Familienunternehmen mit Nazi-Vergangenheit
Im Jüdischen Museum Berlin ist derzeit die Ausstellung "Techniker der 'Endlösung' - Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz" zu sehen. Hartmut Topf, Journalist und Großcousin der Firmeneigner, äußert sich im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur über seine vergeblichen Versuche, Auskünfte über die Nazi-Vergangenheit bei der Familie zu bekommen.
Ellmenreich: Die Firma Topf & Söhne war ein mittelständisches Unternehmen mit Familientradition. 1878 in Erfurt gegründet, hatte man sich einen Namen gemacht als Hersteller von Brauereimaschinen, Getreidetrocknungsanlagen und Krematorien. Mit solidem Handwerk und neuestem technischen Stand hatte es Topf & Söhne zum Marktführer gebracht und das waren Qualitäten auf die sich ab 1939 auch die SS verlassen wollte. Die Firma Topf & Söhne lieferte spezielle Leichenverbrennungsanlagen für die Konzentrationslager der Nazis. Bei mir im Studio begrüße ich jetzt Hartmut Topf, den Großcousin der damaligen Firmeneigner. Heute Abend spricht er bei einer Veranstaltung im Jüdischen Museum unter der Überschrift: "Kinder aus Täter-Familien". Guten Morgen, Herr Topf!
Topf: Hallo!
Ellmenreich: Sie sind Jahrgang 1934, Sie haben aber erst nach dem Krieg in einer Wochenschau im Kino erfahren, was die Firma Ihrer Verwandtschaft im Auftrag der Nazis getan hat. War das bewusst ein Tabuthema in der Familie bis zu diesem Zeitpunkt?
Topf: Ich bin sicher, dass es nicht einmal ein bekanntes Thema war, bei meinem Zweig der Familie. Denn die Erfurter - die da die Inhaber waren, die Cousins also meines Vaters - und wir, hatten eigentlich keinen gesellschaftlichen Umgang, das war eine ganz andere Welt. Die beiden Vorfahren, also mein Großvater und deren Vater, die hatten sich 1903 schon getrennt, sind auch beide 1914 gestorben. Und diese beiden jungen Männer sind ja auch dann erst in den 30er Jahren wichtig geworden. Ich hatte eigentlich nur den kindlichen Stolz: Aha, ich bin verwandt mit einer weltberühmten Firma, ich habe so einen schönen Namen. Und da brach natürlich was ab und was zusammen. Tabuthema nicht, aber dann ging die Fragerei los. Ich kann nicht mal mehr sagen, in welchem Jahr nach dem Krieg, aber als ich die Bilder im Kino sah, da war die Fragerei natürlich für mich da und auch für die die mich kannten.
Ellmenreich: Wen haben Sie dann gefragt, als Sie wussten, was die Firma Topf & Söhne während der Nazi-Zeit gemacht hat?
Topf: Ich habe versucht, in der Verwandtschaft Auskünfte zu bekommen, da war nichts zu holen. Also da waren die meisten auch gar nicht mehr da. Mein Vater und mein Onkel waren in einem Lager, das vorher ein KZ war, und waren dort gestorben.
Ellmenreich: Die meisten waren nicht mehr da, es waren aber welche da. Was heißt: Da war nichts zu holen, hat man nicht geantwortet?
Topf: Meine Mutter wusste von nichts, die war zu jung und zu unerfahren in diesen Dingen. Mein Vater und der Nachbar Onkel Hans, der älteste Bruder, die waren in Sachsenhausen verschwunden, also im NKWD-Sonderlager, auf dem alten KZ-Gelände. Der Onkel Karl, der Architekt in Hildesheim, der wusste von gar nichts, der war zwar desertiert gegen Kriegsende, aber der war auch sehr unpolitisch geworden. Und die Tanten, die eine war Anthroposophin, die andere war Kräuterweiblein im Coburgischen Land. Also mit denen konnte man darüber nicht viel sprechen. Die Anthroposophin war noch die Interessierteste, aber sie wusste auch herzlich wenig. Außerdem sah ich sie ja auch nicht so oft. Ich bin als 16-Jähriger aus der DDR in den Westen gegangen, und da wusste ich dann irgendwann zwar der eine Inhaber war in Wiesbaden aber ich hatte keine Lust, den ich vorher nicht gekannt habe, nun kennen zu lernen.
