Familienförderung - der ewige Widerspruch

Von Konrad Adam |
Wunder gibt es alle Tage; zumindest für den, der sich der Familienpolitik zuwendet. Das jüngste Wunder dieser Art verkündete Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, als sie die deutschen Wähler wissen ließ, wie gründlich sie dem Verfassungsauftrag zur Förderung der Familien nachgekommen ist: mit sage und schreibe 185 Milliarden Euro im Jahr. 185 Milliarden, das entspricht mehr als einem Drittel des Bundeshaushalts.
Das klingt vor allem deshalb so erstaunlich, weil ja zur selben Zeit eine andere Zahl bekannt geworden ist. Wieder einmal hat die Zahl der Kinder, die hier in Deutschland, einem der reichsten Staaten dieser Welt, an oder unterhalb der Armutsgrenze leben, zugenommen. Das geht so schon seit Jahren und Jahrzehnten, obwohl doch der Familie angeblich so viel Geld und so viel Hilfe zuteil wird. Wie erklärt sich dieses ewige Wunder und dieser ewige Widerspruch?

Ganz einfach, statistisch. Frau von der Leyen hat von Churchill gelernt, der ja auch nur denjenigen Statistiken glauben wollte, die er selbst gefälscht hatte. Die 185 Milliarden kommen nämlich zu einem großen, vielleicht sogar zum größeren Teil - Genaues weiß niemand - nicht etwa der Familie, sondern der Ehe zugute. Beides klafft jedoch, seitdem immer mehr Ehen und eheähnliche Gemeinschaften kinderlos bleiben, sich also niemals mehr zur Familie erweitern, zunehmend auseinander.

Fast die Hälfte der stolzen Summe von 185 Milliarden wird für ehebezogene Maßnahmen aufgewandt. Dazu gehören Witwenrenten im Umfang von 35 Milliarden sowie die beitragsfreie Mitversicherung von Eheleuten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, die mit gut zehn Milliarden in die Familienstatistik eingeht; dass das Ehegattensplitting, das auf Kinder bekanntermaßen keine Rücksicht nimmt, pauschal der Familienförderung zugeschlagen wird, rundet das Täuschungsmanöver ab.

Der fundamentale Fehler, der die Aussagekraft des Rechenwerkes weitgehend entwertet, liegt jedoch in der aller Statistik eigenen Beschränkung auf die laufende Periode. Denn die Missachtung, die Schlechterstellung und die Ausbeutung der Familie offenbaren sich in ihrem ganzen Ausmaß ja erst über die Zeit: dann nämlich, wenn die Kinder groß geworden sind und jetzt nicht nur die eigenen Eltern, sondern auch die Masse derjenigen versorgen müssen, die einfach deshalb so viel besser dastehen, weil sie so schlau waren, auf Kinder zu verzichten. Alt geworden, dürfen sie dort ernten, wo sie niemals gesät haben.

So, über die gesamte Lebenspanne gerechnet, die 70, 80 oder 90 Jahre betragen kann, wird keineswegs die Familie subventioniert, selbst dann nicht, wenn man der großzügigen Berechnungsmethodik Frau von der Leyens folgen will. Subventioniert werden Alleinstehende und doppelverdienende Paare ohne Kinder. Sie können sich ein schönes, sorgenfreies Leben leisten, weil sie ihr zwiefaches Einkommen mit keinen dritten oder vierten Personen zu teilen brauchen, ohne deswegen Einbussen im Alter befürchten zu müssen.

So etwas hat Folgen, die sich beim Blick auf eine andere Statistik zeigen, die Bevölkerungsstatistik. Nach der werden die Deutschen immer weniger und immer älter; was heißt, dass immer weniger Junge immer mehr Alte mit Geld und Dienstleistungen versorgen sollen; und zwar auch dann, wenn diese Alten es versäumt haben, ihrerseits für Kinder zu sorgen. Wie so etwas auf Dauer gut gehen soll, weiß niemand. Doch auch auf diese Frage wird irgendein Ministerium mit einer gut gefälschten Statistik eine Antwort parat haben.


Konrad Adam wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", arbeitete dann für die "Welt" und für die "FAZ". Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem "Die Ohnmacht der Macht", "Für Kinder haften die Eltern", "Die Republik dankt ab" sowie "Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen". Zuletzt erschien: "Die alten Griechen".