Familientreffen im Französischen Dom

Von Peter Kaiser |
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat eine 160-seitige "Orientierungshilfe" zum Thema Familie herausgegeben. Darin werden auch homosexuelle Lebensgemeinschaften berücksichtigt. In Berlin debattieren nun Theologen über das Papier, das die Gemüter erhitzt.
Die geschlossene Gesellschaft, die sich letzte Woche im Berliner Französischen Dom zusammenfand, war alles andere als eine Feierrunde. Die Männer und Frauen nahmen am Symposium zur Orientierungshilfe des Rates der EKD teil. Diese im Juni des Jahres erschienene Orientierungshilfe mit dem Titel: "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit - Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken" sorgt seitdem für heftige Diskussionen. Denn darin wird ein erweitertes Familienbild vertreten, das vielfältige Lebensformen - zum Beispiel gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern - einschließt. Es heißt, dieses Papier würde einen "Kurswechsel" dokumentieren. Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider sagte daher gleich zum Symposiumsanfang:

"Die rege Diskussion der letzten Monate um das Familienpapier hat uns darin bestärkt, dass die Orientierungshilfe in ihrer Analyse der gesellschaftlichen Situation Zutreffendes sagt und dass wir eine Neubesinnung und Fundierung der Arbeit der evangelischen Kirche mit den neuen vielfältigen Formen von Familien brauchen."

Vor diesem Hintergrund war schon die Begrüßung von Christoph Markschies von der Berliner Humboldt Universität eindringlich fragend:

"Wenn Ehe zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts – um nur ein aktuelles Stichwort aufzunehmen - eine 'gute Gabe Gottes' sein soll, stellt sich natürlich die Frage, ob mit dem Stichwort 'gut' auf die Formel 'Und Gott sah, dass es gut war' aus dem Schöpfungsbericht angespielt werden soll, und ist die Liebe zwischen zwei Menschen gleichen Geschlechts dann keine gute Gabe Gottes? Eine weniger gute Gabe als die Liebe zwischen solchen verschiedenen Geschlechts?"

Zwei Neutestamentler waren zur Podiumsdiskussion eingeladen: Frau Christine Gerber, Professorin an der Universität Hamburg, und Friedrich Wilhelm Horn von der Universität in Mainz. Dazu kamen die systematischen Theologen aus Heidelberg, Professor Wilfried Härle und Professor Klaus Tanner. Doch bevor die Runde eröffnet wurde, verwies Christoph Markschies exemplarisch auf einige theologisch-handwerkliche Mängel.

"Wir sollten uns heute nicht lange aufhalten mit der Frage, ob man nicht von einer Orientierungshilfe der EKD erwarten darf, dass in einem solchen Text Luthers Charakterisierung der Ehe als ein 'eusserlich weltlich ding' in der Schrift 'Von Ehesachen' aus dem Jahre 1529 ergänzt werden muss durch einen wenigstens knappen Hinweis auf sein Verständnis der Ehe als 'seliger Stand und Gott gefällig'."

Kurz und luftig, aber auch ein wenig spitz problematisierte Professor Markschies zu Beginn des Symposiums den Begriff des "Leitbildes". Denn dass die heterosexuelle, lebenslange Ehe weiterhin das "Leitbild" der Evangelischen Kirche sei, hoben führende Repräsentanten der EKD in den vergangenen Wochen immer dann hervor, wenn sie der Kritik begegnen wollten, die Orientierungshilfe werte die heterosexuelle Ehe gegenüber etwa einer homosexuellen Partnerschaft ab. Markschies erinnerte an die erst kurze Geschichte des Begriffs "Leitbild":
"Der sechste Band des Wörterbuchs der Gebrüder Grimm, der im Jahre 1885 erschien, kennt den Begriff 'Leitbild' überhaupt noch nicht. Erste Belege im 'Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache' verweisen auf die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber ist es so furchtbar sinnvoll, in der evangelischen Ethik einen Begriff zu bemühen, der mindestens den unbedarften Laien an die Deutsche Bahn erinnert, die sich in ihrem Unternehmensleitbild zu kundenorientiertem Service und Pünktlichkeit bekennt, mit welchem Ergebnis auch immer."

Die Zeit drängte, die Aufgabe war groß, denn das Thema könnte kaum prekärer sein. Ist am Anfang des 21. Jahrhunderts der alt-hergebrachte Begriff der Ehe und der Familie noch haltbar? Von homosexuellen Lebensgemeinschaften bis zu Patchwork-Familien verschiedener Orte und Kulturen reichen die modernen Lebensformen. Sind diese der traditionellen Familie beziehungsweise dem tradierten Begriff dazu dann gleichzusetzen? Und soll die Evangelische Kirche homosexuelle Partnerschaften als gleichgeschlechtliche Partnerschaften segnen, wie kürzlich in Hessen und Nassau?

