Familiendramen und Weltkonflikte
Die pakistanische Autorin Kamila Shamsie ist eine der erfolgreichsten englischsprachigen Schriftstellerinnen auf dem indischen Subkontinent. In ihrem Buch "Verglühte Schatten" verfolgt sie die Wege zweier Familien. "Es geht um Zeiten, wo die Geschichte wirklich deutlichen Einfluss auf das Privatleben der Menschen hat".
Klaus Pokatzky: Welcome, Kamila Shamsie!
Kamila Shamsie: Thank you!
Pokatzky: Was passiert denn nun, wenn das private Leben von der großen Geschichte eingeholt wird, von der Atombombe 1945 bis zum 11. September 2001, also wenn das private Leben vom großen historischen Bogen in Ihrem Buch "Verglühte Schatten" eingeholt wird? Gibt es da auch eine Gemeinsamkeit von Nagasaki zu New York über Karatschi?
Shamsie: In den verschiedenen Teilen meines Buches werden immer Punkte behandelt, und Zeiten in der Geschichte, wo das Privatleben von der Geschichte beeinflusst wird, wo private Schicksale mit der Geschichte von verschiedenen Ländern zusammentreffen. Es geht um Zeiten, wo die Geschichte wirklich deutlichen Einfluss auf das Privatleben der Menschen hat. Es geht andererseits auch um Menschen aus verschiedenen Ländern, die durch die Politik ihrer jeweiligen Länder in ihrem Privatleben beeinflusst werden. Auf der anderen Seite geht es mir auch sehr um die Bereitschaft von Staaten, anderen Ländern schlimme Dinge anzutun, in den Zeiten des Krieges zum Beispiel.
Pokatzky: Wer ist besser darin, anderen Schlimmes anzutun, die Nationen, die anderen Nationen Böses zufügen, oder der Mensch, der anderen Menschen Schlimmes antut?
Shamsie: Ich denke, dass Nationen einfach eine größere Macht haben, böse Dinge zu tun, schlimme Dinge zu tun. Das kann sich natürlich ändern, aber ich denke, dass es noch so ist, dass zum Beispiel Nuklearwaffen nicht in den Händen von Einzelpersonen, von Privatpersonen liegen. Und darum ist es schwer zu sagen, wer jetzt besser oder wer schlechter ist. Aber noch, denke ich, dass die Staaten einfach die größeren Fähigkeiten haben, schlimme Dinge, nachhaltig schlimme Dinge zu tun. Eine Nation setzt sich aber auch aus verschiedenen Einzelpersonen zusammen, deswegen kann man nicht wirklich sagen, was jetzt moralischer ist oder nicht.
Pokatzky: Aber lag nicht gerade in Ihrem Heimatland, in Pakistan, vor einigen Jahren noch doch die Verfügungsgewalt über die Atombombe in der Hand eines einzelnen Menschen, nämlich eines Diktators?
Shamsie: Es ging immer auch um die gesamte Armee, auch in Pakistan, ob es sich nun um eine Diktatur oder eine Demokratie handelt, es ist immer die ganze Armee mit ihrer gesamten Kontroll- und Kommandostruktur involviert. Es ist nie wirklich nur eine Person, die die Kontrolle darüber hat.
Pokatzky: Ihr Heimatland Pakistan liegt nun an einer Schnittstelle internationaler Politik, seit einigen Jahren auch wahrnehmbar für uns Deutsche, seitdem wir mit unseren Bundeswehrsoldaten in Afghanistan engagiert sind. Seitdem interessieren wir uns für Pakistan, was wir früher in diesem Maße nie getan haben, wir haben uns immer mehr traditionell für Indien interessiert. Welche Bedeutung hat Afghanistan für Sie?
Shamsie: Afghanistan ist mit Sicherheit einer der wunden Punkte auf dem Gewissen von Pakistan als einer Nation. Ich verfolge das als Pakistanerin natürlich schon länger, und es ist auch eine Thematik, die mir immer bewusst war. Aber momentan hört meine Vorstellungskraft hier schlichtweg auf. Also wenn man mich jetzt fragt, was soll mit Afghanistan passieren, dann weiß ich darauf keine Antwort. Das ist natürlich etwas, was für einen Romanautor schwerfällt zu sagen.