Ellmenreich: Nun wissen Sie aber mittlerweile sehr viel über die Geschichte der Firma Topf & Söhne, wo haben Sie dann mehr in Erfahrung bringen können?
Topf: Ich habe zum Teil während der DDR, in den letzten Jahren der DDR schon in Erfurt zur Firmengeschichte von Verwandten oder so, von meinem Vetter Dietrich Borchart vor allem, viel Hilfe bekommen. Der hat mir natürlich private Dinge von Brautbriefen und frühen Verträgen und Lebensläufen der Vorfahren gegeben. Also, über die Firmengeschichte hatte ich schon sehr bald sehr viel. Und über diese spezielle Geschichte wusste ich eigentlich nur was aus den Veröffentlichungen zum Nürnberger Prozess, und dann natürlich durch eigene Recherchen so weit es überhaupt möglich war, es gab dann Fachbücher. Dann erst nach der Wende, als dieses Buch von Pressac auf den Markt kam: "Die Krematorien von Auschwitz", da habe ich mich da rein vertieft.
Ellmenreich: Wonach haben Sie gesucht? Haben Sie nach einer Geschichte zu der Zeit, nach Fakten gesucht? Was war genau Ihr Antrieb?
Topf: Ich wollte erst einmal wissen: Was hat die Firma getan, in welchem Maße. Das war ja ein Sonderbereich. Und in der DDR war die Lesart natürlich: Aha, Kapitalisten sind Faschisten, Faschismus führt zum Krieg, Faschismus führt zu Hitler, Faschismus führt zum Konzentrationslager. Das Thema war wunderbar entsorgt. Auch nach der Wende wollte in Erfurt kaum jemand davon was wissen, aus diesem Grund. Aber es gab eben dann Forschungen und Bücher, also Quellen gab es. Und 1994 hat man mich dann nach Erfurt eingeladen und gesagt: Sie sind ein Topf, Sie wissen was, Sie haben sich bemüht, wir wissen das. Reden Sie mal darüber! Und da kamen viele Leute, und daraus entstand in Erfurt der Förderkreis, der nun wirklich sich zum Ziel gesetzt hat, der Ort muss markiert werden, diese Industriebrache als Täter-Ort muss nutzbar bleiben, in der Erinnerung und zur politischen Bildung. Also nicht noch ein Denkmal der Opfer, sondern ein Ort zur Erinnerung an die Nazi-Zeit und ihre Verbrechen.
Ellmenreich: Als Sie sich in die Firmengeschichte eingearbeitet haben, und immer mehr in Erfahrung gebracht haben, was damals in den Jahren der Nazi-Diktatur dort passiert ist, haben Sie jemals diesen Reflex gespürt, diese Sache von sich zu schieben und eigentlich nicht weiter in die Geschichte einzudringen, nicht mehr Fakten wissen zu wollen?
Topf: Nein! Keinen einzigen Augenblick! Ich habe gesagt: Wenn ich es weiß, und wenn ich es wissen will, dann muss ich es erzählen. Wie mich ja auch die Geschichte der Mitläuferei der kleineren Partei, oder wie mein Vater einer war, und der Onkel Hans nebenan, wie mich das ja auch schon beschäftigt hat. Das hat mich viel früher beschäftigt. Wie konnten artige, gebildete, nette Leute dieser Partei überhaupt dienen, von der wir hinterher gehört haben, was sie für Schweinereien angerichtet hat?
Ellmenreich: Haben Sie Antworten darauf gefunden?
Topf: Zum Teil ja. Natürlich, das waren die üblichen, die man in allen Familien kennt: Na ja, wir mussten ja, und das waren die Verhältnisse, oder sonst hätten sie uns vielleicht irgendwas weggenommen. Also viele, viele Ausflüchte. Das waren ja keine Verantwortlichen. Und mit meinem Vater, konnte ich die Debatten eigentlich nur noch im Traum führen, denn der war ja verschwunden, den hatte ich das letzte Mal gesehen, als ich 11 Jahre alt war.
