Fasten im Konsumrausch

Von Mona Naggar |
Enthaltsamkeit und gottgefälliges Verhalten stehen im Mittelpunkt des Fastenmonats Ramadan: weder Essen noch Trinken und kein Geschlechtsverkehr von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, Almosen geben und mit den Bedürftigen mitfühlen. Aber gerade in diesem Monat setzt unter vielen Muslimen ein Konsumrausch ein.
Amir Jihad kann die Welt im Fastenmonat Ramadan nicht mehr verstehen. Nicht etwa bewusstes religiöses Leben steht im Mittelpunkt dieses heiligsten aller islamischen Monate, sondern Zeitvertreib und Konsum:

"Stellen Sie sich vor, viele Menschen in arabischen Ländern besuchen nach dem Fastenbrechen sogenannte Ramadanzelte. Dort werden dann Musik- und Gesangsveranstaltungen gegeben. Sie trinken Kaffee und amüsieren sich. Was hat das noch mit Ramadan zu tun, mit Gottesfurcht, Enthaltsamkeit und Selbstdisziplin, die wir in diesem Monat üben sollten? Das skurrilste, das mir in den letzten Jahren begegnet ist waren Werbeaktionen, die Nachtclubs zum Ende des Ramadan gestartet haben. Zum Zuckerfest wurden Aufführungen von Tänzerinnen präsentiert."

Amir Jihad trägt einen langen grauen Kaftan und einen Turban. Er ist Direktor der "Welle heiliger Koran", eines religiösen Radiosenders in Beirut. Die Räume des Senders befinden sich im Keller der "Dar al-Fatwa", dem Sitz des Mufti, die höchste sunnitische Autorität im Libanon:

"Der Alltag der Menschen wird während des Fastenmonats auf den Kopf gestellt. Die Arbeitszeit ist kürzer als sonst. Alle gönnen sich mehr Ruhe. Aber ich denke diese Ruhe und die längere Freizeit, die sie haben, wird falsch eingesetzt. Die Menschen beschäftigen sich vor allem mit dem Geldausgeben, mit Essensvorbereitungen am Abend, mit dem Besuch von Einkaufszentren und Shoppen."

Einkaufszentren werden zum Fastenmonat mit Monden und Sternen fast weihnachtlich geschmückt. Aus den Lautsprechern ertönen Sonderangebote für digitale Kameras, Betten oder Lebensmittel. Statistiken über das Verbraucherverhalten in verschiedenen arabischen Ländern während des Ramadan bestätigen die Aussagen von Amir Jihad. Der Umsatz an Lebensmittel, Kleidung und allerlei religiösem Kitsch wie vergoldete Bilder der Kaaba in Mekka, des Felsendoms oder Klingeltöne zum Fastenbrechen steigt stark an. Für 30 Tage setzt ein kollektives Erlebnis ein, das im Einkaufszentrum begangen werden kann, mit der Familie vor einem üppig gedeckten Tisch oder in geselliger Runde mit Freunden vor dem Fernseher. Ein bisschen Religion darf sein, aber Unterhaltung ist wichtiger.

Das ägyptische Ministerium für religiöse Stiftungen hat sich unlängst beunruhigt über das Konsumverhalten der Gläubigen gezeigt. In Vorbereitung auf Ramadan gab es dieses Jahr eine Broschüre heraus, die die Muslime zur Mäßigung aufruft und Imame auffordert in ihren Predigten auf das Phänomen einzugehen.

Die "Welle des heiligen Koran" versucht mit einem umfangreiches erbauliches Programm die muslimischen Hörer an den Geist von Ramadan zu erinnern: Religiöse Gesänge, Erklärungen aus dem Koran, Hörspiele über treue Anhänger des Propheten Mohamed und ihr beispielhaftes Verhalten oder Ratschläge für eine ausgewogene Ernährung während des Fastenmonats. Aber dieses Programm ist chancenlos gegenüber der Übermacht der Satellitensender, die die Kommerzialisierung des Monats auf die Spitze getrieben haben. Bereits einige Wochen vor Beginn des heiligen Monats laufen auf allen Kanälen Werbespots zum dreißigtätigen Sonderprogramm:

Die Vorbereitungen, die die arabischen Satellitensender alljährlich treffen spiegeln die Kaufkraft wieder, die in den Muslimen während des Ramadan steckt. Joumana Fahmi Programmdirektorin des Satellitensenders "Future TV":

"Alle Fernsehsender der arabischen Welt arbeiten für diesen einen Monat. 70 bis 80 Prozent der Werbeeinkünfte erzielen wir im Ramadan. Und die Preise für Werbung steigen um das drei oder vierfache an. Während des Fastenmonats sind die Menschen zuhause versammelt. Tagsüber sind sie müde vom Fasten und abends müde vom Essen. Also machen sie es sich vor dem Fernseher bequem. Die Zahl der Zuschauer steigt in diesem Monat stark an und das ist natürlich für die Werbeindustrie sehr lukrativ."

"Future TV" gehört zu den zehn populärsten arabischen Satellitensendern. Für das diesjährige Programm des heiligen Monats hat der Sender für das Vormittagsprogramm den Star der arabischen Fernsehköche Chef Ramzi eingekauft. Jeden Tag kocht er andere Leckereien als Anregung für das abendliche Mahl. Leichte religiöse Kost gibt es kurz vor dem Fastenbrechen. Spät nachts können Zuschauer in Gameshows mit etwas Glück ein Auto oder ein Haus gewinnen. Die Hauptsendezeit aber kurz nach dem Fastenbrechen gehört den beliebten Serien:

"Am beliebtesten sind immer noch ägyptische Serien. Dieses Jahr haben wir drei davon im Programm. Produktionen aus den Golfländern haben stark aufgeholt in den letzten Jahren. Wir haben eine Serie aus Kuwait gekauft. Dann natürlich eine Liebesgeschichte, so etwas darf nie fehlen. Wir zeigen eine historische Serie über das altarabische Liebespaar Qais und Laila. Und eine Komödie muss unbedingt dabei sein. Denn die Zuschauer können sich nicht richtig konzentrieren, möchten unterhalten werden und lachen. Und Lachen ist schließlich gut für die Verdauung."