Pokatzky: Aber wenn ich jetzt nicht mal die Romanautorin Kamila Shamsie frage, sondern die politische Kolumnistin der bedeutenden Zeitung "The Guardian" in Großbritannien, was sagt die politische Kolumnistin zu Afghanistan? Könnte sie als Einzelperson, als Individuum den westlichen Nationen einen Rat geben?
Shamsie: Ich wünschte, ich hätte eine Antwort, ich wünschte, ich hätte einen Vorschlag. Aber ich denke, dass es in diesem Fall auf jeden Fall eine regionale Lösung geben muss. Der Westen, die westlichen Staaten können wieder gehen, sie werden das Land wieder verlassen, aber die Nachbarn werden immer bleiben. Und wenn man an einer langfristigen Lösung interessiert ist, dann braucht man unbedingt eine regionale Teilnahme an der Lösung. Diese Länder drumherum müssen verstehen können, dass sie ein stabiles Afghanistan brauchen. Das ist natürlich schwer, weil jedes dieser Länder seine eigenen Ziele verfolgt. Aber langfristig muss es eine regionale Lösung geben.
Pokatzky: Unter Beteiligung internationaler Truppen, auch deutscher Truppen?
Shamsie: Das ist immer schwer zu beantworten. Ich kenne Afghanistan einfach nicht gut genug dafür. Ich weiß nicht genau, was die Truppen dort wirklich erreichen und was nicht. Es ist sicherlich immer gut, Geld und Mittel für Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, auch für die Sicherheit, aber was das Militär dort konkret erreicht, das vermag ich nicht zu sagen. Ich sehe das Ganze auch nur aus einer pakistanischen Perspektive, aus der einer Außenseiterin. Ich denke, man sollte vor allem mehr Afghanen am Gespräch beteiligen und hören, was sie zu sagen haben.
Pokatzky: Sie leben heute in London, Sie besuchen regelmäßig Pakistan, einmal im Jahr für einen Monat – sind Sie eine pakistanische Autorin in London, sind Sie eine pakistanisch-englische Schriftstellerin oder sind Sie eine pakistanisch-englisch-amerikanische Schriftstellerin, in den USA waren Sie ja auch lange Zeit?
Shamsie: Ich würde mich jetzt als pakistanische Londonerin bezeichnen. In Pakistan habe ich meine Kindheit verbracht und auch die längste Zeit meines Lebens, und das hat mich natürlich sehr geprägt. Das sind die Zeiten, die eine Identität ausmachen. Also würde ich sagen, dass die pakistanische Identität am stärksten ist. Ich lebte dort länger als überall anders. Aber jetzt wohne ich in London und deswegen würde ich mich jetzt als pakistanische Londonerin bezeichnen.
Pokatzky: Es gibt eine ganze Gruppe pakistanischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die inzwischen eine ganz große Rolle für die englischsprachige Literatur auf dem großen indisch-pakistanischen Subkontinent spielen, was es früher überhaupt nicht gab, da haben die Inder dominiert. Wie ist das gekommen in den letzten Jahren?
Shamsie: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einmal, denke ich, ist es ein gutes Timing, es gibt einfach zurzeit sehr viele Autoren oder gute pakistanische Autoren, die zur gleichen Zeit schreiben. Und dann gibt es noch die Tatsache, wenn einige Bücher aus einem Land oder einem Bereich gut laufen, dann sorgt das natürlich auch für Aufmerksamkeit – wenn die Leute sagen, oh, das ist ein pakistanischer Autor, da möchte ich ja mal sehen, was sonst noch aus dem Land kommt. Und dann kommt noch dazu, dass das Land natürlich jetzt auch sehr viel in den Nachrichten ist und dass es eine Methode ist, über das Land etwas herauszufinden, wenn man sich auch der Fiktion, also den Romanen aus diesem Land zuwendet.
Pokatzky: Thank you very much, Kamila Shamsie, und danke Marei Ahmia für die Übersetzung. Kamila Shamsies Buch "Verglühte Schatten", aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer, ist bei Bloomsbury, Berlin, erschienen, es hat 480 Seiten und kostet 22,95 Euro. Heute Abend um 18 Uhr tritt Kamila Shamsie bei der lit.Cologne auf, und zwar im Theaterhaus in der Stammstraße in Köln. Und am Sonntag wird sie auf unserem blauen Sofa auf der Leipziger Buchmesse zu Gast sein, und zwar um 12:30 Uhr.
