"Fantasy ist ein ganz großer Trend"
Aus Sicht der Verlage kann man "mit Fantasy nichts falsch machen", meint Buchkritiker Roland Krüger. Ein weiterer Markttrend ist der Versuch, Bücher für Kinder und Jugendliche durch Gimmicks interessant zu machen: angeklebte Vuvuzelas oder "was zum Aufklappen".
Katrin Heise: Eigentlich hat man so ein bisschen den Eindruck, dass der Begriff Jugendbuch ausgedient hat, abgelöst von der Kategorie All-Age-Bücher, also Bücher, die Jung und Alt gleichermaßen erreichen. Denn unter den 20 meistverkauften Büchern seit 2002 im Bereich Belletristik, da finden sich nicht weniger als elf Bücher, die man dem Bereich Jugendbuch zuordnen müsste: "Harry Potter", "Tintenherz" und die ganzen "Bis(s)"-Bände. Darin bestehen dann jugendliche Helden Abenteuer, vielfach in einer Fantasywelt, das Böse wird besiegt. Liebe, Tod spielen eine große Rolle, manchmal auch das Buch als Kulturgut – interessant.
Also trotz All-Age, die eigentlichen Adressaten dieser Bücher sind Leser zwischen 12 und 30 Jahren, und da ist der Gegensatz zu den Kinderbüchern: Diese Bücher werden von der Zielgruppe ja selbst gekauft. – Also wichtig, wie man sie erreicht. Den Jugendbuchmarkt übers Jahr beobachtet Roland Krüger. Ich grüße Sie, Herr Krüger!
Roland Krüger: Guten Morgen!
Heise: Fantasy – habe ich schon erwähnt – ist also nach wie vor Trend bei Jugendbüchern, wie im letzten Jahr auch schon?
Krüger: Fantasy ist ein ganz großer Trend gerade dann, wenn die Bücher als mehrbändige Reihen ausgelegt sind. Und wenn sie dann noch verfilmt werden, dann kann man aus Verlagssicht vermutlich mit Fantasy nichts falsch machen.
Heise: Da hat man dann die sichere Mark in der Kasse. Wie sieht es bei Kinderbüchern aus?
Krüger: Bei Kinderbüchern sind es nach wie vor die Elfen und Prinzessinnen für die Mädchen, und es sind die Fußballer, die Ritter und die Dinosaurierforscher bei den Jungs. Da hat sich noch nicht viel geändert. Das ganz große Zusammen, also die auf einem Pferd reitende Prinzessin, die irgendwie dann noch Fußball spielen kann, wo man sagen müsste, dann klappt es doch für alle, für die ganze Zielgruppe, alle Kinder, das funktioniert eben nicht. Das wäre auch zu einfach.
Heise: Diese klare Geschlechteraufteilung gibt es bei den Kinderbüchern. Lässt das bei den Jugendbüchern dann wenigstens irgendwann mal nach?
Krüger: Es lässt ein bisschen nach, weil die Jugendlichen natürlich auch eher bereit sind, sich mal auf das andere Geschlecht einzulassen, einmal ja im sehr positiven Sinne, wenn Liebe entdeckt wird, sowieso, dann versucht man ja das andere Geschlecht zu verstehen. Aber selbst dann bleibt es immer noch so, dass in den Büchern für die Jungs Identifikationsmöglichkeiten für die Jungs sind, und für die Mädchen dann eben solche für die Mädchen.
Was ganz gut funktioniert, sind ja deshalb solche Bücher wie "Harry Potter", da gibt es dann Harry Potter für die Jungs und Hermine für die Mädchen, die spielen dann also in einem Buch mit, aber jeder hat eben so als Leser oder als Leserin seine Ecke, die er sich, die er oder sie sich aussuchen kann.
Heise: Wenn man mal gesamt so aufs Leseverhalten schaut: Es gibt häufig bei Büchern so quasi noch einen Anreiz sie zu kaufen, da ist dann irgendwas draufgeklebt, da gibt es Gimmicks wie eigentlich bei Heften. Was ist das denn für ein Trend?
