Martin Tschechne ist promovierter Psychologe, arbeitet als Journalist und lebt in Hamburg. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn 2012 mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).
Die große und grobe Vereinfachung der Welt
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Laut Produzenten beinhaltet die dritte Folge der letzten Staffel von "Game of Thrones": die "längste aufeinanderfolgende Kampfsequenz, die es jemals in einem Film gegeben hat". Warum ihn das unbeeindruckt lässt, verrät Publizist Martin Tschechne.
Sex, Intrige, Gewalt, so sagte Marc Beise, der Wirtschaftsredakteur der "Süddeutschen Zeitung" neulich in seiner Video-Kolumne – das alles sei nur eine Art dramatischer Verpackung. Im Kern aber gehe es in der neuen, der achten und letzten Staffel von "Game of Thrones" um die Mechanismen der Ökonomie.
Eine Bank spielt eine entscheidende Rolle, und wer den kühnen Sprung aus der Unzeitlichkeit der sieben Königreiche in die Gegenwart nicht scheut, der könne, so Beise, jede Menge Parallelen entdecken zwischen dem atavistischen Dauergemetzel dort und den Ritterspielen um den Brexit, der Staatsverschuldung und der ausgleichenden Funktion von Institutionen wie dem Bundesverfassungsgericht oder der EZB.
Masse an Protagonisten täuscht über schwache Erzählung hinweg
Das ist eine interessante These. Die Welt der Fantasy, in der sich Charaktere und Konstellationen aus der Mythologie des europäischen Nordens und den Stammesfehden der Bronzezeit mischen, aus Shakespeare, analytischer Psychologie und der Geschichte des englischen Königshauses – sie ist nur das metaphorische Abbild eines Heute, dessen Komplexität dem Einzelnen über den Kopf wächst.
Doch es sind nicht nur ökonomische Zusammenhänge, die in dem Kostümspiel um feuerspeiende Flugdrachen, eisgraue Untote und halbnackte Prinzessinnen nachgestellt werden. Und es geht nicht nur um die Folgen 68 bis 73 von "Game of Thrones" – es geht um ein ganzes Genre.
Denn immer wieder ist es ein eigenes Weltbild, das in den Bedrohungs- und Erlösungsszenarien von "Harry Potter" bis zu "Star Wars" und zum "Herrn der Ringe" Struktur, Moral und, tatsächlich, Übersichtlichkeit gewinnt. Die wimmelnden Massen der Protagonisten und ihre gordischen Verknüpfungen – sie sind nur so eine Art pseudo-intellektueller Dornenhecke, damit das Wesen der Erzählung am Ende, pardon, nicht gar so doof daherkommt.
Eine geschlossene und überschaubare Welt
Denn es ist, so hat der amerikanische Mathematiker und Wahrscheinlichkeitstheoretiker Leonard Savage diese Art geschlossener Systeme einst beschrieben – es ist eine "small world", eine kleine, überschaubare, in sich geschlossene Welt, die etwa der Kabelsender HBO nun seinem Publikum ins Haus liefert.
Und auch die Reaktionen halten sich im immer gleichen Rahmen: Fan-Clubs in der ganzen Welt; Touristenwellen, die über die Drehorte schwappen; ein sorgsam choreografierter Kult der Geheimniskrämerei – und schließlich Foren voller Besserwisser, die einander in Deutungen und Andeutungen überbieten.
Eine kleine Welt im Sinne des Mathematikers Savage ist so etwas wie ein Denkmuster. Es steht für geschlossene, totalitäre Systeme, in denen Gleichungen aufgehen und Wahrscheinlichkeiten sich zu eins addieren. In denen ein Referendum kein Risiko darstellt, der Klimawandel nur eine Frage konkurrierender Berechnungen ist und Präsidentschaftswahlen schon in den Prognosen entschieden scheinen. Für eine Welt, in der die Dramaturgie von Schicksal und Bestimmung den Zufall ersetzt und sich am Ende alles zählen und begreifen lässt. Karma statt Chaos.
Eine Mauer sichert vor dem Bösen
Solche Welten lassen sich adjustieren und manipulieren, ganz nach Belieben. Die Zahl der Nacktszenen und der Vergewaltigungen zu hoch für den Zeitgeschmack? Bitte, dann werden sie im weiteren Verlauf der Saga eben zurückgefahren! Dafür stieg die Zahl der Toten von 59 in der ersten auf 1096 in der siebten Staffel. Irgendein Kitzel muss dem Drama ja erhalten bleiben.
Und ob einer wie Donald Trump sein Nullsummen-Weltbild aus Sieg und Niederlage, Verlust des einen und Gewinn des anderen tatsächlich aus der Fantasy-Welt übernommen hat? Manches spricht dafür. Fest steht, dass schon in der ersten Staffel von "Game of Thrones" 2011 eine riesige Mauer die sieben Königreiche vor der Fiktion des Bösen sicherte. Wer nun "das Reich des ewigen Winters" ersetzt durch "Mexiko", der ahnt, woher solche Politik ihre Vorbilder bezieht.