Rotkäppchen, Blaubart und die goldene Gans
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In der Kasseler "Grimmwelt" beschäftigt sich eine Ausstellung mit den Farben in Märchen. Schwarz wie der Tod, rot wie die Liebe, weiß wie die Unschuld? Ganz so einfach ist es nicht, erklärt die Kuratorin Sabine Schimma.
Stephan Karkowsky: Sabine Schimma ist Kulturwissenschaftlerin und kuratiert ab heute in der Kasseler Grimmwelt eine Ausstellung zu Farben im Märchen - und als Märchenbanause würde ich sagen, das ist doch ziemlich offensichtlich, gerade bei Schneewittchen, die Haut weiß wie Schnee, die Lippen rot wie Blut, ihr Haar schwarz wie Ebenholz. Oder steckt mehr dahinter?
Sabine Schimma: Farben im Märchen haben immer eine gewisse Symbolkraft, haben wir herausgefunden. Das Schneewittchen ist ein sehr schönes Beispiel. Das Schwarz des Haares, schwarz wie Ebenholz, verweist auf ihren Tod, ihren - Gott sei Dank - nur Scheintod, das Weiße steht für Unschuld, Reinheit und auch ein bisschen für Naivität, wenn man das ketzerisch sehen könnte, denn sie unterliegt ja den Mordanschlägen ihrer bösen Stiefmutter, und das Rot steht natürlich für die Liebe, denn der Prinz, der erlöst sie beziehungswiese lässt ihren Sarg transportieren und das vergiftete Stück Apfel fällt aus ihrem Hals und Schneewittchen wird wieder lebendig. Das ist das halbe Märchen.
Farben haben Symbolkraft
Karkowsky: Ist das immer so, dass Farben im Märchen mehr Rollen spielen als nur die illustrative, also Farbe in eine Erzählung zu bringen?
Schimma: Ja, Farben haben eine gewisse Symbolkraft, und Symbole sind vieldeutig auslegbar. Ich denke, wenn man genau hinschaut, steckt hinter jeder Farbe eine gewisse Symbolik.
Karkowsky: Wofür etwa steht das rote Käppchen, wenn wir es mal konkret machen?
Schimma: Das rote Käppchen steht für ein ganz keckes, kleines, selbstbewusstes Mädchen, denn wir wissen ja alle beziehungsweise erinnern uns noch: Das kleine Rotkäppchen widersetzt sich den Anweisungen der Mutter, geradewegs zur Großmutter zu laufen und Wein und Kuchen zu bringen. Sie lässt sich halt vom Wolf ein bisschen vom Weg abbringen, pflückt Blumen und alles nimmt erst mal ein nicht so gutes Ende, denn der Wolf frisst ja Großmutter und Rotkäppchen, aber der Jäger erlöst dann auch beide.
Karkowsky: Und wie ist das mit dem blauen Bart vom Blaubart?
Schimma: Der blaue Bart, blau steht für etwas Dämonisches, etwas Unnatürliches, der blaue Bart verweist auf das Unheil einer Handlung, denn der Blaubart entpuppt sich ja als Frauenmörder. Auch dieses Märchen nimmt dann ein gutes Ende, denn die Frau, die getötet werden soll, um die es in diesem Märchen geht, wird von ihren Brüdern gerettet, und der Blaubart wird ermordet.
Die Farbe Gold steht für Belohnung
Karkowsky: Aber ich vermute, die Farbe Gold ist immer eindeutig besetzt, da geht es immer um Reichtum?
Schimma: Nein, nicht nur. Die Farbe Gold steht natürlich für etwas Besonders, ja, Reiches, Wohlhabendes, sie ist ja nicht zuletzt die Farbe der Könige. Die Farbe Gold steht aber auch für die Belohnung für gute Taten, also für einen edlen Charakter.
Wir erinnern uns an das Mädchen mit den Sterntalern, die wirklich alles weggibt, um anderen zu helfen, am Ende gar nichts mehr hat, und dann fällt der Goldregen auf sie, wir erinnern uns an die Goldmarie in der Frau Holle, die ebenfalls dann, als sie von der Frau Holle entlassen wird, unter einen Goldregen kommt.
Karkowsky: Hat sich diese Farbensymbolik im Verlauf der Zeit eigentlich auch mal verändert?
Schimma: Ja, beispielsweise ist es so beim Rotkäppchen. Als das Märchen um 1800, oder im späten 18. Jahrhundert, frühes 19. Jahrhundert nach Deutschland kam, hat man unterschiedliche Symboliken hinein interpretiert. Beispielsweise ist Rotkäppchen als Jakobinerin gehandelt worden wegen der roten Mütze. Und wir können uns auch daran erinnern: Rot ist auch die Farbe der Revolutionäre, der Revolutionsfahnen. Da liegt eine ganz enge Konnotation.
Karkowsky: Die Ausstellung will auch drauf hinweisen, welche Erkenntnisse die Wissenschaft schon hatte in der Zeit der Entstehung dieser Märchen. Die ersten Grimmschen Märchen sind 1812 erschienen. Wie haben die Wissenschaftler zu dieser Zeit das Sehen überhaupt und die Funktion der Augen erklärt?
Schimma: 1810 ist Goethes Farbenlehre erschienen, zwei Jahre vor den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, dem ersten Teil. Und Goethe war derjenige, der erkannt hat, dass das Auge selbstständig Farben erzeugt. Das wusste man schon, aber dass diese Farberzeugung nach gewissen Gesetzmäßigkeiten verläuft. Beispielsweise sehen Sie eine äußere rote Farbe an einem Gegenstand, die ganz intensiv ist, und das Auge entwickelt dann daraufhin grün.
Die Brüder Grimm kannten Goethes Farbenlehre
Karkowsky: Und weiß man, ob die Gebrüder Grimm Goethes Gedanken gekannt haben zwei Jahre später?
Schimma: Ja, die Brüder Grimm haben, das ist nachgewiesen, Goethes sinnlich-sittliche Wirkung der Farben - das ist eine ganz besondere Farb-Ästhetik, die Goethe aufgestellt hat - in Auszügen abgeschrieben und haben sich intensiv damit beschäftigt. Auch in Briefwechseln haben sie über die Farbenlehre von Goethe diskutiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.