Krüger: Genau, also die Bücher, das ist eben so ein Trend ... Nehmen wir mal dieses Jahr, 2010, da war natürlich die Fußball-WM und da waren Bücher rund um Fußball ganz groß, auch für Mädchen interessanterweise, dass man gesagt hat – weil man ja auch weiß, dass die Frauenfußballmannschaft eigentlich ja noch viel besser spielt als die Herren der Schöpfung –, und da hat man sich gesagt, also wir müssen diese Hunderte oder Dutzende von deutschsprachigen Fußballbüchern, die neu am Markt waren, irgendwie unterscheidbar machen.
Und wenn dann keine Plastikvuvuzela vorne draufklebte oder drei Wachsmalstifte, also Schwarz, Rot, Gold, dass man sich die Wangen schminken konnte, um dann als Fan auftreten zu können, wer das nicht dabei hatte, der stand in der Bücherreihe schon mal sehr weit hinten. Und da haben die Verlage eben sehr schnell erkannt: Wir müssen irgendwie mit den Gimmicks rauskommen. Erstens verpackt sich das dann größer und fällt fürs Auge in der Buchhandlung schon mal mehr auf, und es ist eben was anderes. Die Kinder sagen, Mensch, da ist ja so eine Tröte dabei, die brauchen wir dann gar nicht extra zu kaufen, ja dann nehmen wir das Buch eben gleich mit. Das ist sehr oft passiert.
Und dann hat man entdeckt, dass das auch bei Büchern über Rittern funktioniert, da ist dann was zum Aufklappen, wo man also Burgen nachbauen kann aus sehr schön gefalzter Pappe, sehr schön, wenn es funktioniert. Manchmal wird das aber dann doch nur zur Seite gelegt, oder man hat auch manchmal das Gefühl, da hat man beim Verlag eine ganz tolle Idee gehabt, jetzt baut mal eure Ritterburg selbst, aber dann verlieren die Kinder vielleicht doch vorher die Lust und machen das dann eben doch nicht. Also da funktioniert die Vuvuzela, die man einfach nur aufreißen muss und einfach reinpusten muss, wohl doch noch ein bisschen besser.
Heise: Ist das denn überhaupt notwendig, um Leser zu finden? Also sind jetzt die Verkaufszahlen denn so schlecht?
Krüger: Also, die Verkaufszahlen sind nicht schlechter ...
Heise: ... die Unterscheidbarkeit ...
Krüger: ... die Unterscheidbarkeit ist es. Wegen der Idee, All-Age-Bücher zu machen, sind einfach die Verkaufszahlen deshalb ganz gut, weil auch Erwachsene zu, na ja, zu Kinderbüchern greifen sie, weil sie die dann wirklich verschenken, aber zu Jugendbüchern greifen. Und die Unterscheidbarkeit macht es eben. Und ja das ganz Große ist eben, aufzufallen. Wenn ich zum Beispiel die Bücher, die Preisträger dieses Jahres mir angucke: Das sind auch alles ganz knallige Buchcovers geworden, die früher eher doch zurückgenommen wären. Auch wenn zum Beispiel Karl May oder Tom Sawyer oder irgendetwas, was man gut kennt, neu aufgelegt wird, dann ist es immer noch einen Zacken bunter und irgendwie einen Zacken schärfer als die alte Ausgabe.
Heise: Wie ist das eigentlich thematisch, also werden irgendwelche Problematiken, oder wurden 2010 irgendwelche Problematiken angesprochen? Ich meine, da gab es die Finanzkrise, es wird immer wieder über die Klimaerwärmung gesprochen ...
Krüger: Das kann man im Sachbuchbereich sehr schön feststellen, Finanzkrise und Klimaerwärmung, da gibt es wirklich einige Bücher. Fußball ist ja natürlich auch ein Sachbuchthema. Und für das nächste Frühjahr sind auch Bücher über den Dschihad angekündigt. Also auch sehr interessant gemachte Bücher mit parallel erzählten – also das Buch ist noch nicht auf dem Markt, deshalb kann ich nur das, was der Verlag jetzt geschrieben hat, wiedergeben –, mit zwei parallel geschilderten Lebensläufen eines Jungen, aus Bremen ist er wohl, und eines Jungen in Palästina.
