Wie umgehen mit dem Sterbewunsch der Mutter?
Regisseur Bille August hat mit "Silent Heart" ein Drama über Sterbehilfe gedreht. Der Däne konzentriert seinen Blick auf die zwei Töchter und die Schwiegersöhne der Sterbenden. Wie er es geschafft hat, dass der Film trotz hochkochender Gefühle niemals sentimental wird, erzählt er im Interview.
Patrick Wellinski: Deutschlandradio Kultur. Bei uns ist jetzt ein Regisseur, der schon alles gewonnen hat, was man sich vorstellen kann. Er hat den Oscar, ja, aber viel wichtiger, er gehört zu einem exklusiven Club, dem nur fünf weitere Regisseure angehören, denn er hat sogar zwei Mal das wichtigste Filmfestival der Welt gewonnen – die Goldene Palme von Cannes. Bei uns ist Bille August. Herzlich willkommen! Welcome, thank you for being here!
Bille August: Thank you very much!
Wellinski: Sie sind natürlich nicht ohne Grund da. Sie haben einen neuen Film gedreht. "Silent Heart – Das Leben gehört mir" – ein sehr intensives Familiendrama, in dessen Zentrum ein gesellschaftlich sehr heikles und aufwühlendes Thema steht. Es geht um selbstbestimmten Tod, um Sterbehilfe, aber zunächst muss man ja festhalten, dass dieser Film Ihr erster Film seit vielen Jahren ist, den Sie wieder in Dänemark gedreht haben. War es denn gut, wieder für Sie in die alte Heimat als Filmemacher zurückzukehren?
August: Ja, es war sehr schön, wieder in Dänemark zu drehen mit einer dänischen Crew, mit dänischen Schauspielern und auch, eine dänische Story wieder zu verfilmen. Das hat sich wirklich angefühlt wie wieder zu Hause zu sein.
Wellinski: Macht man denn anders einen Film in Dänemark? Zum Beispiel in Amerika haben Sie ganz lange gearbeitet.
August: Nein, nicht wirklich, weil eine Filmcrew ist immer eine Filmcrew, Schauspieler sind immer eben auch Schauspieler. Ich habe gerade fünf Monate in China einen Film gedreht, und da habe ich auch gemerkt, dass sich das Filmemachen überall letztendlich gleicht.
Wellinski: Jetzt kehren Sie mit einem sehr ruhigen, aber emotional sehr genau beobachteten Familiendrama zurück. Im Kern geht es darum, dass sich eine Familie für ein Wochenende trifft – die Matriarchin ist sehr krank, sie hat beschlossen, am Sonntag zu sterben, und alle sind jetzt da, die Töchter, die Ehemänner, der Enkel ist da, aber die Konflikte bleiben eben dann doch. Was hat Sie als Regisseur besonders an diesem Skript gereizt? War das das Thema Sterbehilfe oder war das eher diese unterschiedliche Familiendynamik?
"Silent Heart" beschreibt Sterbehilfe aus Familienperspektive
August: "Silent Heart" ist in erster Linie ein Familiendrama. Natürlich spielt Sterbehilfe eine Rolle, das ist ja auch eine Diskussion, die es überall in der Gesellschaft gibt, und trotzdem würde ich sagen, hier geht es darum, das mal von innen zu zeigen. Wie reagiert eine Familie, wenn das Familienoberhaupt beschlossen hat, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Dann ist es eben auch wieder ein Familiendrama letztendlich geworden, wie die Familie versucht, damit umzugehen.
Wellinski: Und dann kochen natürlich die Emotionen hoch, und Sie gelten als Regisseur, dessen große Stärke es ist, eben diese Emotionen auf die Leinwand zu bringen, aber wie machten Sie das? Wie fängt man Gefühle ein, sodass sie eben nicht sentimental werden, sodass sie eben nicht kitschig werden? Liegt das nur am Drehbuch oder entsteht das bei Ihnen am Set bei den Dreharbeiten?