Ellmenreich: Haben Sie in den Unterlagen, in den Briefen, auch die Ihnen zur Verfügung standen, die Sie gelesen haben und durchsucht haben, haben Sie Momente gefunden, wo zur erkennen ist, dass von einem mittelständischen Unternehmen die ganze Geschichte umkippt in einen Dienst für die SS, in einen Dienst an dem großen Völkermord?
Topf: Nein. Das habe ich erst sehr spät gefunden bei den Recherchen, eigentlich erst nach der Wende. Durch Historiker natürlich, ich bin bei Pressac in Frankreich gewesen, er ist ja inzwischen tot. Oder der Siegfried Wolf, ein Geschichtsprofessor in Erfurt, der auch wesentliche Schritte unternommen hat, dass dieser Förderkreis ins Leben kam in Erfurt, der dann so 1998/1999 entstand. Und dann gab es Geld für die Forschung. Und dann konnte zweieinhalb Jahre Forschung investiert werden, und daraus dann die Chance, diese Ausstellung zu machen.
Ellmenreich: Diese Ausstellung, die zurzeit im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen ist. Hartmut Topf, Sie sind der Großcousin der Firmeneigner von Topf & Söhne, die die Krematorien, die Leichenverbrennungsöfen, für die KZs der Nazis bauten. Und heute Abend sitzen Sie auf dem Podium bei einer Veranstaltung im jüdischen Museum. "Kinder aus Täter-Familien" heißt diese Veranstaltung, diese Gesprächsrunde, und da wird auch der Sohn des Kriegsverbrechers Hanns Ludin, Malte Ludin, zugegen sein und sprechen. Fühlen Sie sich als ein Kind aus einer solchen Täter-Familie?
Topf: Ja, im weiten Sinne durchaus, natürlich. Ich meine, sehr viele Leute in Deutschland waren ja Helfer der Nazis und waren in vielen Bereichen auch Täter, ob sie an der Front waren als Soldaten, Frontpolizisten oder SS-Leute. In dem Sinne kann ich mich da gar nicht ausschließen, selbst als zufällig in Deutschland oder in Berlin geborener. Und hier im genaueren Sinne muss man noch viel mehr hingucken. Bei Malte Ludin ist es noch schwieriger, weil es sich um den eigenen Vater handelt, den er zwar kaum gekannt hat. Und dessen Rechtfertigung und Ausfluchtsversuche in seiner Familie so bedrückend sind, dass er eben einen Film darüber gemacht.
Ellmenreich: Wie bedrückend ist das für Sie?
Topf: Es war bedrückend als Tatsache, wie es für jeden denkenden Menschen sein kann, dass in diesem Land die Mitbürger ausgerottet werden sollten und ausgerottet wurden, dass es so viele fürchterliche Helfer gab, teils aus Opportunismus, teils aber auch aus Karrieresucht auch in der Firma. Das hat mich empört! Das muss ich sagen, das empört mich bis heute. Das ist eine solche Kulturschande. Und damit muss man Leben. Und wenn man es weiß, muss man es weitersagen. Ich finde Schweigen ist die falsche Antwort. Und ich habe immer, wenn ich mit Leuten, die unter den Nazis gelitten haben, oder Leute, die gegen die Nazis gekämpft haben in besetzten Ländern, wenn ich mit denen gesprochenen habe, auch wenn ich gesagt habe, woher ich komme und wie ich heiße. Die Offenheit des Gesprächs das war befreiend. Ich war nicht bedrückt dadurch, sondern eher akzeptiert. Und ich konnte mich ja auch besser identifizieren - sagen wir mal- mit Anne Frank, oder mit den Kinder der Weißen Rose, als mit irgendwelchen Nazi-Verbrechern.