Und die haben eben ja zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben, die werden ganz unterschiedlich geprägt, und der eine wird zum Selbstmordattentäter, der andere eben nicht, aber fragt sich dann, wie kann der andere das machen? Also der Versuch, sich in die Lage zu versetzen eines Menschen, eines Jugendlichen – Jugendliche sind ja empfänglich für neue Ideen und auch für radikale Ideen –, der Versuch dann, sich da mal hineinzuversetzen und zu sagen, was hätte ich eigentlich in der Situation gemacht oder was würde ich in der Situation machen? Diese Bücher, die laufen auch am Markt ganz gut, weil auch Erwachsene manchmal sagen, Finanzkrise zum Beispiel, wenn das für Kinder und Jugendliche gut erklärt ist ...
Heise: ... dann verstehe ich es auch ...
Krüger: ... richtig, dann verstehe ich es doch auch!
Heise: Das Buch, was Sie gerade angesprochen haben, das war ja ein Ausblick schon aufs Frühjahr 2011. Trends und Themen der Kinder- und Jugendbücher interessieren uns, vorgestellt in Deutschlandradio Kultur von Roland Krüger. Gehen wir mal einen Schritt zurück: Alljährlich im Herbst ehrt die Frankfurter Buchmesse Kinder- und Jugendbücher, Sie haben sie auch schon eben erwähnt, was so die Covers angeht. Da würde mich jetzt mal noch besonders interessieren die Jugendjury. Was hat die für ein Buch ausgewählt?
Krüger: Die hat ein Buch gewählt, das heißt "Die Tribute von Panem", "Tödliche Spiele" im Untertitel, von Suzanne Collins, und das ist ein Thriller, muss man sagen. Das ist ein Buch, das in einer Arena - ähnlich wie bei den Gladiatorenkämpfen in Rom, aber in der heutigen Zeit - kämpfen Kinder, Jugendliche aus zwölf verschiedenen Distrikten. Also die Welt ist so aufgeteilt, es gibt zwölf Distrikte, und jeder Distrikt entsendet seine Helden in diese Arena. Und die müssen so lange gegeneinander kämpfen, bis einer nur noch lebend übrig bleibt. Und das Ganze wird beobachtet vom Publikum, von den Leuten, die quasi auf der reichen Seite dieser Welt leben, die über Fernsehen und alle modernen Errungenschaften verfügen, die sehen sich das im Fernsehen an. Also ein großes Medienspektakel, wenn man so will.
Und zwei dieser Kontrahenten verlieben sich ineinander und sagen nun, will ich diese Liebe führen oder will ich sterben? Also was kann ich machen? Ich müsste den anderen umbringen, so sind die Spielregeln. Wenn ich das tue, kann ich ihn auch nicht mehr lieben. Soll ich mich vielleicht selbst umbringen? Und sie kommen auf eine gute Idee, eigentlich sich zusammenzutun, auch vor Augen aller Fernsehzuschauer, und plötzlich ein Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen, dass die sagen, stoppt jetzt dieses Vorgehen da in der Arena! Und das ist höchst brutal: Wenn es zu langweilig wird, werden Löwen reingelassen. – Stoppt das und bringt ein neues Bild auf uns!
Heise: Ist das Ganze auch so ein bisschen Medienverhalten, also ich meine, ist das so ein Synonym für, soll immer ...
Krüger: Genau, es ist "Big Brother" und dann noch ein bisschen weitergeführt und es ist ein großer Fingerzeig dafür. Meine Tochter hatte dieses Buch geradezu verschlungen, die ist 16, die hat gesagt – ja, als ich noch mal nachfragte, ist es denn wirklich eine Medienkritik, die gar nicht so offen daherkommt, die kommt eben nicht offen daher –, sondern sie sagt: Ja wenn man es in der Schule besprechen würde, dann merkt man das wohl. Erst mal ist es einfach eine superspannende Geschichte. Wahrscheinlich war deshalb das auch der Grund, dass die Jugendjury genau das Buch ausgesucht hat.
Heise: Über was wir noch gar nicht gesprochen haben im Zusammenhang mit Jugendlichen, ist Comics oder Graphic Novels.
