Ordnungssysteme, in die ihr neuer Partner Männer und Frauen im Allgemeinen und Ex-Männer und Ex-Frauen im Speziellen einsortierte.
"'Das Gesetz sagt eben, die erste Frau ist immer wichtiger als die zweite Frau und die Frau muss sich unterordnen, dem Mann.' Und wenn ich dann gesagt habe: 'Du, ich finde es komisch, dass wir alle zusammen mit deiner Ex-Frau Weihnachten feiern müssen. Oder dass du 18 Mal am Tag bei deiner alten Familie anrufst.' Dann sagt er 'ja, aber in der Aufstellungsarbeit ist es so wie beim Dornröschen, man darf die böse Fee nicht ausladen, weil, sonst verfällt man in einen hundertjährigen Schlaf.' Für mich galt das dann nicht. Also, da waren dann andere Gesetze zuständig. 'Die Jungs müssen die Todesstrafe erleiden, wenn sie nicht zum Vater gehen. Weil, die sind ja nicht blutsverwandt.' Da galt dann wieder eine neue Erklärung."

Aufsteller, die mehr Unheil anrichten als zu helfen

Sibylle verfiel in eine schwere Depression, wurde in eine Klinik eingewiesen, trennte sich von dem Vater ihres jüngsten Kindes. Heute lebt sie allein, geht ihrem Beruf nach und kümmert sich im Wechsel mit dem Ex-Partner auch um ihr jüngstes Kind. Es war ein schwerer Weg sagt sie. Auch weil sie lange suchen musste, bis sie Hilfe fand. Jemand, der ihre Probleme ernst nahm, die für Sibylle ganz klar auch mit den Vorstellungen zusammenhingen, die ihr Ex-Mann aus den Aufstellungen mitbrachte.
"Ich kann nur sagen, dass ich ganz glücklich bin, dass ich da heil rausgekommen bin. Eigentlich kann man sich, glaube ich, nur so retten, indem man schnell Reißaus nimmt und wie eine Gebetsmühle sagt, was kann ich für mich tun?"
Es gibt Menschen, die besser die Finger von Aufstellungen lassen würden. Und es gibt Aufsteller, die nicht nur bei ihren Klienten, sondern auch in deren Umfeld mehr Unheil anrichten, als dass sie weiterhelfen.
"Das birgt ein erhebliches Risiko", sagt auch die psychologische Psychotherapeutin Astrid von Chamier.
"Man öffnet einen Raum, in dem ein Prozess stattfinden kann. Und jeder, der verantwortlich arbeitet, müsste wissen, dass diese Arbeit natürlich Zustände triggern kann, die aufgefangen werden müssen. Ein Zustand von psychischer Instabilität mit den entsprechenden Symptomen, zum Beispiel depressiven Symptomen, Gefühl von Sinnlosigkeit, Schlaflosigkeit, Interessenverlust, Selbstmordabsichten, Antriebslosigkeit. Das sind die klassischen Kriterien für eine Depression, Angststörungen und Panikattacken, die frei flottieren. Psychische Instabilität gehört in therapeutische Behandlung und nicht in irgendein Aufstellungswochenende bei jemandem, den ich vielleicht nie wiedersehe."

Aufstellung im Rahmen einer Therapie

Astrid von Chamier bietet daher auch immer die Möglichkeit eines Nachgesprächs, sollte eine Aufstellung mit einem Klienten mal nicht im Rahmen einer längeren Therapie stattfinden. Sie rät dazu, sich schon vor einer Aufstellung über diese Möglichkeit zu informieren. Auf den Ausbildungshintergrund des Aufstellers zu achten und sich vor allem auf das eigene Gefühl zu verlassen. Auch könne es helfen, schon im Vorfeld nicht nur über die Frage der Aufstellung sondern auch über mögliche Lösungen zu sprechen.
"Der Klient hat einen Auftrag, der bestimmt, was das Ziel ist. Dann sagt er, 'ich habe dieses Problem: mein Vater macht nie...' und so. Und dann wäre es hilfreich, sich die Lösung schon vorzustellen. Im aufstellerischen Kontext kann man das das Wunder nennen: 'Wenn über Nacht ein Wunder passieren würde. Woran würden Sie merken, dass das Wunder passiert ist?' 'Ja, mein Vater würde sich anders benehmen.' Und dann hin zu einer Selbstaussage zu kommen: Weil, wir arbeiten nicht mit dem Vater, oder wir wollen nicht dessen Verhalten verändern, sondern nur die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeit des Klienten klären.
Und woran würde der merken, dass das Wunder passiert ist? 'Ich würde mich leichter fühlen oder tatkräftiger, ich könnte eine Entscheidung treffen.' 'Okay, und woran würden das andere merken, dass Ihnen das was gebracht hat?' 'Ja, die würden sich dann anders benehmen, die würden freundlicher sein.' Das ist sehr wichtig herauszufinden, wie für diesen Menschen eine Lösung aussieht, viel wichtiger als eine Analyse des Problems."

