"Familienbande" zwischen Heidelberg und Tel Aviv

Von Igal Avidan |
Vor einem Jahr schloss das Bei Lessin Theater in Tel Aviv eine Kooperation mit dem Stadttheater Heidelberg und rief das Projekt "Familienbande" ins Leben. Jedes Jahr sollen sechs Aufführungen über deutsch-jüdische Besziehungen gezeigt werden. Morgen Abend ist die erste Aufführung des Stückes "They call me Jeckisch" in Heidelberg.
Die deutsche Stadttheaterszene braucht neue Impulse, beschloss man bei der Kulturstiftung des Bundes. Mit dem sogenannten Wanderlust-Fonds schuf man ihr daher den Rahmen für eine langfristige Partnerschaft mit einem Theater im Ausland.

Jan Linders, Schauspieldirektor am Theater der Stadt Heidelberg, suchte einen Kooperationspartner in Israel, wo er bereits ein Dutzend Mal zu Gast war:

"Innerer Grund für mich ist als Theatermensch, dass ... Israel und die Region für mich die spannendste der Welt ist. Wir leben in einem Land, wo die Konflikte nicht sehr offensichtlich sind, um nicht zu sagen langweilig. Und für Theaterleute sind Spannungen interessant, ist Streit interessant. Und es gibt eine Region, die jeden Tag in den Nachrichten ist und wo es ganz viel Streit gibt und ganz tolle Geschichten. Und das meine ich nicht zynisch. Es gibt alle Höhen und Tiefen, es gibt Leid, es gibt Freude und das ist der Nahe Osten."

Der äußere Grund war Linders' Bekanntschaft mit Avishai Milstein, dem Chefdramaturgen am Tel Aviver Beit Lessin Theater und Kenner der israelischen und deutschen Theaterszene. Milstein leitet seit zehn Jahren das Festival für neue israelische Dramatik. Und weil das Heidelberger Theater mit seinem Stückemarkt-Festival neue deutsche Dramatik fördert, fanden Linders und Milstein schnell zueinander. Beide Theaterhäuser entwickeln gemeinsam sechs neue Produktionen unter dem Titel "Familienbande". Gerade weil Normalität ein Unwort in den deutsch-israelischen Beziehungen ist, beschlossen beide Theatermacher, den Schwerpunkt auf die Gesellschaften heute zu legen. Avishai Milstein:

"Das ist ja eigentlich meine Idee, weil ich das Gefühl hatte, dass, wenn wir wirklich etwas Neues erzählen wollen ... dann müssen wir ein bisschen vom vordergründlich Politischen ausweichen. In den letzten Jahren gibt es diese vielen Initiativen, in denen der politische Konflikt in den Vordergrund gerückt wird, und für mich als ein sehr neugieriger Theaterzuschauer hat sich dieses Thema ... ein bisschen so erledigt"."

Vor dem ersten Besuch beim Festival in Tel Aviv im vergangenen September mussten die meisten der 15 angereisten Heidelberger Schauspieler erst mal einen Pass beantragen. Denn sie waren noch nie außerhalb der EU-Grenzen. Beide Seiten faszinierte die jeweils andere Stadt. Und Gegensätze sind gut fürs Theater, meint Jan Linders:

""Wir haben hier Regietheater, und in Israel die well-made-plays sind alle sehr gut geschrieben, sind aber fast fernsehrealistisch inszeniert, und es gibt aber sehr gute Stories, und sie sind alle sehr gegenwärtig. Heidelberg - Tel Aviv ist auch ein sehr interessanter Kontrast. Heidelberg ist eine Stadt, die nicht zerstört wurde im Krieg, die uralt ist, hier soll sich nichts ändern, die sehr klein ist. Und wenn man nach Tel Aviv kommt, ist Tel Aviv wie New York für die Leute, die von hier sind: ist unglaublich multi-kulti, ist am Strand, es ist ein ganz anderes Wetter, es ist eine ganz andere Weite, Energie da. Und dieser Kontrast ist, glaube ich, für beide Seiten toll."

Die Israelis wiederum waren von der Schönheit der beschaulichen, sympathischen und entspannten Stadt am Neckar begeistert, in der sie die Spuren von Hannah Arendt und Josef Goebbels fanden, die beide hier studiert hatten. Aber auch die 750-jährige Geschichte der Juden in Heidelberg interessiert die Israelis, nur die Kälte macht ihnen zu schaffen.

Das deutsch-israelische Theaterprojekt ist weit mehr als ein gegenseitiger Austausch von Gastspielen. Hier werden neue Koproduktionen in Englisch, Deutsch und Hebräisch von gemischten Teams geschaffen. Die Zusammenarbeit begann bereits beim ersten Besuch der Heidelberger in Tel Aviv, sagt Avishai Milstein:

"Sie haben erst mal hier recherchiert. Wir haben zusammen gecastet, Schauspieler. Die Regisseure waren da, haben schon mit den Schauspielern zusammengearbeitet. Also in jedem Projekt nehmen zwei Schauspieler aus Heidelberg und zwei Schauspieler aus Tel Aviv teil."

Die Hauptproben mit den Schauspielern aus Tel Aviv liefen dann schon in Heidelberg. Und morgen Abend hat die erste der sechs Produktionen Premiere: In "They Call me Jeckisch" – alle Titel sind auf Englisch - geht es um die in Israel lebenden deutschen Juden. Ihre Biografien werden auf der Grundlage von 40 Interviews erzählt, die die Regisseurin Nina Gühlstorff und die Dramaturgin Nina Steinhilber selbst geführt hatten. Eingebaut haben sie außerdem Dialoge zwischen den zwei Israelis und den zwei Deutschen. Sie versuchen, über die Gegenwart zu sprechen und sich auf diese Weise kennenzulernen. Aber immer wieder scheint es, als ob ihnen die Vergangenheit über die Schulter schielt und sie in zwei Gruppen einteilt: in die Nachfahren der Opfer und die Nachkommen der Täter.