Krüger: Genau, das ist ein Begriff, eine neue Schnittmenge, wenn man so möchte. Also die Verlage versuchen, viele Bücher oder viele Geschichten in einer Art Comic zu erzählen. Es gibt hier das ausgezeichnete Buch, "Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen", handelt von einem kleinen Jungen, dessen Mutter an Krebs gestorben ist, und dem wird nun die Geschichte erzählt, die Mutter ist nur auf einer langen Reise und sie schreibt allwöchentlich einen Brief und erzählt aus Amerika. Das macht das kleine Nachbarmädchen ihm vor. Und er erlebt eben eine spannende Geschichte seiner Mutter, erzählt die auch weiter in der Schule, und das tröstet ihn über den Alltag, weil er dadurch auch einfach nicht glauben kann und wirklich nicht weiß, dass seine Mutter tot ist. Und das Ganze ist wie ein Comic gemacht, also ich hab es jetzt mal hier, das ist sehr aufwendig gezeichnet, sehr schön illustriert.
Heise: Überrascht einen ja erst mal, also bei dem Thema, dass das dann so als Graphic Novel daherkommt.
Krüger: Ganz richtig. Es ist aber auch eben wieder ein neuer Zugriff auf Leser, dass man sagt, also es ist ja eine traurige Geschichte und das soll nun eben nicht als Bleiwüste daherkommen, sondern eben als Geschichte, die man sich auch angucken kann.
Heise: Geht es auf?
Krüger: Ich finde, nein, in dem Fall nicht, weil es ein sehr schockierendes Ende hat. Das will ich jetzt gar nicht verraten, aber mich hat das Buch am Ende ganz schön verstört. Es liest sich also bis drei Seiten vor Schluss eigentlich richtig schön, und ich dachte auch, das müsste man - meine Kleine ist elf Jahre alt - das müsste ich ihr mal vorlesen. Aber dann war ich wirklich schockiert und hab gesagt, da warte ich lieber noch ein paar Jahre. Mag sein, dass es trotzdem aufgeht, das ist ja auch immer so eine Stimmung, die man gerade dabei hat.
Was sicherlich aufgeht, ist, dass viele dazu greifen werden, weil sie sehen, ach Mensch, das kommt ja irgendwie erst mal leicht daher und leichtfüßig daher. Und das ist jetzt ja auch nur ein Beispiel, es gibt einfach ganz viele Bücher. Unter den ausgezeichneten sind es zwei, ein noch, Nadia Budde, "Such dir was aus, aber beeil dich", das handelt von der Jugend und von der Kindheit, vom Erwachsenwerden, und das auch eine Graphic Novel, eine schöne Bildgeschichte, wendet sich an Ältere, und trotzdem eine Art Comic, und da greifen die Jugendlichen wirklich gern zu.
Heise: Und vielleicht auch Sie, wenn Sie etwas verschenken wollen für Jugendliche. Trends und Themen im Kinder- und Jugendbuchbereich. Vielen Dank, Roland Krüger, für diese Übersicht!
Also trotz All-Age, die eigentlichen Adressaten dieser Bücher sind Leser zwischen 12 und 30 Jahren, und da ist der Gegensatz zu den Kinderbüchern: Diese Bücher werden von der Zielgruppe ja selbst gekauft. – Also wichtig, wie man sie erreicht. Den Jugendbuchmarkt übers Jahr beobachtet Roland Krüger. Ich grüße Sie, Herr Krüger!
Roland Krüger: Guten Morgen!
Heise: Fantasy – habe ich schon erwähnt – ist also nach wie vor Trend bei Jugendbüchern, wie im letzten Jahr auch schon?
Krüger: Fantasy ist ein ganz großer Trend gerade dann, wenn die Bücher als mehrbändige Reihen ausgelegt sind. Und wenn sie dann noch verfilmt werden, dann kann man aus Verlagssicht vermutlich mit Fantasy nichts falsch machen.
Heise: Da hat man dann die sichere Mark in der Kasse. Wie sieht es bei Kinderbüchern aus?
Krüger: Bei Kinderbüchern sind es nach wie vor die Elfen und Prinzessinnen für die Mädchen, und es sind die Fußballer, die Ritter und die Dinosaurierforscher bei den Jungs. Da hat sich noch nicht viel geändert. Das ganz große Zusammen, also die auf einem Pferd reitende Prinzessin, die irgendwie dann noch Fußball spielen kann, wo man sagen müsste, dann klappt es doch für alle, für die ganze Zielgruppe, alle Kinder, das funktioniert eben nicht. Das wäre auch zu einfach.