Mit Aufstellungen Einsichten in Zusammenhänge gewinnen

Warum Aufstellungen bei der Suche nach Lösungen hilfreich sein können, liegt für Astrid von Chamier in dem vorurteilsfreien Abwägen verschiedener Positionen und der unmittelbaren Erfahrung, die das Verfahren ermöglicht.
"Wenn wir reden, können wir uns über Theorien oder Hypothesen austauschen. Wir können Einsichten in Zusammenhänge gewinnen. Das kann sehr wertvoll sein. Aber eine Dimension bleibt außen vor, die ich für sehr wichtig halte inzwischen. Und das ist die Dimension der Erfahrung.
Wenn ich in einer Aufstellung stehe und bemerke, wie ich mit der Einnahme dieser Position auf einmal sehr deutliche Körperempfindungen wahrnehmen kann und die sich im Laufe des Prozesses verändern, indem sich Positionen verändern oder neue Elemente hinzukommen. Das ist ein Erfahrungsraum, der sich dadurch öffnet. Und wenn ich eine neue Erfahrung machen kann in Zusammenhängen, von denen ich immer etwas anderes dachte, dann habe ich neue Handlungsmöglichkeiten und darüber eröffnen sich neue Zusammenhänge."
Ich persönlich bin aus der ersten Aufstellung meines Lebens ein wenig ratlos nach Hause gegangen. Und das liegt nicht daran, dass ich nichts empfunden hätte. Im Gegenteil. Es ist einiges passiert. Aber ich habe nicht wirklich eine Lösung gefunden für meine Frage.
Im Nachhinein denke ich, hätte ich gerne eine andere Frage gestellt. Eine Entweder-oder-Frage zum Beispiel oder eine zu einer ganz konkreten Situation, wo mal Bewegung reinkommen könnte. Denn das, so sagt es Astrid von Chamier, ist letztendlich auch das Grundprinzip systemischer Aufstellungen.

Verdeckte Aufstellungen mit Schleichtieren

"Wenn einer sich bewegt, der zu einem System dazu gehört, zu einer Gruppe, müssen sich alle bewegen, dann kann niemand mehr einfach das weitermachen, was er bisher gemacht hat, weil die Erfahrung zeigt, dass ein System sozusagen wie etwas Eingespieltes ist. Oder wie ein Mobile, das da hängt. An jedem Arm hängt ein bestimmtes Gewicht dran, und es strebt immer nach Ausgleich. Und wenn auf einmal an der einen Seite ganz heftig was rangehängt wird, dann wird irgendwas passieren, dass an der anderen Seite zum Ausgleich was dran gehängt wird."
Astrid von Charmier arbeitet auch gerne verdeckt mit Aufstellungen, bei denen die Stellvertreter gar keine Informationen mehr darüber bekommen, für wen oder was sie eigentlich aufgestellt werden. Oder sie lässt einfach Dinge aufstellen statt Menschen.
"Man kann letztlich alles nehmen. Klötze, Gummibärchen, Playmobilfiguren, Schleichtiere, Hocker, Stühle, einfach nur Zettel, um Beziehungen im Raum zu visualisieren. Je verdeckter die Arbeit ist, umso vorurteilsfreier, weil man keine Geschichten erzählen muss, die schon Deutungen beinhalten."
Für die zweite Aufstellung meines Lebens wäre das wohl genau das richtige. Meine Schleichtieraufstellung steht schon. Eine Familie mit Bär, Elefant, Krake, Känguru, Ente und Dalmatiner.
"Das ist spannend. Wer hat denn hier am meisten Kontakt zu wem?"
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