Farbige Soldaten im Ersten Weltkrieg

Von Sven-Claude Bettinger |
In der flämischen Stadt Ypern kamen während des Ersten Weltkriegs eine Million Menschen ums Leben. Das dortige Museum "In Flanders' Fields" erinnert mit der Ausstellung "Mensch, Kultur, Krieg" an den Einsatz von Soldaten aus den ehemaligen Kolonien wie Afrikaner, Asiaten und Maghrebiner, die sich davon vergeblich Anerkennung und Aufstiegschancen erhofften.
An den Eingängen der vielen Soldatenfriedhöfe in der Gegend von Ypern wehen französische und britische, vereinzelt auch australische oder kanadische Flaggen. In der Masse der weißen Grabkreuze und Grabsteine gehen Details wie ein ungewöhnlicher Name, Halbmond und Stern oder ein chinesischer Schriftzug unter. Der Volksmund brachte den Direktor des Museums "In Flanders’ Fields", Piet Chielens, auf ihre Spur und die Idee zu dieser Ausstellung:

"In dieser Gegend erzählen die Leute heute noch mythische Geschichten über Chinesen oder Senegalesen. Das hat mich neugierig gemacht und angeregt, die historische Realität zu erforschen."

In jahrelanger Arbeit hat Piet Chielens eine verblüffende Materialsammlung zusammengetragen: Protokolle von Debatten in der französischen Nationalversammlung, Anmerkungen von Militärs, das Tagebuch eines flämischen Pfarrers, und vor allem einen Schatz an Fotos.

Sowohl Soldaten als auch Zivilbevölkerung lichteten die vermeintlichen "Exoten" mit ihren ungewöhnlichen Kleidern und den befremdenden Gebräuchen eifrig ab. Anhand der Bilder konnten die Ausstellungsmacher dann in den Beständen von Kriegs- und Folkloremuseen die farbenprächtigen Uniformen und traditionellen Waffen, aber auch Alltagsgegenstände wie Teekannen oder Talismänner auftreiben. Eine Rarität ist eine Kuhhaut, auf der ein kanadischer Indianer wie in einem Comic seine Ängste und Heldentaten verewigt hat.

Grundsätzlich, hat Piet Chielens herausgefunden, behandelten Franzosen und Briten ihre insgesamt etwa 500.000 farbigen Mitstreiter aus 50 Kolonien, Dominions und befreundeten Gebieten sehr unterschiedlich:

"Frankreich bildete in den Kolonien bereits sehr früh Kampftruppen aus. Die so genannten tirailleurs aus Westafrika, Madagaskar, dem Maghreb wurden dann 1914 - 18 eingesetzt. Die Briten hatten Angst, Farbigen Waffen zu geben. Einerseits fanden sie sie zu dumm, andererseits befürchteten sie spätere Aufstände. Die einzige Ausnahme bildete die indische Armee."

Die tirailleurs waren berüchtigt. Lautlos schlichen sie in die deutschen Schützengräben, furchtlos metzelten sie die Gegner mit Buschmessern nieder. Sikhs und Gurkhas aus Nordindien vollbrachten mutige Heldentaten, Indianer galten als hervorragende Kundschafter und Botschafter. Aber außer einem Lob hier, einem Orden dort wurden sie letztlich so schlecht behandelt wie die Hilfskräfte aus China, der Karibik oder Südafrika, die Sandsäcke füllen oder Munition herbeischleppen mussten. Sie bekamen miserable Unterkünfte, Schuhe, Nahrung und nur selten den versprochenen Sold. Wirklich geschätzt, so illustrieren zahlreiche Karikaturen, Zeitungsartikel und sogar Filme, wurden sie nur von der Propaganda:

"Die Botschaft lautete: Die ganze Welt ist gegen Deutschland. Die deutsche Gegen-Propaganda antwortete: Franzosen und Briten sind so schwach, dass sie dieses ‚minderwertige Kanonenfutter’ einsetzen müssen, das nicht kultiviert genug ist, um in einem modernen Krieg zu kämpfen."

Den Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung sogar erst nach dem Ende des Krieges, mit der französischen Besetzung des Rheinlandes:

"Die französischen Truppen zählten zahlreiche Afrikaner. Sie waren Gegenstand einer sehr aggressiven Hetzkampagne und wurden als ‚Viecher im kultivierten Deutschland’ beschimpft, die deutsche Frauen vergewaltigen und deutsches Vermögen verprassen. Ein Pamphlet trägt den Titel ‚Die schwarze Schmach’. Übrigens runzelt man auch in Großbritannien oder den USA die Stirn. Deshalb zieht Frankreich letztlich die afrikanischen Soldaten aus dem Rheinland ab."

Die Ausstellung zeigt auch ein eindrucksvolles Gegenbeispiel: Der deutsche Professor Wilhelm Dögen betreibt in den Kriegsgefangenenlagern anthropologische Studien, notiert Herkunft, Leben, Gebräuche der afrikanischen Soldaten, lässt sie Geschichten erzählen und Lieder singen. Von seinen 1650 Grammophonplatten hat das Berliner Schallarchiv jetzt zwei Dutzend Aufnahmen zur Verfügung gestellt:

Die kleine einheimische Führungselite in den Kolonien hat schriftlich festgehalten, was die meisten farbigen Soldaten und Hilfskräfte sich vom Kriegseinsatz erhofften:

"Sie dachten, die europäische Kultur kennen zu lernen und dadurch Aufstiegschancen zu bekommen. Und sie gingen davon aus, nach dem Krieg gleichberechtigt und letztlich unabhängig zu werden. Es ging also um politische Emanzipation."

Doch der Einsatz an der Front wurde nach 1918 nicht belohnt. Farbige Veteranen erhielten keine Kriegsrente, kein Land, kein Wahlrecht. Von den schätzungsweise 40.000 an der Westfront Gefallenen bekamen nur ein paar Dutzend ein individuelles Grab. Die Ausstellung in Ypern ist deshalb auch eine bescheidene Wiedergutmachung: An den Einsatz von Menschen aus den ehemaligen Kolonien zu erinnern, um die Afrikaner, Asiaten, Maghrebiner zu verstehen, die heute in Westeuropa leben.

Service:
Die Ausstellung "Mensch, Kultur, Krieg. Multikulturelle Aspekte des 1. Weltkriegs" ist vom 1. Mai bis 7. September 2008 im Museum In Flanders Fields in Ypern zu sehen.