Ellmenreich: Sie sind ein Großcousin dieser beiden Firmeneigner, das heißt, Ihr Vater war ein direkter Cousin der beiden. Haben Sie mal den Gedanken gehabt, dass es ja...Gott sei Dank, dass es doch einige Ecken sind, die mich von den beiden trennen?
Topf: Ja, natürlich! Es wäre für mich schwieriger gewesen, wenn das nun unmittelbare Verwandte in dem Sinne, also mein Vater gewesen wäre, der eine, der andere war kinderlos und ein Lebemann, der andere hatte eine Familie und dessen zwei Kinder haben offenbar große Schwierigkeiten gehabt, mit dieser Geschichte umzugehen. Von denen weiß ich also nur, dass sie ziemlich untergegangen sind. Die eine Tochter ist tot, und der andere, der also meine Generation ist, den habe ich nie sprechen können, auch nicht sprechen wollen, muss ich sagen, weil ich weiß, der ist kaputt gegangen, der ist nach Afrika gegangen und ist spät wieder gekommen. Also es ist so eine Geschichte in der ich nicht mal herumgraben kann.
Ellmenreich: Nicht Schweigen, sondern weitersagen, ungefähr in dem Wortlaut haben Sie vorhin ihr Ziel formuliert. Warum machen Sie das? Was treibt Sie an? Ist das auch ein bisschen vielleicht die journalistische Neugier, die in Ihnen steckt, da Sie ja auch Journalist sind?
Topf: Ja, Journalist bin ich ja auch erst irgendwann geworden. Aber als ich anfing mit der Geschichte war ich erstmal ein Schuljunge, der an den historischen Verdrehungen der DDR zu leiden hatte, und dann auch wirklich einer Verhaftung buchstäblich entsprungen und davongelaufen ist. Ich war also dadurch sehr früh politisiert, ich hätte gerne was begriffen, schon mit Hilfe der sowjetischen Kulturoffiziere und dann aber merkte ich, wie verlogen die Sache los geht. Um es ganz deutlich zu machen, als wir gelernt hatten, wie man Jugend verführt, die russischen Kulturoffiziere, am Beispiel der Hitlerjugend, und als dann diese Hitlerjugend-Trommeln und - Fanfaren neu dekoriert herausgeholt wurden, und Blauhemden fast dieselbe Musik machten, da schrie ich manchmal auf dem Schulhof wirklich vor Wut, aber da war ich 14 Jahre alt: Heil Hitler, Herr Stalin! Ja, so ärgerte mich das! Also war ich früh politisiert. Und meinen Vater und meinen Onkel konnte ich nicht fragen. Und die Frau vom Onkel Hans, die war ausgewandert nach Brasilien, die Frau aus der zweiten Ehe, die nicht ganz arisch war, wie wir später wussten. Plötzlich kriegen wir Liebesgabenpakete aus Brasilien von einer jüdischen Familie und wundern uns. Also da waren so viele Fragen, deswegen war ich als Kind schon so früh politisiert, lange bevor ich mich mit Journalismus überhaupt beschäftigen konnte.
Ellmenreich: Welche Antworten in die Zukunft wollen Sie geben? Denn Sie beschäftigen sich damit, gehen aber auch damit an die Öffentlichkeit.
Topf: Natürlich! Also, ich spreche, wenn ich gefragt werde darüber, das ist Nummer eins. Und zum zweiten ist, auch jetzt mit der Rückendeckung dieses Forschungsprojekts und der Ausstellung in Erfurt die Tür aufgemacht. Die Stadt hat endlich eingelenkt, bekennt sich jetzt zu diesem Stück der Geschichte, wird das Hauptverwaltungsgebäude kaufen, es steht fast unter Denkmalschutz. Das heißt es wird ein Lernort werden, ein Erinnerungsort, an dem hoffentlich junge Menschen mit Interesse lernen und begreifen, das auch als Warnung auffassen, dass man verführt werden kann in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, der falschen Sache nachzulaufen oder gar zu dienen, sich für idealistisch zu halten und gar nicht zu merken, wo man da hineinrattert. Und selbst wenn ich mir angucke, was in der Welt passiert und wo wir an der Nase herumgeführt werden oder wurden, ich denke an den Irakkrieg - gut wir haben zum Glück keine Finger darin - aber die Chance ist doch da, dass man uns in irgendwas hetzt, was wir gar nicht wissen wollen. Und deswegen finde ich solche Lehren aus der Geschichte auch nützlich.
