Patrick Rothfuss: Die Musik der Stille
Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer
Mit Illustrationen von Marc Simonetti
Hobbit-Presse Klett Cotta, Stuttgart 2015
173 Seiten, 17,95 Euro
Eine Geschichte für angeknackste Leute
Als "Desaster" bezeichnet Autor Patrick Rothfuss seine Erzählung "Die Musik der Stille", die er einer Nebenfigur seiner "Königsmorder"-Trilogie widmet. Auris Geschichte hat weder Dialoge noch Handlung noch Konflikt - und ist dennoch faszinierend.
"Diese Geschichte ist, nach allen herkömmlichen Kriterien, ein Desaster", warnt Patrick Rothfuss den Leser vor seiner Erzählung "Die Musik der Stille" und rät ihm deshalb, das Buch vielleicht besser nicht zu kaufen.
Grund zur Vorsicht hat er. Die Fans des Fantasy-Autors, der zu einem der erfolgreichsten des Genres gehört, warten ungeduldig auf den dritten und finalen Teil seiner Bestseller-Trilogie "Die Königsmörder-Chronik", die die Lebensgeschichte des Musikers, Magiers und Königsmörders Kvothe erzählt. Wer allerdings hofft, etwas Neues über diesen Helden zu erfahren, wird enttäuscht. Die nicht einmal 200 Seiten lange Erzählung ist ein Spinn-Off der Trilogie und handelt von einer Nebenfigur. Das allein ist nicht ungewöhnlich, bemerkenswert ist allerdings, welchem seiner Charaktere Patrick Rothfuss jetzt ein eigens Buch gewidmet hat.
Den Dingen Namen geben und eine Bedeutung entlocken
Es ist Auri, ein nicht einmal 20-jähriges Mädchen und eine gute Freundin von Kvothe, die er an der berühmten Universität von Imre kennenlernt, einer Universität, an der auch Magie gelehrt wird. Weil Auri über dem Magie-Studium verrückt geworden ist, hat sie sich in die verlassenen Tunnel und Räume unter der Universität zurückgezogen, weit weg vom Lärm der Menschen, die ihr Angst machen. Weit weg auch vom Refugium, der Irrenanstalt der Universität, in der Menschen wie Auri normalerweise weggesperrt werden.
Im "Unterding" kann sie ungestört alles so machen, wie es sich gehört. Kann mit den vergessenen Dingen leben und liebevoll für alles den richtigen Platz und Namen finden. Das ist nicht immer leicht, ein Messingzahnrad zum Beispiel erfordert einiges Bedenken. Ist es das perfekte Geschenk für Kvothe? Tagelang versucht sie, dem stolzen Gegenstand seine Bestimmung zu entlocken. Erst als sich die Welt um sie herum wieder in einen tosenden Orkan verwandelt und alles ins Wanken gerät, erkennt sie, dass das Zahnrad ein Dreh- und Angelpunkt ist. Mit ihm lässt sich die Welt wieder zurecht rücken.
Geschichte für Angeknackste
Das "Desaster" dieser Geschichte ist – laut Patrick Rothfuss – dem Umstand geschuldet, dass sie nichts von dem enthält, was eine Geschichte normalerweise enthalten sollte: Dialoge, eine Handlung, einen Konflikt. Stattdessen nimmt er uns mit in die höchst komplizierten, faszinierenden Gedankengänge dieses in seinen Zwängen gefangenen Mädchens. Er zeigt damit, wie wenig er die gängigen Klischees der Fantasy erfüllen will. Denn obwohl seine Königsmörder-Chronik in einer fiktiven mittelalterlichen Welt spielt, geht es ihm nicht darum, seinen Lesern die Flucht in eine vermeintlich einfachere Zeit als die heutige zu ermöglichen.
Seine Geschichten sind geprägt von der Faszination für das Fremde, von der Annäherung an das, was zunächst unverständlich erscheint. "Diese Geschichte ist für all die leicht angeknacksten Leute da draußen... Ihr seid nicht allein", relativiert Patrick Rothfuss seine anfängliche Warnung denn auch. Man könnte ergänzen: allen die glauben, dass sie keinen Knacks haben, sei von diesem Buch abgeraten.