Kamila Shamsie: Thank you!
Pokatzky: Was passiert denn nun, wenn das private Leben von der großen Geschichte eingeholt wird, von der Atombombe 1945 bis zum 11. September 2001, also wenn das private Leben vom großen historischen Bogen in Ihrem Buch "Verglühte Schatten" eingeholt wird? Gibt es da auch eine Gemeinsamkeit von Nagasaki zu New York über Karatschi?
Shamsie: In den verschiedenen Teilen meines Buches werden immer Punkte behandelt, und Zeiten in der Geschichte, wo das Privatleben von der Geschichte beeinflusst wird, wo private Schicksale mit der Geschichte von verschiedenen Ländern zusammentreffen. Es geht um Zeiten, wo die Geschichte wirklich deutlichen Einfluss auf das Privatleben der Menschen hat. Es geht andererseits auch um Menschen aus verschiedenen Ländern, die durch die Politik ihrer jeweiligen Länder in ihrem Privatleben beeinflusst werden. Auf der anderen Seite geht es mir auch sehr um die Bereitschaft von Staaten, anderen Ländern schlimme Dinge anzutun, in den Zeiten des Krieges zum Beispiel.
Pokatzky: Wer ist besser darin, anderen Schlimmes anzutun, die Nationen, die anderen Nationen Böses zufügen, oder der Mensch, der anderen Menschen Schlimmes antut?
Shamsie: Ich denke, dass Nationen einfach eine größere Macht haben, böse Dinge zu tun, schlimme Dinge zu tun. Das kann sich natürlich ändern, aber ich denke, dass es noch so ist, dass zum Beispiel Nuklearwaffen nicht in den Händen von Einzelpersonen, von Privatpersonen liegen. Und darum ist es schwer zu sagen, wer jetzt besser oder wer schlechter ist. Aber noch, denke ich, dass die Staaten einfach die größeren Fähigkeiten haben, schlimme Dinge, nachhaltig schlimme Dinge zu tun. Eine Nation setzt sich aber auch aus verschiedenen Einzelpersonen zusammen, deswegen kann man nicht wirklich sagen, was jetzt moralischer ist oder nicht.
Pokatzky: Aber lag nicht gerade in Ihrem Heimatland, in Pakistan, vor einigen Jahren noch doch die Verfügungsgewalt über die Atombombe in der Hand eines einzelnen Menschen, nämlich eines Diktators?
Shamsie: Es ging immer auch um die gesamte Armee, auch in Pakistan, ob es sich nun um eine Diktatur oder eine Demokratie handelt, es ist immer die ganze Armee mit ihrer gesamten Kontroll- und Kommandostruktur involviert. Es ist nie wirklich nur eine Person, die die Kontrolle darüber hat.
Pokatzky: Ihr Heimatland Pakistan liegt nun an einer Schnittstelle internationaler Politik, seit einigen Jahren auch wahrnehmbar für uns Deutsche, seitdem wir mit unseren Bundeswehrsoldaten in Afghanistan engagiert sind. Seitdem interessieren wir uns für Pakistan, was wir früher in diesem Maße nie getan haben, wir haben uns immer mehr traditionell für Indien interessiert. Welche Bedeutung hat Afghanistan für Sie?
Shamsie: Afghanistan ist mit Sicherheit einer der wunden Punkte auf dem Gewissen von Pakistan als einer Nation. Ich verfolge das als Pakistanerin natürlich schon länger, und es ist auch eine Thematik, die mir immer bewusst war. Aber momentan hört meine Vorstellungskraft hier schlichtweg auf. Also wenn man mich jetzt fragt, was soll mit Afghanistan passieren, dann weiß ich darauf keine Antwort. Das ist natürlich etwas, was für einen Romanautor schwerfällt zu sagen.
Pokatzky: Aber wenn ich jetzt nicht mal die Romanautorin Kamila Shamsie frage, sondern die politische Kolumnistin der bedeutenden Zeitung "The Guardian" in Großbritannien, was sagt die politische Kolumnistin zu Afghanistan? Könnte sie als Einzelperson, als Individuum den westlichen Nationen einen Rat geben?