Service:
Die Ausstellung "Techniker der 'Endlösung'. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz" ist vom 19. Juni bis 18. September 2005 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Die Veranstaltung "Kinder aus 'Täterfamilien'.Gespräch mit Malte Ludin und Hartmut Topf" findet am 11. August im Jüdischen Museum Berlin statt.
Topf: Hallo!
Ellmenreich: Sie sind Jahrgang 1934, Sie haben aber erst nach dem Krieg in einer Wochenschau im Kino erfahren, was die Firma Ihrer Verwandtschaft im Auftrag der Nazis getan hat. War das bewusst ein Tabuthema in der Familie bis zu diesem Zeitpunkt?
Topf: Ich bin sicher, dass es nicht einmal ein bekanntes Thema war, bei meinem Zweig der Familie. Denn die Erfurter - die da die Inhaber waren, die Cousins also meines Vaters - und wir, hatten eigentlich keinen gesellschaftlichen Umgang, das war eine ganz andere Welt. Die beiden Vorfahren, also mein Großvater und deren Vater, die hatten sich 1903 schon getrennt, sind auch beide 1914 gestorben. Und diese beiden jungen Männer sind ja auch dann erst in den 30er Jahren wichtig geworden. Ich hatte eigentlich nur den kindlichen Stolz: Aha, ich bin verwandt mit einer weltberühmten Firma, ich habe so einen schönen Namen. Und da brach natürlich was ab und was zusammen. Tabuthema nicht, aber dann ging die Fragerei los. Ich kann nicht mal mehr sagen, in welchem Jahr nach dem Krieg, aber als ich die Bilder im Kino sah, da war die Fragerei natürlich für mich da und auch für die die mich kannten.
Ellmenreich: Wen haben Sie dann gefragt, als Sie wussten, was die Firma Topf & Söhne während der Nazi-Zeit gemacht hat?
Topf: Ich habe versucht, in der Verwandtschaft Auskünfte zu bekommen, da war nichts zu holen. Also da waren die meisten auch gar nicht mehr da. Mein Vater und mein Onkel waren in einem Lager, das vorher ein KZ war, und waren dort gestorben.
Ellmenreich: Die meisten waren nicht mehr da, es waren aber welche da. Was heißt: Da war nichts zu holen, hat man nicht geantwortet?
Topf: Meine Mutter wusste von nichts, die war zu jung und zu unerfahren in diesen Dingen. Mein Vater und der Nachbar Onkel Hans, der älteste Bruder, die waren in Sachsenhausen verschwunden, also im NKWD-Sonderlager, auf dem alten KZ-Gelände. Der Onkel Karl, der Architekt in Hildesheim, der wusste von gar nichts, der war zwar desertiert gegen Kriegsende, aber der war auch sehr unpolitisch geworden. Und die Tanten, die eine war Anthroposophin, die andere war Kräuterweiblein im Coburgischen Land. Also mit denen konnte man darüber nicht viel sprechen. Die Anthroposophin war noch die Interessierteste, aber sie wusste auch herzlich wenig. Außerdem sah ich sie ja auch nicht so oft. Ich bin als 16-Jähriger aus der DDR in den Westen gegangen, und da wusste ich dann irgendwann zwar der eine Inhaber war in Wiesbaden aber ich hatte keine Lust, den ich vorher nicht gekannt habe, nun kennen zu lernen.
Ellmenreich: Nun wissen Sie aber mittlerweile sehr viel über die Geschichte der Firma Topf & Söhne, wo haben Sie dann mehr in Erfahrung bringen können?
