Fantastischer Tag in einer Alten-WG
"Altern ist nichts für Feiglinge" - diesen Spruch soll sich Leinwand-Diva Bette Davis auf ein Kissen gestickt haben. Er könnte das Motto für Silvia Bovenschens neuen Roman sein. Feige sind ihre vier betagten Protagonistinnen nicht, aber mit dem Altwerden haben sie ihre Probleme.
Seit Jahren leben sie zusammen in der Villa von Charlotte, einer ehemaligen Paläontologin, von einer "Geronten-WG" spricht Charlottes aufsässige Enkelin Dörte. Die 82-jährige Schriftstellerin Johanna weigert sich, den letzten Satz ihres Romans zu schreiben, denn "solange ich ein großes Vorhaben nicht fertigstelle, kann ich nicht sterben". Leonie trauert um ihren Mann und ihre Kinder, die vor langer Zeit bei einem Autounfall ums Leben kamen. Nadine begegnet ihrem Verfall mit provokant jugendlicher Kleidung und extrovertiertem Gehabe, und Charlotte "hat die Knete und das Sagen", wie es die siebzehnjährige Dörte flapsig formuliert. Auch Dörte wohnt in der Villa, seit ihre Eltern sie hinausgeworfen haben. Und dann ist da noch der neunzehnjährige Flocke, der heimlich in Dörte verliebt ist und sie besuchen darf, aber ausgerechnet an diesem Tag von Zahnschmerzen gequält wird.
Es ist überhaupt ein eigenartiger Tag, von dem Silvia Bovenschen erzählt. Die Damen erwarten Charlottes Vermögensverwalter, aber bei den Vorbereitungen geraten die Routinen ins Rutschen. Die Haushälterin Janina wundert sich, dass die Torte schon vor Eintreffen des Besuchs angeschnitten wird, Nadine erhält schlechte Nachrichten von ihrem Arzt, Dörte mault und nörgelt, bis es selbst Flocke zuviel wird, und vor dem Fenster gehen Dinge vor, die nicht ganz realistisch zu sein scheinen. Von da an schwebt der Text an der feinen Grenze zur Phantastik entlang.
Die Gespräche der alten Damen im Salon werden immer bösartiger und absurder, sie kreisen um die Vergangenheit, um die Schwierigkeiten des Alterns ("du läufst Reklame für den Tod"), um die moderne Auffassung von Sexualität ("vorbildgesättigte, zuweilen biochemisch forcierte, artistische, mehr oder weniger öffentliche Show-Veranstaltung") oder um die Cyberwelt ("Atemlosigkeit per se"), und Bovenschen würzt sie gekonnt mit ihrem ebenso schwarzen wie scharfsinnigen Humor.
All dies ist in einer spritzigen und für Bovenschen ungewohnt schnellen Prosa verpackt, die die gewichtigen Themen auf charmante Weise kontrastiert. Es geht um erzwungene Geschwindigkeit und verlorene Zeit, um unterschiedliche Wahrnehmung und trügerische Erinnerung, um den Kampf gegen die eigene Hinfälligkeit und die besten Gründe, bald zu sterben.
Als der Vermögensverwalter schließlich eintrifft, eskaliert die Situation auf ebenso unerwartete wie makabre Weise - der Schlusspunkt eines kleinen, großen Romans, der sich leicht präsentiert. Aber hinter seiner Prosa verbergen sich viel Weisheit, eine genaue Beobachtungsgabe und eine bestrickende Lust am Doppelsinn, was sich schon im Titel zeigt: "Nur Mut" kann ebenso gut eine Aufforderung sein wie die Erkenntnis, dass im Alter nichts mehr bleibt außer ein bisschen Mut.
Besprochen von Irene Binal
Silvia Bovenschen: Nur Mut
S. Fischer, Frankfurt am Main 2013
160 Seiten, 16,99 Euro
Es ist überhaupt ein eigenartiger Tag, von dem Silvia Bovenschen erzählt. Die Damen erwarten Charlottes Vermögensverwalter, aber bei den Vorbereitungen geraten die Routinen ins Rutschen. Die Haushälterin Janina wundert sich, dass die Torte schon vor Eintreffen des Besuchs angeschnitten wird, Nadine erhält schlechte Nachrichten von ihrem Arzt, Dörte mault und nörgelt, bis es selbst Flocke zuviel wird, und vor dem Fenster gehen Dinge vor, die nicht ganz realistisch zu sein scheinen. Von da an schwebt der Text an der feinen Grenze zur Phantastik entlang.
Die Gespräche der alten Damen im Salon werden immer bösartiger und absurder, sie kreisen um die Vergangenheit, um die Schwierigkeiten des Alterns ("du läufst Reklame für den Tod"), um die moderne Auffassung von Sexualität ("vorbildgesättigte, zuweilen biochemisch forcierte, artistische, mehr oder weniger öffentliche Show-Veranstaltung") oder um die Cyberwelt ("Atemlosigkeit per se"), und Bovenschen würzt sie gekonnt mit ihrem ebenso schwarzen wie scharfsinnigen Humor.
All dies ist in einer spritzigen und für Bovenschen ungewohnt schnellen Prosa verpackt, die die gewichtigen Themen auf charmante Weise kontrastiert. Es geht um erzwungene Geschwindigkeit und verlorene Zeit, um unterschiedliche Wahrnehmung und trügerische Erinnerung, um den Kampf gegen die eigene Hinfälligkeit und die besten Gründe, bald zu sterben.
Als der Vermögensverwalter schließlich eintrifft, eskaliert die Situation auf ebenso unerwartete wie makabre Weise - der Schlusspunkt eines kleinen, großen Romans, der sich leicht präsentiert. Aber hinter seiner Prosa verbergen sich viel Weisheit, eine genaue Beobachtungsgabe und eine bestrickende Lust am Doppelsinn, was sich schon im Titel zeigt: "Nur Mut" kann ebenso gut eine Aufforderung sein wie die Erkenntnis, dass im Alter nichts mehr bleibt außer ein bisschen Mut.
Besprochen von Irene Binal
Silvia Bovenschen: Nur Mut
S. Fischer, Frankfurt am Main 2013
160 Seiten, 16,99 Euro