Familientreffen in Neuss

Shakespeares Totenmaske
Shakespeares Totenmaske © AP
Von Ulrike Gondorf |
Während die Tochter Irina Brook eine temporeiche und turbulente "Sturm"-Version abliefert, fragt ihr 85-jähriger Vater Peter Brook in seinem Stück schlicht, aber ergreifend "Warum?" Das 20. Shakespeare-Festival in Neuss wird auf jeden Fall in Erinnerung bleiben.
Der Name Brook ist legendär in der Bühnenwelt. Der heute 85-jährige Regisseur Peter Brook ist eine der prägenden Persönlichkeiten im Theater des 20. Jahrhunderts. Gewiss nicht leicht, eine junge Regisseurin zu sein und als Tochter in die Fußstapfen dieses berühmten Vaters zu treten. Irina Brook hat es gewagt. Seit gut zehn Jahren inszeniert sie Schauspiele und Opern und leitet ihre eigene Truppe, der sie auch selbstbewusst ihren Namen gegeben hat. Höhepunkt der 20. Ausgabe des Neusser Shakespeare-Festivals im Nachbau des Globe-Theaters war jetzt ein Wochenende, an dem Tochter und Vater Brook beide mit einer Inszenierung vertreten waren.

Die Compagnie Irina Brook war zu Gast mit "Tempete!", einer vielsprachigen, temporeichen und turbulenten Version von Shakespeares "Sturm". Wie ihr Vater es oft getan hat, arbeitet auch Irina Brook mit einem international besetzten Ensemble und setzt ganz auf die Qualitäten der Schauspieler, die wahrlich viel können, auch singen, tanzen, zaubern und jonglieren. Aber sie belässt es nicht beim "leeren Raum", dem ihr Vater ein epochemachendes Buch gewidmet hat: Irina Brooks "Sturm" spielt in einer von Requisiten überquellenden – Küche. Denn ihr Prospero ist kein vertriebener Herrscher, sondern ein enteigneter Pizzabäcker.

Diese schräge Idee gibt Stoff für Slapstick und komödiantische Einlagen. Aber sie verleitet die Regisseurin keinen Moment, die Konflikte, den Ernst, die Tiefe des Stücks zu verraten.

Im Gegenteil, sie arbeitet ein Grundmoment von Shakespeare klar heraus: Das Drama wird nicht spannend durch seine äußeren Umstände, sondern durch die Absolutheit, mit der Menschen es durchleben. Nicht ob es um ein Königreich oder ein Restaurant geht, macht eine Geschichte groß oder klein, sondern die Art, wie ein Mensch umgeht mit Besitz oder Verlust, Machtgier oder Verzicht, Rache oder Vergebung. So schafft Irina Brook das Kunststück, den "Sturm" ganz anders und doch ganz dicht auf der Spur der wesentlichen Fragen zu erzählen, mit einem Abend, der dabei noch unterhaltsam und komödiantisch ist.

Die tiefgründigste aller Fragen "Warum?" hat Peter Brook als Titel gewählt, und beharrlich wiederholt er sie gleich noch einmal: "Warum warum" heißt seine "theatralisch Recherche", die vor zwei Jahren am Schauspielhaus Zürich herauskam. Es ist, kurz gesagt, eine Studie über das Wunder der Verwandlung, das der Kern des Theaters ist.

Die großartige Schauspielerin Miriam Goldschmidt führt es vor, in Szenen von Shakespeare und in Texten, die über das Theater reflektieren; von Peter Brook, von Artaud oder Meyerhold. In unseren Köpfen lässt sie Räume und Dinge entstehen, die gar nicht vorhanden sind. Denn Peter Brook braucht ja nichts als den "leeren Raum", etwas farbiges Licht und die wunderbar schwebenden Sphärenklänge, die der Musiker Francesco Agnello seinem Hang entlockt, einem klingenden Metallkörper.

Vor allem aber zieht Miriam Goldschmidt uns hinein in Geschichten, beschwört Situationen, lässt uns teilnehmen an Seelenzuständen. Vor unseren Augen durchlebt sie Glück und Angst, Lachen und Weinen, Jugend und Alter, Verwirrung und Weisheit. Jeden Augenblick möchte man festhalten, aber schon hat er sich aufgelöst im nächsten. Allein die Begegnung mit diesem konzentrierten Kompendium der Theaterkunst wird dafür sorgen, dass diese 20. Ausgabe des Neusser Shakespeare-Festivals lange in Erinnerung bleibt.

Links zum Thema
Homepage des Shakespeare-Festival 2010 in Neuss

Kultur heute - Das Wesen des Theaters
Peter Brook inszeniert am Schauspielhaus Zürich das Stück "Warum Warum" (DLF)
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