Topf: Ich habe zum Teil während der DDR, in den letzten Jahren der DDR schon in Erfurt zur Firmengeschichte von Verwandten oder so, von meinem Vetter Dietrich Borchart vor allem, viel Hilfe bekommen. Der hat mir natürlich private Dinge von Brautbriefen und frühen Verträgen und Lebensläufen der Vorfahren gegeben. Also, über die Firmengeschichte hatte ich schon sehr bald sehr viel. Und über diese spezielle Geschichte wusste ich eigentlich nur was aus den Veröffentlichungen zum Nürnberger Prozess, und dann natürlich durch eigene Recherchen so weit es überhaupt möglich war, es gab dann Fachbücher. Dann erst nach der Wende, als dieses Buch von Pressac auf den Markt kam: "Die Krematorien von Auschwitz", da habe ich mich da rein vertieft.
Ellmenreich: Wonach haben Sie gesucht? Haben Sie nach einer Geschichte zu der Zeit, nach Fakten gesucht? Was war genau Ihr Antrieb?
Topf: Ich wollte erst einmal wissen: Was hat die Firma getan, in welchem Maße. Das war ja ein Sonderbereich. Und in der DDR war die Lesart natürlich: Aha, Kapitalisten sind Faschisten, Faschismus führt zum Krieg, Faschismus führt zu Hitler, Faschismus führt zum Konzentrationslager. Das Thema war wunderbar entsorgt. Auch nach der Wende wollte in Erfurt kaum jemand davon was wissen, aus diesem Grund. Aber es gab eben dann Forschungen und Bücher, also Quellen gab es. Und 1994 hat man mich dann nach Erfurt eingeladen und gesagt: Sie sind ein Topf, Sie wissen was, Sie haben sich bemüht, wir wissen das. Reden Sie mal darüber! Und da kamen viele Leute, und daraus entstand in Erfurt der Förderkreis, der nun wirklich sich zum Ziel gesetzt hat, der Ort muss markiert werden, diese Industriebrache als Täter-Ort muss nutzbar bleiben, in der Erinnerung und zur politischen Bildung. Also nicht noch ein Denkmal der Opfer, sondern ein Ort zur Erinnerung an die Nazi-Zeit und ihre Verbrechen.
Ellmenreich: Als Sie sich in die Firmengeschichte eingearbeitet haben, und immer mehr in Erfahrung gebracht haben, was damals in den Jahren der Nazi-Diktatur dort passiert ist, haben Sie jemals diesen Reflex gespürt, diese Sache von sich zu schieben und eigentlich nicht weiter in die Geschichte einzudringen, nicht mehr Fakten wissen zu wollen?
Topf: Nein! Keinen einzigen Augenblick! Ich habe gesagt: Wenn ich es weiß, und wenn ich es wissen will, dann muss ich es erzählen. Wie mich ja auch die Geschichte der Mitläuferei der kleineren Partei, oder wie mein Vater einer war, und der Onkel Hans nebenan, wie mich das ja auch schon beschäftigt hat. Das hat mich viel früher beschäftigt. Wie konnten artige, gebildete, nette Leute dieser Partei überhaupt dienen, von der wir hinterher gehört haben, was sie für Schweinereien angerichtet hat?
Ellmenreich: Haben Sie Antworten darauf gefunden?
Topf: Zum Teil ja. Natürlich, das waren die üblichen, die man in allen Familien kennt: Na ja, wir mussten ja, und das waren die Verhältnisse, oder sonst hätten sie uns vielleicht irgendwas weggenommen. Also viele, viele Ausflüchte. Das waren ja keine Verantwortlichen. Und mit meinem Vater, konnte ich die Debatten eigentlich nur noch im Traum führen, denn der war ja verschwunden, den hatte ich das letzte Mal gesehen, als ich 11 Jahre alt war.
Ellmenreich: Haben Sie in den Unterlagen, in den Briefen, auch die Ihnen zur Verfügung standen, die Sie gelesen haben und durchsucht haben, haben Sie Momente gefunden, wo zur erkennen ist, dass von einem mittelständischen Unternehmen die ganze Geschichte umkippt in einen Dienst für die SS, in einen Dienst an dem großen Völkermord?
