Fanzines

Die kleine kreative Gegenöffentlichkeit im Pop

Martin Gegenheimer, Koordinator beim "Archiv der Jugendkulturen e.V.", geht am 08.12.2016 in Berlin über den Hof zum Archiv an einer besprühten Häuserwand vorbei.
Eine besprühte Häuserwand im Hinterhof auf dem Weg zum Archiv der Jugendkulturen in Berlin © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Christoph Möller |
"Intro", "Musikexpress" oder "Spex" kennt fast jeder. Aber haben Sie "Blatt 3000" oder "Wetter" schon mal gelesen? Die beiden aktuellen Musik-Zeitschriften mit wenig Auflage stehen in der Tradition der Fanzines, die im Berliner Archiv für Jugendkultur gesammelt werden.
"Das sind unsere Ältesten. Du siehst, die sind auch schon etwas vergilbt und am Zerfallen."
Daniel Schneider kramt alte Musik-Fanzines aus einem Regal:
"Die sollten auch mal digitalisiert werden auf jeden Fall. Das sind einfach Musik-Zeitschriften im Prinzip, die relativ einfach gemacht sind in diesem Fall. 'Das Bauernblatt' habe ich hier. Da geht es nicht unbedingt nur darum über die Musik von irgendwelchen Bands zu schreiben oder Konzerte oder sowas, sondern tatsächlich auch rum zu experimentieren. 'The Beerzine', das ist dann schon eher auch wieder eine Musikzeitschrift, sogar mit Interviews drin und ähnliche."
Hefte aus den 1980er-Jahren. Die Punk-Bewegung mit ihrem "Do It Yourself"-Ethos druckt Fanzines im großen Stil.

Erste Exemplare aus den 1930er-Jahren

Die allerersten Fanzines entstehen in den 1930er-Jahren, in der US-amerikanischen Science-Fiction-Szene:
"Das ist so die erste popkulturelle Szene, die ihre eigene Zeitschrift herausgebracht hat."
Hier, im Archiv der Jugendkulturen in Berlin, werden Fanzines gesammelt und archiviert. In den grauen Archivkartons lagert jede Menge gedrucktes und zusammengeklebtes popkulturelles Wissen:
"Da der Begriff Fanzine am besten passt bei Zines, wo es tatsächlich um ein gewissen Fan-Sein geht, benutzen wir für die aktuellen Zines, die wir sammeln, eher den Begriff Zine, ohne das Fan davor. Weil es ganz häufig gar nicht um das Fan-Sein von irgendwas geht, sondern einfach nur darum geht, relativ einfach und ohne großen Aufwand eigene Zeitschriften zu veröffentlichen."
Eines dieser Zines entsteht in Berlin-Neukölln. In einem weißen Baucontainer hat die Redaktion von Das Wetter ein kleines Büro. Zwei Hunde huschen durch den Raum.