Heise: Diese klare Geschlechteraufteilung gibt es bei den Kinderbüchern. Lässt das bei den Jugendbüchern dann wenigstens irgendwann mal nach?
Krüger: Es lässt ein bisschen nach, weil die Jugendlichen natürlich auch eher bereit sind, sich mal auf das andere Geschlecht einzulassen, einmal ja im sehr positiven Sinne, wenn Liebe entdeckt wird, sowieso, dann versucht man ja das andere Geschlecht zu verstehen. Aber selbst dann bleibt es immer noch so, dass in den Büchern für die Jungs Identifikationsmöglichkeiten für die Jungs sind, und für die Mädchen dann eben solche für die Mädchen.
Was ganz gut funktioniert, sind ja deshalb solche Bücher wie "Harry Potter", da gibt es dann Harry Potter für die Jungs und Hermine für die Mädchen, die spielen dann also in einem Buch mit, aber jeder hat eben so als Leser oder als Leserin seine Ecke, die er sich, die er oder sie sich aussuchen kann.
Heise: Wenn man mal gesamt so aufs Leseverhalten schaut: Es gibt häufig bei Büchern so quasi noch einen Anreiz sie zu kaufen, da ist dann irgendwas draufgeklebt, da gibt es Gimmicks wie eigentlich bei Heften. Was ist das denn für ein Trend?
Krüger: Genau, also die Bücher, das ist eben so ein Trend ... Nehmen wir mal dieses Jahr, 2010, da war natürlich die Fußball-WM und da waren Bücher rund um Fußball ganz groß, auch für Mädchen interessanterweise, dass man gesagt hat – weil man ja auch weiß, dass die Frauenfußballmannschaft eigentlich ja noch viel besser spielt als die Herren der Schöpfung –, und da hat man sich gesagt, also wir müssen diese Hunderte oder Dutzende von deutschsprachigen Fußballbüchern, die neu am Markt waren, irgendwie unterscheidbar machen.
Und wenn dann keine Plastikvuvuzela vorne draufklebte oder drei Wachsmalstifte, also Schwarz, Rot, Gold, dass man sich die Wangen schminken konnte, um dann als Fan auftreten zu können, wer das nicht dabei hatte, der stand in der Bücherreihe schon mal sehr weit hinten. Und da haben die Verlage eben sehr schnell erkannt: Wir müssen irgendwie mit den Gimmicks rauskommen. Erstens verpackt sich das dann größer und fällt fürs Auge in der Buchhandlung schon mal mehr auf, und es ist eben was anderes. Die Kinder sagen, Mensch, da ist ja so eine Tröte dabei, die brauchen wir dann gar nicht extra zu kaufen, ja dann nehmen wir das Buch eben gleich mit. Das ist sehr oft passiert.
Und dann hat man entdeckt, dass das auch bei Büchern über Rittern funktioniert, da ist dann was zum Aufklappen, wo man also Burgen nachbauen kann aus sehr schön gefalzter Pappe, sehr schön, wenn es funktioniert. Manchmal wird das aber dann doch nur zur Seite gelegt, oder man hat auch manchmal das Gefühl, da hat man beim Verlag eine ganz tolle Idee gehabt, jetzt baut mal eure Ritterburg selbst, aber dann verlieren die Kinder vielleicht doch vorher die Lust und machen das dann eben doch nicht. Also da funktioniert die Vuvuzela, die man einfach nur aufreißen muss und einfach reinpusten muss, wohl doch noch ein bisschen besser.
Heise: Ist das denn überhaupt notwendig, um Leser zu finden? Also sind jetzt die Verkaufszahlen denn so schlecht?
Krüger: Also, die Verkaufszahlen sind nicht schlechter ...
Heise: ... die Unterscheidbarkeit ...
Krüger: ... die Unterscheidbarkeit ist es. Wegen der Idee, All-Age-Bücher zu machen, sind einfach die Verkaufszahlen deshalb ganz gut, weil auch Erwachsene zu, na ja, zu Kinderbüchern greifen sie, weil sie die dann wirklich verschenken, aber zu Jugendbüchern greifen. Und die Unterscheidbarkeit macht es eben. Und ja das ganz Große ist eben, aufzufallen. Wenn ich zum Beispiel die Bücher, die Preisträger dieses Jahres mir angucke: Das sind auch alles ganz knallige Buchcovers geworden, die früher eher doch zurückgenommen wären. Auch wenn zum Beispiel Karl May oder Tom Sawyer oder irgendetwas, was man gut kennt, neu aufgelegt wird, dann ist es immer noch einen Zacken bunter und irgendwie einen Zacken schärfer als die alte Ausgabe.
