Familiennachzug in Bayern

Wann sehen sich Reber Alraham und seine Frau wieder?

Bilder des zerstörten Aleppo.
Leben in Trümmern: Die syrische Stadt Aleppo. © picture alliance / MAXPPP / dpa
Von Susanne Lettenbauer |
Seit dem 1. August 2018 ist der Familiennachzug wieder möglich, bis zu 1000 Familienangehörige pro Monat dürfen nach Deutschland kommen. Im bayerischen Aschaffenburg wartet der Syrer Reber Alraham auf seine Frau aus Aleppo.
Reber Alrahman, wartet am Bahnhof. Der Syrer aus Aleppo ist ein kleiner Mann, der eigentlich gern lacht. Er versucht seine Sorgen hinter kleinen Späßen zu verstecken, wenn er von seiner Flucht nach Deutschland spricht:
"Ja, das erste Mal kam ich in die Türkei, dann nach Griechenland, dann Serbien und Mazedonien und dann komme ich her."
Seit zwei Jahren wohnt er jetzt in Aschaffenburg. Mit Eifer setzte er sich damals in den Integrationskurs für Asylbewerber. Suchte sich eine Arbeit. Stolz erzählt er von seiner Wohnung:
"Ich habe ein großes Zimmer und einen Balkon, meine Wohnung hat 45 Quadratmeter. Ich habe schon Vermieter gefragt, GBW. Ja, die Wohnung wäre gut für zwei Personen, erlauben wir. Ich habe schon gefragt, vielleicht kommt meine Familie, habe die Erlaubnis."

Fernbeziehung mit seiner Frau in Aleppo

Alrahman zeigt auf sein Handy. Dort sind die Dokumente gespeichert, die er braucht, damit seine Ehefrau endlich zu ihm nach Deutschland kommen darf: Heiratsurkunde, Passdokumente, sein Mietvertrag in Papierform.
"Hier steht mein Name, hier steht der Name meiner Frau, wir haben verheiratet in dieser Zeit, hier steht das auch. "
2014 heiratete der 31-Jährige in Aleppo seine Frau Neirouz Sheik Ibrahim. Eine Nachbarstochter. Täglich schreibt er ihr Whatsapp-Nachrichten. Wie es ihm geht, was er so macht. Sie schickt ihm Fotos von sich und viele Herzchen. Eine Fernbeziehung seit drei Jahren:
"Nicht einen Tag, zwei Tage oder zwei Wochen, drei Jahre warte ich auf meine Familie. Meine Familie ist ein Problem. Ich kann nicht gut arbeiten, nicht gut schlafen, nicht gut essen, immer Problem."
Seine Frau wohnt noch immer bei ihren Eltern in Aleppo. 1000 Familienangehörige dürfen jetzt pro Monat nach Deutschland kommen. So hatte es die Große Koalition Mitte Juni beschlossen, gegen die Stimmen der Opposition. Seitdem hofft Alrahman, dass es jeden Tag soweit sein könnte.