Topf: Nein. Das habe ich erst sehr spät gefunden bei den Recherchen, eigentlich erst nach der Wende. Durch Historiker natürlich, ich bin bei Pressac in Frankreich gewesen, er ist ja inzwischen tot. Oder der Siegfried Wolf, ein Geschichtsprofessor in Erfurt, der auch wesentliche Schritte unternommen hat, dass dieser Förderkreis ins Leben kam in Erfurt, der dann so 1998/1999 entstand. Und dann gab es Geld für die Forschung. Und dann konnte zweieinhalb Jahre Forschung investiert werden, und daraus dann die Chance, diese Ausstellung zu machen.
Ellmenreich: Diese Ausstellung, die zurzeit im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen ist. Hartmut Topf, Sie sind der Großcousin der Firmeneigner von Topf & Söhne, die die Krematorien, die Leichenverbrennungsöfen, für die KZs der Nazis bauten. Und heute Abend sitzen Sie auf dem Podium bei einer Veranstaltung im jüdischen Museum. "Kinder aus Täter-Familien" heißt diese Veranstaltung, diese Gesprächsrunde, und da wird auch der Sohn des Kriegsverbrechers Hanns Ludin, Malte Ludin, zugegen sein und sprechen. Fühlen Sie sich als ein Kind aus einer solchen Täter-Familie?
Topf: Ja, im weiten Sinne durchaus, natürlich. Ich meine, sehr viele Leute in Deutschland waren ja Helfer der Nazis und waren in vielen Bereichen auch Täter, ob sie an der Front waren als Soldaten, Frontpolizisten oder SS-Leute. In dem Sinne kann ich mich da gar nicht ausschließen, selbst als zufällig in Deutschland oder in Berlin geborener. Und hier im genaueren Sinne muss man noch viel mehr hingucken. Bei Malte Ludin ist es noch schwieriger, weil es sich um den eigenen Vater handelt, den er zwar kaum gekannt hat. Und dessen Rechtfertigung und Ausfluchtsversuche in seiner Familie so bedrückend sind, dass er eben einen Film darüber gemacht.
Ellmenreich: Wie bedrückend ist das für Sie?
Topf: Es war bedrückend als Tatsache, wie es für jeden denkenden Menschen sein kann, dass in diesem Land die Mitbürger ausgerottet werden sollten und ausgerottet wurden, dass es so viele fürchterliche Helfer gab, teils aus Opportunismus, teils aber auch aus Karrieresucht auch in der Firma. Das hat mich empört! Das muss ich sagen, das empört mich bis heute. Das ist eine solche Kulturschande. Und damit muss man Leben. Und wenn man es weiß, muss man es weitersagen. Ich finde Schweigen ist die falsche Antwort. Und ich habe immer, wenn ich mit Leuten, die unter den Nazis gelitten haben, oder Leute, die gegen die Nazis gekämpft haben in besetzten Ländern, wenn ich mit denen gesprochenen habe, auch wenn ich gesagt habe, woher ich komme und wie ich heiße. Die Offenheit des Gesprächs das war befreiend. Ich war nicht bedrückt dadurch, sondern eher akzeptiert. Und ich konnte mich ja auch besser identifizieren - sagen wir mal- mit Anne Frank, oder mit den Kinder der Weißen Rose, als mit irgendwelchen Nazi-Verbrechern.
Ellmenreich: Sie sind ein Großcousin dieser beiden Firmeneigner, das heißt, Ihr Vater war ein direkter Cousin der beiden. Haben Sie mal den Gedanken gehabt, dass es ja...Gott sei Dank, dass es doch einige Ecken sind, die mich von den beiden trennen?
Topf: Ja, natürlich! Es wäre für mich schwieriger gewesen, wenn das nun unmittelbare Verwandte in dem Sinne, also mein Vater gewesen wäre, der eine, der andere war kinderlos und ein Lebemann, der andere hatte eine Familie und dessen zwei Kinder haben offenbar große Schwierigkeiten gehabt, mit dieser Geschichte umzugehen. Von denen weiß ich also nur, dass sie ziemlich untergegangen sind. Die eine Tochter ist tot, und der andere, der also meine Generation ist, den habe ich nie sprechen können, auch nicht sprechen wollen, muss ich sagen, weil ich weiß, der ist kaputt gegangen, der ist nach Afrika gegangen und ist spät wieder gekommen. Also es ist so eine Geschichte in der ich nicht mal herumgraben kann.