Heise: Wie ist das eigentlich thematisch, also werden irgendwelche Problematiken, oder wurden 2010 irgendwelche Problematiken angesprochen? Ich meine, da gab es die Finanzkrise, es wird immer wieder über die Klimaerwärmung gesprochen ...
Krüger: Das kann man im Sachbuchbereich sehr schön feststellen, Finanzkrise und Klimaerwärmung, da gibt es wirklich einige Bücher. Fußball ist ja natürlich auch ein Sachbuchthema. Und für das nächste Frühjahr sind auch Bücher über den Dschihad angekündigt. Also auch sehr interessant gemachte Bücher mit parallel erzählten – also das Buch ist noch nicht auf dem Markt, deshalb kann ich nur das, was der Verlag jetzt geschrieben hat, wiedergeben –, mit zwei parallel geschilderten Lebensläufen eines Jungen, aus Bremen ist er wohl, und eines Jungen in Palästina.
Und die haben eben ja zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben, die werden ganz unterschiedlich geprägt, und der eine wird zum Selbstmordattentäter, der andere eben nicht, aber fragt sich dann, wie kann der andere das machen? Also der Versuch, sich in die Lage zu versetzen eines Menschen, eines Jugendlichen – Jugendliche sind ja empfänglich für neue Ideen und auch für radikale Ideen –, der Versuch dann, sich da mal hineinzuversetzen und zu sagen, was hätte ich eigentlich in der Situation gemacht oder was würde ich in der Situation machen? Diese Bücher, die laufen auch am Markt ganz gut, weil auch Erwachsene manchmal sagen, Finanzkrise zum Beispiel, wenn das für Kinder und Jugendliche gut erklärt ist ...
Heise: ... dann verstehe ich es auch ...
Krüger: ... richtig, dann verstehe ich es doch auch!
Heise: Das Buch, was Sie gerade angesprochen haben, das war ja ein Ausblick schon aufs Frühjahr 2011. Trends und Themen der Kinder- und Jugendbücher interessieren uns, vorgestellt in Deutschlandradio Kultur von Roland Krüger. Gehen wir mal einen Schritt zurück: Alljährlich im Herbst ehrt die Frankfurter Buchmesse Kinder- und Jugendbücher, Sie haben sie auch schon eben erwähnt, was so die Covers angeht. Da würde mich jetzt mal noch besonders interessieren die Jugendjury. Was hat die für ein Buch ausgewählt?
Krüger: Die hat ein Buch gewählt, das heißt "Die Tribute von Panem", "Tödliche Spiele" im Untertitel, von Suzanne Collins, und das ist ein Thriller, muss man sagen. Das ist ein Buch, das in einer Arena - ähnlich wie bei den Gladiatorenkämpfen in Rom, aber in der heutigen Zeit - kämpfen Kinder, Jugendliche aus zwölf verschiedenen Distrikten. Also die Welt ist so aufgeteilt, es gibt zwölf Distrikte, und jeder Distrikt entsendet seine Helden in diese Arena. Und die müssen so lange gegeneinander kämpfen, bis einer nur noch lebend übrig bleibt. Und das Ganze wird beobachtet vom Publikum, von den Leuten, die quasi auf der reichen Seite dieser Welt leben, die über Fernsehen und alle modernen Errungenschaften verfügen, die sehen sich das im Fernsehen an. Also ein großes Medienspektakel, wenn man so will.
Und zwei dieser Kontrahenten verlieben sich ineinander und sagen nun, will ich diese Liebe führen oder will ich sterben? Also was kann ich machen? Ich müsste den anderen umbringen, so sind die Spielregeln. Wenn ich das tue, kann ich ihn auch nicht mehr lieben. Soll ich mich vielleicht selbst umbringen? Und sie kommen auf eine gute Idee, eigentlich sich zusammenzutun, auch vor Augen aller Fernsehzuschauer, und plötzlich ein Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen, dass die sagen, stoppt jetzt dieses Vorgehen da in der Arena! Und das ist höchst brutal: Wenn es zu langweilig wird, werden Löwen reingelassen. – Stoppt das und bringt ein neues Bild auf uns!