Chef der Ausländerbehörde wartet auf Anweisungen

Bernd Grebner lächelt freundlich, ein zuvorkommender Mann, ein langjähriger Beamter der Stadt:
"Ich habe vorhin gerade mal nachgeschaut: Wir haben 200 subsidiäre Schutzberechtigte, wobei dabei auch schon Familien sind und Ledige."
Der Chef der Aschaffenburger Ausländerbehörde legt drei Papiere vor sich hin. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Familiennachzug vom Juni 2018. Dann die Behördenakte des Syrers Alrahman. Und das Rundschreiben des bayerischen Innenministeriums, wie genau denn in den Kommunen die Neureglung praktisch umgesetzt werden soll. Es kam sehr knapp:
"Ich habe hier eine Mitteilung vom 13.7., also Mitte Juli, weiß nicht, wann ist das verabschiedet worden? Also das kommt vom Innenministerium, also wenn das am 13. raus ist, dann ein, zwei Tage später. Seit ein, zwei Wochen haben wir die Info."
Er als Chef der Ausländerbehörde erfahre von dem geplanten Prozedere leider immer erst als Letzter, bedauert er. Vorher wissen es die Kollegen vom bayerischen Innenministerium, dann die Mitarbeiter von der zuständigen Regierung Unterfranken. Und dann erst er in Aschaffenburg:
"Und dann müssen wir halt das Gesetz umsetzen. Wir warten eigentlich noch auf etwas von unserem, dem bayerischen Innenministerium, vielleicht etwas konkretere Anweisungen, aber ansonsten haben wir nur den Gesetzestext."
Grebner kann verstehen, dass die subsidiär Schutzberechtigten seiner Stadt, rund 200, sich jetzt große Hoffnung machen. Er erklärt aber auch, dass nur die Kernfamilie nachziehen darf. Das heißt der Ehegatte zum Ehegatten, der Elternteil zum Kind und das Kind zum Elternteil. Geschwister sind davon ausgeschlossen:
"Da wir ja nicht über die Anträge entscheiden, sondern das Bundesverwaltungsamt, kann ich die Chancen nicht einschätzen, weil ich nicht weiß, nach welchen Kriterien das Bundesverwaltungsamt die einzelnen Anträge gewichtet. Wir müssen Hinweise liefern ans Bundesverwaltungsamt, Integrationsaspekte, positive Aspekte und dann werden sie vom Bundesverwaltungsamt gewichtet und 1.000 Leute dürfen dann pro Monat mit Visum einreisen und wer nicht einreisen darf, die Prüfung wird in den nächsten Monat vertagt."

Alle müssen sich in Geduld üben

Reber Alrahman hört aufmerksam zu, sein Frust ist ihm deutlich anzusehen. Er warte doch jetzt schon so lange, sieben Monate, wiederholt Reber Alrahman. Wann es denn nun endlich losgehe?
"Da gehe ich fragen bei der Ausländerbehörde, ich möchte meinen Familiennachzug, da sagen sie, erlauben sie nicht, Erlaubnis ja, aber nicht jetzt, du muss noch warten. Aber warten, warten bis wann? Bis ich alter Mann? Drei Jahre nicht genug?"
In der Ausländerbehörde steht man dem machtlos gegenüber, erwidert Amtsleiter Grebner:
"Ja, wir sind schon einfühlsam und haben dafür Verständnis, denn es ist ja nicht leicht, wenn Kinder von einem Minderjährigen noch im Ausland sind oder minderjährige Kinder im Ausland sind oder ein Ehepartner. Da hätte natürlich jeder gern seine Familie beisammen, aber wir treffen halt letztlich nicht die Entscheidung. Deshalb dürfen wir das auch nicht so an uns heranlassen."
Alle müssten jetzt abwarten, sich in Geduld üben. Er könne erst tätig, wenn ihn das Bundesverwaltungsamt kontaktiere, versucht Bernd Grebner zu beruhigen. Während die Deutsche Botschaft in Beirut die Daten der Ehefrau im Ausland abklärt und zum Bundesverwaltungsamt schickt, muss er als Behörde im Inland die Unterlagen zum Ehemann zusammensuchen und ebenfalls dem Bundesverwaltungsamt schicken:
Ob der Ehemann eine Wohnung hat, ob er eine Arbeit nachweisen kann, ob er eventuell schon einmal polizeilich durch Straftaten aufgefallen ist oder gar als Gefährder geführt wird. Diese sogenannten Integrationsaspekte sind alles wichtige Gründe für eine Ablehnung oder Zustimmung der Familienzusammenführung. Im Bundesverwaltungsamt in Köln wird dann entschieden, ob der Visantrag angenommen wird.
"Wir warten gespannt ab, wir wissen noch nicht, wie viele kommen, wie viele Anträge wir kriegen, im Moment haben wir noch nichts vorliegen. Ich nehme an, das kommt tröpfchenweise, denn die Leute brauchen ja erstmal einen Termin bei der Botschaft."