August: Es ist beides. Man findet ja vielleicht die Sentimentalität zuerst noch im Drehbuch, und dann ist es schon da, die Aufgabe, dort alles herauszustreichen, was zu sentimental wäre. Dann ist es eben auch ein langer Prozess. Ich arbeite mit den Schauspielern zusammen, wir lesen erst mal das Buch, wir reden über die psychologische Entwicklung der Hauptcharaktere und kommen immer mehr zu der Essenz letztendlich der Geschichte, und es wird immer wahrhaftiger. Allein das sorgt letztendlich dafür, dass es nicht zu sentimental wird. Der andere Vorteil, den wir in diesem Fall wirklich hatten, ist, wir haben das alles an einem Drehort gedreht. Das war ein Haus in einem Dorf, und wir konnten es uns leisten, diesmal eben diesen Film wirklich in der Reihenfolge richtig zu drehen. Wir wussten, wo die Figuren hingehen, wie sie sich entwickeln, wo sie eben stehen, und das war ein großer Vorteil, so arbeiten zu können.
Wellinski: Jetzt haben Sie schon das Setting angesprochen: Es ist dieses einsame verlassene Haus irgendwo auf dem Lande, wo man niemanden schreien hört, könnte man sagen. Wie wichtig war Ihnen gerade dieses Setting, und welche Rolle spielt denn dieses Haus? Es ist ja auf eine gewisse Art ein Familienmitglied.
August: Das Haus war insofern wichtig für diese Geschichte, weil man diesen Ort nicht mehr verlassen kann. Keiner kommt da mehr raus. Dieses Haus – das hatten Sie auch schon richtig erwähnt – ist halt mitten im Nirgendwo, und eine der Protagonisten hat ganz am Anfang dafür gesorgt, dass der Schlüssel verschwunden ist. Das heißt, man ist wirklich gezwungen, ein ganzes Wochenende miteinander zu verbringen. Das macht natürlich eine sehr angespannte Situation, und keiner kann sich so normal verhalten, wie er das normalerweise auch tun würde. Da brechen natürlich die Emotionen und die Konflikte richtig wieder auf, aber am Ende ist es dann so, dass man sich schon wieder miteinander verträgt.
Ein stiller Film trotz großer Emotionen
Wellinski: Sie sagen ja schon, es ist eine seltsame Situation für die ganze Familie. Sie erzählen aber alles, und das ist so ein Gefühl, das man bekommt, ruhig und sehr still, und trotzdem sind die Emotionen natürlich sehr wild, aber nicht der Film ist aufbrausend. Wie wichtig war Ihnen dieser Rhythmus?
August: Also hier ist es natürlich wichtig, dass alle ruhig sein müssen. Da liegt schon eine wahnsinnige Spannung in der Luft. Es ist ein bisschen wie ein Countdown – jede Sekunde, jede Minute zählt, weil jeder weiß ja, dass die Mutter beschlossen hat, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, und nur der Respekt vor der Mutter verhindert, dass hier die Emotionen ausbrechen, dass man explodiert, aber die Spannung ist auf jeden Fall da. So wirkt es an der Oberfläche alles sehr ruhig, und das wird noch verstärkt durch dieses einsame Dorf, durch diese sehr schöne Landschaft, aber was unter der Oberfläche gärt, das ist natürlich weniger schön.
Wellinski: Und dennoch reagieren Männern und Frauen, wenn ich diesen Gegensatz aufmachen kann, unterschiedlich auf die Entscheidung der Mutter. Die zwei Töchter sind die, die damit noch kämpfen müssen, und die Männer sind irgendwie, ja, sie reagieren entspannter und gelassener und akzeptieren diese Situation. War das Ihnen wichtig, dieses Geschlechterverhältnis so auszuarbeiten?
August: Nun ja, es ist einfach so, dass die beiden Frauen im Film eben auch die Töchter der Mutter sind, und die Männer sind jeweils nur der Ehemann oder der Freund, und natürlich sind Frauen sowieso emotionaler als Männer, wenn es um das Zeigen von Gefühlen geht. Männer neigen ja dann doch schon dazu, introvertierter zu sein, Gefühle nicht zu zeigen. Wir wollten natürlich, um das Drama zu verstärken, dass die Frau, die beschlossen hat, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, dass die eben zwei Töchter hat.