Heise: Ist das Ganze auch so ein bisschen Medienverhalten, also ich meine, ist das so ein Synonym für, soll immer ...
Krüger: Genau, es ist "Big Brother" und dann noch ein bisschen weitergeführt und es ist ein großer Fingerzeig dafür. Meine Tochter hatte dieses Buch geradezu verschlungen, die ist 16, die hat gesagt – ja, als ich noch mal nachfragte, ist es denn wirklich eine Medienkritik, die gar nicht so offen daherkommt, die kommt eben nicht offen daher –, sondern sie sagt: Ja wenn man es in der Schule besprechen würde, dann merkt man das wohl. Erst mal ist es einfach eine superspannende Geschichte. Wahrscheinlich war deshalb das auch der Grund, dass die Jugendjury genau das Buch ausgesucht hat.
Heise: Über was wir noch gar nicht gesprochen haben im Zusammenhang mit Jugendlichen, ist Comics oder Graphic Novels.
Krüger: Genau, das ist ein Begriff, eine neue Schnittmenge, wenn man so möchte. Also die Verlage versuchen, viele Bücher oder viele Geschichten in einer Art Comic zu erzählen. Es gibt hier das ausgezeichnete Buch, "Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen", handelt von einem kleinen Jungen, dessen Mutter an Krebs gestorben ist, und dem wird nun die Geschichte erzählt, die Mutter ist nur auf einer langen Reise und sie schreibt allwöchentlich einen Brief und erzählt aus Amerika. Das macht das kleine Nachbarmädchen ihm vor. Und er erlebt eben eine spannende Geschichte seiner Mutter, erzählt die auch weiter in der Schule, und das tröstet ihn über den Alltag, weil er dadurch auch einfach nicht glauben kann und wirklich nicht weiß, dass seine Mutter tot ist. Und das Ganze ist wie ein Comic gemacht, also ich hab es jetzt mal hier, das ist sehr aufwendig gezeichnet, sehr schön illustriert.
Heise: Überrascht einen ja erst mal, also bei dem Thema, dass das dann so als Graphic Novel daherkommt.
Krüger: Ganz richtig. Es ist aber auch eben wieder ein neuer Zugriff auf Leser, dass man sagt, also es ist ja eine traurige Geschichte und das soll nun eben nicht als Bleiwüste daherkommen, sondern eben als Geschichte, die man sich auch angucken kann.
Heise: Geht es auf?
Krüger: Ich finde, nein, in dem Fall nicht, weil es ein sehr schockierendes Ende hat. Das will ich jetzt gar nicht verraten, aber mich hat das Buch am Ende ganz schön verstört. Es liest sich also bis drei Seiten vor Schluss eigentlich richtig schön, und ich dachte auch, das müsste man - meine Kleine ist elf Jahre alt - das müsste ich ihr mal vorlesen. Aber dann war ich wirklich schockiert und hab gesagt, da warte ich lieber noch ein paar Jahre. Mag sein, dass es trotzdem aufgeht, das ist ja auch immer so eine Stimmung, die man gerade dabei hat.
Was sicherlich aufgeht, ist, dass viele dazu greifen werden, weil sie sehen, ach Mensch, das kommt ja irgendwie erst mal leicht daher und leichtfüßig daher. Und das ist jetzt ja auch nur ein Beispiel, es gibt einfach ganz viele Bücher. Unter den ausgezeichneten sind es zwei, ein noch, Nadia Budde, "Such dir was aus, aber beeil dich", das handelt von der Jugend und von der Kindheit, vom Erwachsenwerden, und das auch eine Graphic Novel, eine schöne Bildgeschichte, wendet sich an Ältere, und trotzdem eine Art Comic, und da greifen die Jugendlichen wirklich gern zu.
Heise: Und vielleicht auch Sie, wenn Sie etwas verschenken wollen für Jugendliche. Trends und Themen im Kinder- und Jugendbuchbereich. Vielen Dank, Roland Krüger, für diese Übersicht!