Ellmenreich: Nicht Schweigen, sondern weitersagen, ungefähr in dem Wortlaut haben Sie vorhin ihr Ziel formuliert. Warum machen Sie das? Was treibt Sie an? Ist das auch ein bisschen vielleicht die journalistische Neugier, die in Ihnen steckt, da Sie ja auch Journalist sind?
Topf: Ja, Journalist bin ich ja auch erst irgendwann geworden. Aber als ich anfing mit der Geschichte war ich erstmal ein Schuljunge, der an den historischen Verdrehungen der DDR zu leiden hatte, und dann auch wirklich einer Verhaftung buchstäblich entsprungen und davongelaufen ist. Ich war also dadurch sehr früh politisiert, ich hätte gerne was begriffen, schon mit Hilfe der sowjetischen Kulturoffiziere und dann aber merkte ich, wie verlogen die Sache los geht. Um es ganz deutlich zu machen, als wir gelernt hatten, wie man Jugend verführt, die russischen Kulturoffiziere, am Beispiel der Hitlerjugend, und als dann diese Hitlerjugend-Trommeln und - Fanfaren neu dekoriert herausgeholt wurden, und Blauhemden fast dieselbe Musik machten, da schrie ich manchmal auf dem Schulhof wirklich vor Wut, aber da war ich 14 Jahre alt: Heil Hitler, Herr Stalin! Ja, so ärgerte mich das! Also war ich früh politisiert. Und meinen Vater und meinen Onkel konnte ich nicht fragen. Und die Frau vom Onkel Hans, die war ausgewandert nach Brasilien, die Frau aus der zweiten Ehe, die nicht ganz arisch war, wie wir später wussten. Plötzlich kriegen wir Liebesgabenpakete aus Brasilien von einer jüdischen Familie und wundern uns. Also da waren so viele Fragen, deswegen war ich als Kind schon so früh politisiert, lange bevor ich mich mit Journalismus überhaupt beschäftigen konnte.
Ellmenreich: Welche Antworten in die Zukunft wollen Sie geben? Denn Sie beschäftigen sich damit, gehen aber auch damit an die Öffentlichkeit.
Topf: Natürlich! Also, ich spreche, wenn ich gefragt werde darüber, das ist Nummer eins. Und zum zweiten ist, auch jetzt mit der Rückendeckung dieses Forschungsprojekts und der Ausstellung in Erfurt die Tür aufgemacht. Die Stadt hat endlich eingelenkt, bekennt sich jetzt zu diesem Stück der Geschichte, wird das Hauptverwaltungsgebäude kaufen, es steht fast unter Denkmalschutz. Das heißt es wird ein Lernort werden, ein Erinnerungsort, an dem hoffentlich junge Menschen mit Interesse lernen und begreifen, das auch als Warnung auffassen, dass man verführt werden kann in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, der falschen Sache nachzulaufen oder gar zu dienen, sich für idealistisch zu halten und gar nicht zu merken, wo man da hineinrattert. Und selbst wenn ich mir angucke, was in der Welt passiert und wo wir an der Nase herumgeführt werden oder wurden, ich denke an den Irakkrieg - gut wir haben zum Glück keine Finger darin - aber die Chance ist doch da, dass man uns in irgendwas hetzt, was wir gar nicht wissen wollen. Und deswegen finde ich solche Lehren aus der Geschichte auch nützlich.
Service:
Die Ausstellung "Techniker der 'Endlösung'. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz" ist vom 19. Juni bis 18. September 2005 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Die Veranstaltung "Kinder aus 'Täterfamilien'.Gespräch mit Malte Ludin und Hartmut Topf" findet am 11. August im Jüdischen Museum Berlin statt.