Nachzug kann bis zu 12 Monaten dauern

Wenn er nicht mehr weiter weiß, geht Reber Alraham zur Arbeiterwohlfahrt. Im Dezember half ihm Sozialarbeiterin Tina Tauber, seine Ehefrau für den Familiennachzug auf der Webseite der Deutschen Botschaft Beirut zu registrieren. In ein einfaches Onlineformular trug er ihren Namen, Vornamen, Geburtsort und -datum ein, dann die Passnummer und ihren Wohnort. Mehr nicht.
Tina Tauber versucht, ihm das Behördendeutsch zu erklären, aber es ist schwer zu verstehen:
"Man registriert sich über ein System, das nennt man iData, für einen Termin. Man erhält dann in der Regel innerhalb weniger Stunden oder zumindest innerhalb weniger Tage eine Bestätigungsmail. Da ist aber noch kein Termin vermerkt. Die Antragsteller erhalten dann noch eine zweite email, aber wesentlich später."
"Guten Tag, Neirouz Sheik Ibrahim, Sie sind auf dem Termin in der Botschaft in Beirut für Familiennachzug unter der Nummer 837..."
Liest Reber Alrahman das Schreiben der Deutschen Botschaft aus Beirut vor.
"Es kann einfach bis zu 12 Monate dauern, bis ein Termin vergeben wird. Wenn der Klient jetzt erst drei Monate wartet, beruhigen wir ihn und sagen, das ist noch alles noch so wie es sein soll. Wenn wir den Eindruck haben, dass da tatsächlich etwas schiefgelaufen ist, dann kontaktieren wir in der Regel das Auswärtige Amt, die mit den Botschaften zusammenarbeiten oder eben direkt die Botschaft."

Die Arbeit lenkt ihn vom Warten ab

Reber Alrahman fährt derzeit für einen Dienstleister Pakete aus. Die Arbeit lenkt ihn ab. Die Gedanken an die Ehefrau und Eltern beeinträchtigen trotzdem sein Leben, meint er.
"Ich weiß nicht was machen. Hier ist alles gut, Arbeit, Wohnung und alles. Wir haben nette Leute, sehr nett, die uns helfen, aber – nur meine Frau kommen dann alles okay. Ich habe schon drei Jahre gewartet, aber alles ein Problem, meine Frau. Ich kann nicht gut arbeiten, kann nicht gut schlafen, immer Gedanken an meine Familie. Aber jetzt auch bisschen krank."
Im Unterschied zu 2015 ist man in Aschaffenburg inzwischen auf nachkommende Familienangehörige vorbereitet. Es gäbe zwar nur wenig Wohnraum, aber irgendwie finde man immer etwas, heißt es von der AWO. Die Stadt biete auch Kulturvermittler an, die kurdisch, arabisch sprechen. Der städtische Arbeitskreis Migration treffe sich regelmäßig. Die Betreuung der unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen sei mittlerweile auf verschiedene Hilfsorganisationen wie AWO, Caritas und Malteser aufgeteilt.
Wenn Alrahams Frau aus Aleppo nach Aschaffenburg käme, erwarte sie eine Vielzahl von Angeboten, man würde sie auffangen, so Sozialarbeiterin Tina Tauber:
"Ja, die Klienten, die hier angebunden sind, betreuen wir auch weiter, wenn ihre Familien nachziehen und dann unterstützen wir eben die ganzen Familien. In dem konkreten Falle hieße das, einen Platz für Integrationskurse zu bekommen."
Viel Kraft hat der Syrer nicht mehr. Seiner Frau gehe es nicht gut in Aleppo, der Gedanke daran, raube ihm alle Energie. Er könne sich nicht richtig konzentrieren. Zweimal hätte er bereits eine Job verloren, auch den Integrationskurs habe er abgebrochen. Zurück nach Syrien kann er jedenfalls nicht. Er würde sofort zum Militärdienst eingezogen.
Also will er weiter warten. Ihm bleibt nichts anderes übrig.
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