Hauptstreitfrage der Orientierungshilfe ist dabei: Wird in dem sogenannten Familienpapier die heterosexuelle Ehe gegenüber homosexuellen Partnerschaften abgewertet oder nicht? Friedrich Wilhelm Horn von der Universität in Mainz tendierte zu dieser Ansicht:

"In der Orientierungshilfe wird das Leitbild der Ehe in Frage gestellt und es wird die Ehe mit anderen partnerschaftlichen Formen auf eine Ebene gestellt. Auch wenn eine direkte biblische Begründung der Ehe nicht zu erheben ist, so stellt die Form der Ehe doch innerhalb der Bibel und der Geschichte des Christentums konkurrenzlos die besondere Form dar, in der sich ein christliches partnerschaftliches Leben verwirklicht. Ich erkenne in der Orientierungshilfe nicht wirklich das Bemühen, argumentativ für die Ehe einzutreten."

Christine Gerber von der Universität Hamburg, die den Intentionen des Familienpapiers zustimmt, meinte dazu:

"Die Orientierungshilfe stellt die lebenslange Dauer der Ehe nicht in Frage, auch wenn ihr das oft unterstellt wird. Ich verstehe ihre Ausführungen so - Exegese ist ja auch hier notwendig - dass sie gerade dieses Ideal der lebenslangen Partnerschaft theologisch begründet voraussetzt. Nur deshalb kann sie ja dieses Ideal von Treue und Verbindlichkeit auch für Lebenspartnerschaften voraussetzen."

Auch für Wilfried Härle von der Heidelberger Universität steht das Leitbild der Familie im Familienpapier nicht zur Disposition. Professor Härle zitiert ein Echo aus dem Umfeld des EKD-Papiers:
"Es ist ein Irrtum zu meinen, die EKD gebe mit dieser Orientierungshilfe das Leitbild von Ehe und Familie preis. Dieses Leitbild soll vielmehr auch unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zur Geltung gebracht werden."

Klaus Tanner, ebenfalls von der Universität Heidelberg, kritisierte an der Orientierungshilfe vor allem eines: Sie sei ein Schritt der Kirche auf das Feld der Parteipolitik.

"Das ist eine gezielte politische Indienstnahme der Kirche, der evangelischen Kirchen für eine gesellschaftliche Agenda, die auf den Ausbau des Sozialstaates zielt. Und damit die evangelischen Kirchen ihre Rolle als gesellschaftlicher Akteur richtig spielen können, müssen sich aber auch die Kirchen ändern. Mit der politischen Programmatik wird eine kirchenpolitische eng verknüpft."

Natürlich war und ist für die Diskussion um die EKD-Orientierungshilfe der biblische Begriff der Ehe und Familie grundlegend. Doch zu biblischen Zeiten gab es keine Ehe und keine Familie wie heute. Auch der Begriff der Homosexualität findet sich nicht wirklich, sagt Friedrich Wilhelm Horn:

"Die Orientierungshilfe greift des Öfteren auf Beispiele der Lebenswirklichkeit zurück, um von ihnen ausgehend gegenwärtige Orientierung abzuleiten. Als Beispiel verweise ich auf den Satz, dass in biblischen Texten auch von zärtlichen Berührungen zwischen Männern gesprochen werde. Ich erkenne wohl, dass es im frühen Christentum eine Infragestellung der Ehe gegeben hat, sehe aber auch deutlich, dass nicht für eine andere Lebensform als die der Ehe geworben wird. Homosexuelle Partnerschaften mögen vorgekommen sein, sind aber innerhalb der neutestamentlichen Ethik grundsätzlich undenkbar. Ich selber, um das klar zu sagen, bejahe das Recht auf homosexuelle Partnerschaften aus theologischen Überlegungen ausdrücklich, sage aber auch deutlich, dass ich mich mit dieser Entscheidung klar gegen die biblische Vorgabe positioniere."

Vielleicht ist das Schlusswort von Christine Gerber als Schlusswort zum Symposium zu sehen. Denn natürlich konnte es kein abschließendes und gültiges Fazit geben, darum ging es auch nicht. Es ging um die Versachlichung einer hochemotionalen Thematik. Mehrheitlich waren sich die Professorin und die Professoren einig, dass das Orientierungspapier mitnichten zur Abwertung von Ehe und Familie aufruft. Die Diskussion wird also weitergehen - spätestens bei der Synode der Evangelischen Kirche Mitte November in Düsseldorf. Das positive Votum von Christine Gerber für die Orientierungshilfe steht aber heute schon fest:

"Die Orientierungshilfe votiert dafür, nicht von der Frage auszugehen, welche
Lebensformen heute dem biblischen Zeugnis angemessenen Ausdruck geben, sondern welches Ethos die gegenseitigen Beziehungen prägen sollte, die in unterschiedlichen, variablen Lebensformen gelebt werden können. Sie tut recht daran."


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