fan islami
Der Wahlsieg der palästinensischen Islamisten-Organisation Hamas ist durchaus symptomatisch auch für die Entwicklung der gegenwärtigen arabischen Kultur. Er ist Teil eines inzwischen unübersehbaren Trends. Die islamistische Auffassung von Kultur gewinnt immer mehr an Einfluss, weil sie angesichts der Überflutung durch die westliche Unterhaltungskultur eine gänzlich andere Orientierung verspricht – die für Muslime angeblich moralisch richtige.
Was häufig übersehen wird: Die islamischen Fundamentalisten haben mittlerweile eine eigenständige Kultur entwickelt, um die islamische Tradition, wie sie sie verstehen, zu bewahren. Ihre Kultur baut zwar auf dem religiösen islamischen Erbe auf, ist aber gleichzeitig modern und auch nationalistisch gefärbt. Sie umfasst nicht nur traditionelle religiöse Dichtung, sondern auch Theater und die islamistisch geprägte Populärmusik samt Videoclips sowie bildende Kunst. Für die Islamisten ist dies alles "fan islami", wörtlich islamische Kunst, wobei das arabische Wort "fan", analog zum griechischen "techne", in erster Linie Kunstfertigkeit bedeutet. Der Vergleich zum Griechischen liegt nahe, weil der Islam Teile des Erbes der Antike aufgenommen hat: Auch der griechische Künstler galt als Handwerker, die Kunst war der Mythologie untergeordnet – im islamischen Fall ist es die Welt des Koran und der islamischen Geschichte, die den ideologischen Überbau liefert. Insofern handelt es sich hierbei nicht nur um eine Parallel- oder Alternativkultur, sondern um eine ausgesprochen militante Gegenkultur zur westlichen.
Nehmen wir das Beispiel der palästinensischen Hamas: Sie pflegt, wie andere Islamisten-Bewegungen, eine global ausgerichtete islamische Dichtung und popähnliche Musik. Aber sie hat auch ihre eigenen nationalen – und nicht zu vergessen – gleichzeitig islamistischen Symbolfiguren, die, sofern sie von Israels Armee liquidiert wurden oder sich selbst in die Luft gesprengt haben, als Märtyrer verehrt werden. Für die Kulturbeauftragten der Hamas ist es indes ein besonderer Glücksfall, dass manch einer ihrer getöteten Anführer zu seinen Lebzeiten zur Feder gegriffen hat. So konnte die Hamas-Zeitschrift "Filastin al-Muslima" in ihrem Kulturteil unlängst mit einer literarischen Sensation aufwarten: der Entdeckung zweier unbekannter Gedichte von Scheich Jassin, der 2004 von den Israelis ermordet wurde. Diese soll der Gründungsvater der Hamas im israelischen Gefängnis nach einem Besuch seiner Ehefrau einem Mitstreiter diktiert haben. Es sind bewegende Verse über die Einsamkeit des Gefangenen und deren Überwindung durch die Liebe, auch die zum Vaterland versteht sich, das, so wörtlich, "wir mit dem Schwert verteidigen" – eine Anspielung also auf den islamischen Heiligen Krieg.
Die Verschränkung von nationaler Kultur und islamistischer Agitation ist etwa auch in Dokumentarfilmen über das Leben der organisationseigenen Märtyrer zu beobachten, wie unlängst im Falle Scheich Jassins geschehen. Noch deutlicher tritt diese Vermengung von Nation und Islam in den Kampfliedern der Hamas-Bewegung zutage, am eklatantesten in jenen, die die Selbstmordattentäter verherrlichen und mittlerweile als komprimierte Audiodateien über das Internet weltweit Verbreitung finden. Allerdings schottet sich die Hamas von ihrem säkularen Umfeld nicht gänzlich ab. Ihre Feuilletonisten besprechen nämlich regelmäßig auch Bücher, deren Verfasser nicht unbedingt Organisationsmitglieder sein müssen, die aber wichtige Aspekte der allgemeinen palästinensischen Nationalkultur und -geschichte behandeln.