Aus einer Suff-Idee entstanden

Christoph Möller: "Hier entsteht das 'Wetter'?"
Katharina Holzmann: "Klein, aber fein, ja, genau. Auch erst seit kurzem. Vorher haben wir im Wohnzimmer gearbeitet – oder im Café."
An einem langen, braunen Schreibtisch sitzt Redakteurin Katharina Holzmann:
"Ich bin ein Teil der Redaktion des 'Wetters' – ein Magazin für Text und Musik."
Das "Wetter" gibt es seit drei Jahren. Die Zahl der Fans wächst. Im Moment gibt es fast 2500 Abonnenten. Das Heft trägt sich gerade so selbst:
"Das war natürlich eine kleine Suff-Idee, aus der dann aber halt dieses Magazin dann doch erwachsen ist. Es kam halt eher aus so einem Bedürfnis heraus, Sachen anders zu machen als sie bei den konventionellen, größeren Musikmagazinen stattfinden. Nämlich schon, das teilen wir uns vielleicht dann auch mit Fanzines, aus einer subjektiven Begeisterung für Menschen oder Musiker oder Künstler herausgewachsen ist."
Im aktuellen, elften Heft, sind viele Interviews. Mit Joy Denalane, der Metal-Band Kreator oder den österreichischen Poster-Boys Bilderbuch:
"Wir wollen halt keine Plattenkritiken so sehr lesen. Ich persönlich interessiere mich dafür auch nicht so sehr. Ich interessiere mich eher für die Geschichten hinter den Menschen, hinter der Musik. Natürlich kommt Musik da zwangsläufig drin vor. Aber es war eine journalistische Perspektive, die wir da vermisst haben, im normalen Blättern."
Subjektivität und lange statt kurze Texte. Neben Musik: Literatur und Theater. Schwerpunkt auch im aktuellen Heft: Wechsel der Intendanz an der Berliner Volksbühne. Das Heft: professionell, schlichtes Design, hochwertige Fotos, komplett in Farbe. Keine selbst zusammen geklebten Blätter wie bei "Andromeda", sondern Hochglanz-Druck. Fanzine 2017.
"Aber ich würde uns schon als Versuch des Beweises sehen, dass es eben auch geht, ein hochwertiges, erfolgreiches Magazin zu machen, ohne eine große Industrie im Rücken zu haben."
"Das hier ist zwei? Ja. Wow. Drei, vier, fünf ... und dann haben wir noch sechs und sieben."

Keine Platten-Kritiken sondern experimentelle Texte

Noch ein bisschen progressiver als das "Wetter": Malte Kobel und Andreas Dzialocha vom "Blatt 3000" aus Berlin. Auflage, gerade mal 120 Hefte.
Christoph Möller: "Das hier sieht ja fast so aus, als sei es selbst zusammengebaut so ein bisschen."
Andreas Dzialocha: "Ja, so ist es auch. Also, die werden uns getackert und geschnitten."
Das "Blatt 3000" entsteht nachts, in einer Druckerei:
"Ab 20 Uhr ist da niemand mehr, und da dürfen wir dann schneiden und den Raum nutzen. Wir dürfen sehr günstig deren Drucker nutzen und müssen dafür alles selbst machen."
Auch im "Blatt 3000" keine Platten-Kritiken, sondern Texte zum Diskurs um zeitgenössische Musik. Es geht um die Bedingungen, unter denen Musik entsteht. Manchmal wissenschaftlich, immer experimentell, nicht immer verständlich:
"Der Diskurs, der aktuell existiert, interessiert uns nicht. Der ist nicht unbedingt schlecht, aber wir fühlen uns von dem nicht angesprochen. Für mich sind ganz andere Fragen interessanter, vielleicht eben: Wie kann man zusammenarbeiten? Wie können wir in Kollektiven uns formieren? Das sind, glaube ich, so Fragen, die unsere Generation gerade mehr interessieren."

Die Papierform liegt im Trend

Das "Blatt 3000" und das "Wetter" sind zwei zeitgenössische Zines. Von und für Menschen, die sich von der Mainstream-Musikpresse nicht repräsentiert fühlen, die andere Wege gehen. Die einen im farbigen Hochglanz-Modus, die anderen als Hommage an den Do-it-yourself-Style der frühen Punk- und Science-Fiction Fanzines.
Es lohnt sich, nach diesen Zines zu suchen. Und, sagt Daniel Schneider vom Archiv der Jugendkulturen, Zines in Papierform sind in – trotz unzähliger, aber vielleicht auch unüberschaubarer Musikblogs:
"Schallplatten kommen ja auch wie verrückt wieder zurück. Und bei Zeitschriften gibt es auf jeden Fall so eine ähnliche Entwicklung. Da entstehen immer wieder neue Zeitschriften, und auch sehr, sehr viele Zines. Da beobachten wir auf jeden Fall auch eine deutliche Zunahme in den letzten Jahren."
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