Wellinski: Ihnen war aber immer bewusst, dass Sterbehilfe ein gesellschaftlich so starkes Thema ist, dass Ihr Film womöglich auch nur durch dieses Prisma gesehen wird und als solches auch wahrgenommen wird. Welche Rolle könnte denn Ihr Film in dieser hitzigen Debatte – und ich glaube, die Debatte ist genauso hitzig in Dänemark wie in Deutschland und überall sonst –, welche Rolle könnte da Ihr Film einnehmen?
"Es geht um die menschliche Würde"
August: In "Silent Heart" geht es in erster Linie darum, wie die Familie darauf reagiert, wie sie versucht, mit dieser Situation klar zu kommen, und ich glaube, das macht die Kraft dieses Filmes auch aus. Natürlich gibt es eine Debatte um Sterbehilfe, und wir leben nun einmal länger als früher. Ärzten gelingt es, unser Leben auch zu verlängern. Die Frage ist nur, ob dieses Immer-länger-Leben auch immer gut für uns ist. Wenn ein Mensch zum Beispiel weiß, er hat nur noch wenige Monate zu leben, und diese wenigen Monate, die er noch hat, die würde er nur in Schmerz und in Leid verbringen, und dann möchte er vielleicht eben auch nicht, dass die Familie ihn nur noch so in Erinnerung behält, wenn er so hilflos geworden ist, dass er nicht einmal mehr alleine auf die Toilette gehen kann. Dann geht es nämlich um die menschliche Würde, und man möchte dann in Würde sterben, genauso wie man in Würde gelebt hat.
Also das ist auf jeden Fall die eine Geschichte. Die andere Sache ist natürlich, in Ländern, wo Sterbehilfe bereits erlaubt ist, wie in der Schweiz oder in Belgien, weiß man natürlich auch, dass es ältere Menschen gibt, die möchten ihrer Familie oder der Gesellschaft nicht mehr zur Last fallen und beschließen deshalb eben, aus dem Leben zu scheiden. Das ist natürlich keine gute Entwicklung, aber ich bin generell der Meinung, dass es eine Diskussion in der Gesellschaft darum geben muss, und dass man dann auch immer spezifisch nach Lösungen suchen sollte.
Wellinski: "Silent Heart" ist im Kern auch ein Film mit einem gesellschaftlich relevanten Thema, und Sie als Regisseur haben schon so unterschiedliche Themen behandelt in Ihren ganzen Filmen. Ist das, wenn ich Sie auf Ihr Rollenbild anspreche als Regisseur, warum Sie Filme machen, ist das etwas, womit Sie zufrieden sind, dass Sie ein Regisseur sind, der gesellschaftlich relevante Themen anfasst?
August: Für mich geht es in erster Linie darum, eine Geschichte zu erzählen und eine relevante Geschichte, und "Silent Heart" ist, wie ich schon sagte, in erster Linie ein Familiendrama, aber das soll durchaus auch eine Diskussion zum Thema Sterbehilfe sein und Fragen aufwerfen. Ich habe kein Problem damit, als Regisseur Fragen aufzuwerfen, aber rein politische Filme mag ich eigentlich nicht sonderlich. Ich finde, die Aufgabe eines Filmes oder die Aufgabe eines Regisseurs ist es, ein menschliches Antlitz zu schaffen für Dinge, die sonst von Historikern oder Politikern nur mit Fakten oder Statistiken belegt werden. Von daher, alles, was ich über Italien, China oder über Deutschland weiß, über all diese schönen Länder, das weiß ich aus Filmen. Das weiß ich nicht aus Büchern, das weiß ich nicht von Politikern. Von daher ist es meine Aufgabe, von innen heraus etwas zu erzählen, so, dass das Menschliche im Vordergrund steht.
Wellinski: Mr. August, thank you very much for your time, for the movie, and I wish you the best of luck!
August: Thank you very much!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.