Farbbomben und schwarze Löcher

Von Barbara Wiegand |
Seine Objekte gehen oft ins Riesenhafte, sorgen aber immer für eine irritierende Wahrnehmung: So hat der britische Künstler Anish Kapoor für die documenta XI ein scheinbar unendlich tiefes schwarzes Loch geschaffen. In Berlin hat er nun eine Art "Farbfabrik" auf mehreren Etagen gebaut.
Anish Kapoor sitzt im Lichthof des Martin Gropius Baus und erläutert sein jüngstes, extra für die Ausstellung in Berlin entstandenes Werk.

"Die Arbeit trägt den Titel 'Sinfonie für die geliebte Sonne'. Es gibt da vier Förderbänder, auf denen rot gefärbte Wachsblöcke transportiert werden. Große, 70 Kilogramm schwere Blöcke, die am Ende der Bänder einfach runterfallen. Und darüber hängt eine große, ebenfalls rote Scheibe. Es ist eine Art melancholische Sinfonie, ein melancholischer Prozess. Was das genau bedeutet, das habe ich offen gelassen. Wichtig ist mir eher der Prozess. Denn darum geht es mir vor allem in der Bildhauerei – darum, dass etwas entsteht."

Raumgreifend wie gewohnt, hat der Londoner Bildhauer über zwei Etagen hinweg eine Art "Farbfabrik" installiert. Und während hier das Rot auf leise surrenden Bändern in Blöcken gefördert und dann fallen gelassen wird, lässt Kapoor es andernorts so richtig krachen und beschießt die Wände mit einer Farbkanone, gefüllt mit großen roten Wachskugeln.
"Mich interessiert die Farbe, aber vor allem auch als Material, nicht nur als Fläche. Denn Farbe hat eine faszinierende Doppeldeutigkeit: Sie ist das Material, mit der man eine Illusion erzeugen kann. Eine Vorstellung von etwas. Und diese Verbindung zwischen Bedeutung und Material, die hat eine enorme, auch emotionale Kraft."

Der Farbe verleiht Kapoor aber nicht nur mit Hilfe von Wachs eine Form. Seit den 70er-Jahren arbeitet der 1954 in Bombay geborene Künstler mit feinen Pigmenten. Bestäubt in frühen Arbeiten Objekte, die an Schmuck aus indischen Tempeln erinnern, mit stark deckenden Tönen. Versieht später Steine mit blutigem Rot, als trügen sie eine klaffende Wunde. Verteilt Kohlenstaub in einer Ecke des Museums, und inszeniert die vermeintliche Dreckecke als minimale Kunst.

Und bisweilen schafft Anish Kapoor seine Skulpturen auch quasi aus dem Nichts heraus: So ist jetzt im Martin Gropius Bau ein Remake der Arbeit "Decent into Limbo" zu sehen, die er 1992 auf Documenta in Kassel zeigte. Zu sehen ist ein schwarzes Loch im Boden, scheinbar unendlich tief.

"Ja, diese Ungewissheit, die spielt in vielen meiner Arbeiten eine Rolle. Also, dieses Loch in der Erde – oder wenn Sie so wollen, das schwarze Stück Teppich - das symbolisiert nicht einfach nur das Nichts. Es steckt auch voller Dunkelheit. Das kann man als Konzeptkunst ansehen, aber es hat auch eine spirituelle, eine existenzielle Ebene. Ja, dieses Loch steht für den Anfang, wie für das Ende."

Dass es sich bei dem Blick in die Untiefen des Universums um eine Illusion handelt, dass das Loch in Wahrheit ein Stück Teppich ist und keinesfalls der Fußboden des Martin Gropius Baus durchbohrt wurde, das ist typisch für Anish Kapoor. Denn bei ihm sind die Dinge häufig nicht das, was sie scheinen. Sondern viel mehr.

"Objekte sind immer mehr als nur Objekte. Denn der, der sie betrachtet, bringt ja bestimmte Erfahrungen mit sich, hat bestimmte Assoziationen, Gefühle, wenn er sich etwas ansieht. Den neutralen Betrachter, den gibt es ja nicht. Also geht es bei mir auch ein wenig darum, wie wir die Welt sehen und wie verschieden wir sie sehen können. Ich glaube, als Künstler kann ich den Blick öffnen, für diese vielen verschiedenen Perspektiven, die unterschiedlichen Ebenen der Betrachtung."

Die Kunst liegt hier einmal mehr im Auge des Betrachters. Ja, manchmal lässt Kapoor diesen gar zum Teil seiner Kunst werden. Er hält ihm zum Beispiel große, mal konkav, mal konvex gebogene Spiegel vor, in deren Zerrbildern er sich verlieren mag. Mittels simplen, aber gekonnt umgesetzten Effekten fühlt man sich immer wieder direkt angesprochen, einbezogen in die Kunst.

Effekte, die wohl kalkuliert sind. Denn Anish Kapoor überlässt die Wirkung seiner gigantischen Skulpturen nicht dem Zufall, sondern setzt sichtlich auf ästhetische Perfektion. Egal, ob es sich um einen blank geputzten Spiegel handelt oder um einen bizarr aus Epoxydharz geformten erdigen Klumpen.

Und auch, wenn das bisweilen nicht nur plastisch, sondern vor allem plakativ wirkt, wenn manches der meist abstrakten Gebilde in seiner Schönheit eher dekorativ erscheint: Der Rundgang durch die Ausstellung ist ein sinnlich inszeniertes Erlebnis. Spektakulär, und still poetisch, abgehoben abstrakt und dabei sehr lebendig.


Service:
Die Ausstellung Kapoor in Berlin ist vom 18. Mai bis 24. November 2013 im Martin-Gropius-Berlin zu sehen.