Shamsie: Ich wünschte, ich hätte eine Antwort, ich wünschte, ich hätte einen Vorschlag. Aber ich denke, dass es in diesem Fall auf jeden Fall eine regionale Lösung geben muss. Der Westen, die westlichen Staaten können wieder gehen, sie werden das Land wieder verlassen, aber die Nachbarn werden immer bleiben. Und wenn man an einer langfristigen Lösung interessiert ist, dann braucht man unbedingt eine regionale Teilnahme an der Lösung. Diese Länder drumherum müssen verstehen können, dass sie ein stabiles Afghanistan brauchen. Das ist natürlich schwer, weil jedes dieser Länder seine eigenen Ziele verfolgt. Aber langfristig muss es eine regionale Lösung geben.
Pokatzky: Unter Beteiligung internationaler Truppen, auch deutscher Truppen?
Shamsie: Das ist immer schwer zu beantworten. Ich kenne Afghanistan einfach nicht gut genug dafür. Ich weiß nicht genau, was die Truppen dort wirklich erreichen und was nicht. Es ist sicherlich immer gut, Geld und Mittel für Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, auch für die Sicherheit, aber was das Militär dort konkret erreicht, das vermag ich nicht zu sagen. Ich sehe das Ganze auch nur aus einer pakistanischen Perspektive, aus der einer Außenseiterin. Ich denke, man sollte vor allem mehr Afghanen am Gespräch beteiligen und hören, was sie zu sagen haben.
Pokatzky: Sie leben heute in London, Sie besuchen regelmäßig Pakistan, einmal im Jahr für einen Monat – sind Sie eine pakistanische Autorin in London, sind Sie eine pakistanisch-englische Schriftstellerin oder sind Sie eine pakistanisch-englisch-amerikanische Schriftstellerin, in den USA waren Sie ja auch lange Zeit?
Shamsie: Ich würde mich jetzt als pakistanische Londonerin bezeichnen. In Pakistan habe ich meine Kindheit verbracht und auch die längste Zeit meines Lebens, und das hat mich natürlich sehr geprägt. Das sind die Zeiten, die eine Identität ausmachen. Also würde ich sagen, dass die pakistanische Identität am stärksten ist. Ich lebte dort länger als überall anders. Aber jetzt wohne ich in London und deswegen würde ich mich jetzt als pakistanische Londonerin bezeichnen.
Pokatzky: Es gibt eine ganze Gruppe pakistanischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die inzwischen eine ganz große Rolle für die englischsprachige Literatur auf dem großen indisch-pakistanischen Subkontinent spielen, was es früher überhaupt nicht gab, da haben die Inder dominiert. Wie ist das gekommen in den letzten Jahren?
Shamsie: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einmal, denke ich, ist es ein gutes Timing, es gibt einfach zurzeit sehr viele Autoren oder gute pakistanische Autoren, die zur gleichen Zeit schreiben. Und dann gibt es noch die Tatsache, wenn einige Bücher aus einem Land oder einem Bereich gut laufen, dann sorgt das natürlich auch für Aufmerksamkeit – wenn die Leute sagen, oh, das ist ein pakistanischer Autor, da möchte ich ja mal sehen, was sonst noch aus dem Land kommt. Und dann kommt noch dazu, dass das Land natürlich jetzt auch sehr viel in den Nachrichten ist und dass es eine Methode ist, über das Land etwas herauszufinden, wenn man sich auch der Fiktion, also den Romanen aus diesem Land zuwendet.
Pokatzky: Thank you very much, Kamila Shamsie, und danke Marei Ahmia für die Übersetzung. Kamila Shamsies Buch "Verglühte Schatten", aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer, ist bei Bloomsbury, Berlin, erschienen, es hat 480 Seiten und kostet 22,95 Euro. Heute Abend um 18 Uhr tritt Kamila Shamsie bei der lit.Cologne auf, und zwar im Theaterhaus in der Stammstraße in Köln. Und am Sonntag wird sie auf unserem blauen Sofa auf der Leipziger Buchmesse zu Gast sein, und zwar um 12:30 Uhr.