Islamistische Bewegungen in anderen arabischen Ländern verfahren nach einem ähnlichen Schema, die richtige Dosierung von islamischen und patriotischen Inhalten ist auch dort oberstes Gebot, auch wenn das langfristige Hauptziel die Umerziehung der Gesellschaft im islamistischen Sinne ist. Wo sie schon zahlreich in den Parlamenten vertreten sind – etwa in Ägypten oder Irak – werden sie diesen Re-Islamisierungsprozess schneller vorantreiben können, und zwar auf demokratischem Wege. Die Demokratie hat der Islamismus also schon für sich entdeckt. Und durch das demokratische Hintertürchen könnte er eines Tages auch in Europa Einzug halten.
Joseph Croitoru, 1960 in Haifa geboren, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Judaistik in Jerusalem und Freiburg. Seit 1988 war er als freier Journalist zunächst in Israel tätig, seit 1992 auch für die deutschsprachige Presse (Frankfurter Allgemeine Zeitung und Neue Zürcher Zeitung). Seit 1997 ist er fester Autor des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Schwerpunkten Nahost und Osteuropa. Sein stark beachtetes Buch "Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats" ist im Hanser Verlag erschienen.
Nehmen wir das Beispiel der palästinensischen Hamas: Sie pflegt, wie andere Islamisten-Bewegungen, eine global ausgerichtete islamische Dichtung und popähnliche Musik. Aber sie hat auch ihre eigenen nationalen – und nicht zu vergessen – gleichzeitig islamistischen Symbolfiguren, die, sofern sie von Israels Armee liquidiert wurden oder sich selbst in die Luft gesprengt haben, als Märtyrer verehrt werden. Für die Kulturbeauftragten der Hamas ist es indes ein besonderer Glücksfall, dass manch einer ihrer getöteten Anführer zu seinen Lebzeiten zur Feder gegriffen hat. So konnte die Hamas-Zeitschrift "Filastin al-Muslima" in ihrem Kulturteil unlängst mit einer literarischen Sensation aufwarten: der Entdeckung zweier unbekannter Gedichte von Scheich Jassin, der 2004 von den Israelis ermordet wurde. Diese soll der Gründungsvater der Hamas im israelischen Gefängnis nach einem Besuch seiner Ehefrau einem Mitstreiter diktiert haben. Es sind bewegende Verse über die Einsamkeit des Gefangenen und deren Überwindung durch die Liebe, auch die zum Vaterland versteht sich, das, so wörtlich, "wir mit dem Schwert verteidigen" – eine Anspielung also auf den islamischen Heiligen Krieg.
Die Verschränkung von nationaler Kultur und islamistischer Agitation ist etwa auch in Dokumentarfilmen über das Leben der organisationseigenen Märtyrer zu beobachten, wie unlängst im Falle Scheich Jassins geschehen. Noch deutlicher tritt diese Vermengung von Nation und Islam in den Kampfliedern der Hamas-Bewegung zutage, am eklatantesten in jenen, die die Selbstmordattentäter verherrlichen und mittlerweile als komprimierte Audiodateien über das Internet weltweit Verbreitung finden. Allerdings schottet sich die Hamas von ihrem säkularen Umfeld nicht gänzlich ab. Ihre Feuilletonisten besprechen nämlich regelmäßig auch Bücher, deren Verfasser nicht unbedingt Organisationsmitglieder sein müssen, die aber wichtige Aspekte der allgemeinen palästinensischen Nationalkultur und -geschichte behandeln.
Islamistische Bewegungen in anderen arabischen Ländern verfahren nach einem ähnlichen Schema, die richtige Dosierung von islamischen und patriotischen Inhalten ist auch dort oberstes Gebot, auch wenn das langfristige Hauptziel die Umerziehung der Gesellschaft im islamistischen Sinne ist. Wo sie schon zahlreich in den Parlamenten vertreten sind – etwa in Ägypten oder Irak – werden sie diesen Re-Islamisierungsprozess schneller vorantreiben können, und zwar auf demokratischem Wege. Die Demokratie hat der Islamismus also schon für sich entdeckt. Und durch das demokratische Hintertürchen könnte er eines Tages auch in Europa Einzug halten.
Joseph Croitoru, 1960 in Haifa geboren, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Judaistik in Jerusalem und Freiburg. Seit 1988 war er als freier Journalist zunächst in Israel tätig, seit 1992 auch für die deutschsprachige Presse (Frankfurter Allgemeine Zeitung und Neue Zürcher Zeitung). Seit 1997 ist er fester Autor des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Schwerpunkten Nahost und Osteuropa. Sein stark beachtetes Buch "Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats" ist im Hanser Verlag erschienen.