Faszination Wüste

Rezensiert von Kim Kindermann |
Weite Sanddünnen, flirrende Sonne, erbarmungslose Hitze: ein Drittel der Erdoberfläche besteht aus Wüsten und diese Gebiete weiten sich immer weiter aus. Grund genug für die Vereinten Nationen 2006 zum "Internationalen Wüstenjahr" zu erklären. Das passende Buch dazu hat der Fotograf und Geograf Michael Martin geliefert: "Die Wüsten der Erde - 365 Tage".
Für diesen weit über zwei Kilo schweren Bildband im DinA5-Format braucht man Zeit. Viel Zeit. Ein Jahr. So will es jedenfalls der Autor und Fotograf Michael Martin: "Die Wüsten der Erde - 365 Tage" lautet der Titel seines neuen Werkes, das konsequenterweise in seiner Aufmachung auch an einen Kalender erinnern soll.

Jedem Tag ist eine Doppelseite zugedacht: Auf der rechten Seite sieht man das Foto, auf der linken befindet sich jeweils ein kurzer Text. Tag für Tag soll man so jeden Tag ein anderes Bild betrachten. Doch diesen Gefallen wird ihm kaum jemand tun. Zu verführerisch und mitreißend sind die wunderschönen Farbfotografien, die der weltweit angesehnen Wüstenspezialist im Auftrag der Vereinten Nationen im Rahmen des diesjährigen UNO-Wüstenjahrs zusammengetragen hat. (Denn was Reinhold Messner für den Berg ist Michael Martin für die Wüste.)

Jedes Foto ist ein kleines Kunstwerk für sich: Farbe, Komposition, Licht alles stimmt. Nie wirkt eines der Bilder inszeniert, sondern immer lebensnah, echt und trotzdem berauschend schön in ihrer unglaublichen Vielfalt. Auf einem Doppelseitenbild - gleich zum Anfang des Bildbands - ragen die skurrilen geformten, schwarzen Felsen von Tin Akacheker im algerischen Tassili du Hoggar in einer unendlichen Weite aus rosa-farbigem Sand auf und erinnern an zu Stein gewordene Tiere. Weiter hinten erstürmen die mächtigen goldenen Sandberge der Sahara, deren wellen-artigen, meterhohen Dünen den endlos wirkenden Horizont. Während sich auf einem anderen Bild die zitronengelben Bitterkürbisse in der australischen Wüste zu langen Perlenketten fädeln und den ansonsten kargen dunkelroten Boden überranken. Dann wieder erinnern die gelb- rostigen Salzkrusten in der äthiopischen Danakil-Senke daran, dass dort, wo heute bedrückende Kargheit herrscht, einst das Rote Meer die Oberfläche bedeckte.

Jedes der 365 Fotos entführt in eine andere Wüste dieser Welt: Mal in die Wüste Gobi, dann in die Kalahari, nach Tibet genauso wie in die australische Great Victoria Desert oder die amerikanische Great Basin Desert. Sie alle beeindrucken durch ihre Größe, ihre Erhaben- und Ursprünglichkeit.

Insgesamt 26 verschiedene Wüstenregionen in Afrika, Asien, Australien und Amerika hat Michael Martin für diesen Bildband besucht und sie alle erzählen eine eigene Geschichte. Eine Geschichte, die der Autor in kurzen, informativen Begleittexten neben den Fotos niedergeschrieben hat und die deutlich machen: Wüste ist nie gleich Wüste. Wer dem Klischee der endlosen Sand-Wüsten-Landschaft aufgesessen ist, der wird hier eines Besseren belehrt. Mal spucken Vulkane heiße Lava in das sie umgebende Steingeröll der Karakum-Wüste. Dann türmen sich blau schimmernde Marmorfelsen am Ostrand der Sahara oder aber die Gipsdünenfelder der Chihuahua-Wüste Neu Mexikos tauchen alles in das einzigartige Weiß der White Sands. Und so unterschiedlich sie aussehen, so verschieden sind auch die Pflanzen- und Tierarten, die dort jeweils leben: Der zehn Zentimeter lange Dornenteufel in der australischen Simpsons Wüste hat wenig mit den Kamele Algeriens zu tun, die auf Michael Martins Fotos vom Leben in der Wüste erzählen.

Doch trotz der Unterschiede ist allen Wüsten dieser Erde vor allem eins gemein: Der Mangel an Wasser. Und der könnte sogar noch schlimmer werden. Nach dem jüngsten UNO-Wüstenbericht wird das Leben für Menschen, aber auch für Tiere und Pflanzen in der Wüste durch die globale Erwärmung immer schwerer. Hat sich die Erdtemperatur von 1976 bis 2000 durchschnittlich um 0,45 Grad Celsius erhöht, stieg sie in den zwölf großen Wüstenregionen der Welt bis zu 2,0 Grad an. Die ohnehin knappen Wasservorräte hätten daher schon jetzt dramatisch abgenommen. Zudem erwarten die UNO-Umweltexperten einen gewaltigen Rückgang der Niederschläge. Bis 2100 sollen diese um ein Fünftel zurückgehen. Die 500 Millionen Wüstenbewohner weltweit stellt das vor noch gewaltigere Herausforderungen. Dabei leiden sie schon heute unter Wasser- und Nahrungsmangel, extremen Temperaturschwankungen und hoher Luftfeuchtigkeit sowie unter der starken Sonnenstrahlung. Einfach ist das Leben in der Wüste nicht. War es nie. Davon erzählen auch die stimmungsvollen Portraits derer, die dort tagtäglich überleben müssen. Auch sie und ihre Geschichte findet man in Michael Martin überaus gelungenen Bildband.

Mal sind es lachende, nachdenkliche, von Wind und Wetter gegerbte, verzweifelte und dann wieder hoffnungsfroh blickende Gesichter, die einem von den Fotos entgegenblicken. Es sind Kinder und Erwachsene, junge und alte. Mal gehören die Fotografierten zur Volksgruppe der Aborigines, Tuareg, Turkmenen, Mongolen, Nazca oder Pueblo. Ihrer unterschiedlichen Tradition nach tragen sie lange Gewänder, sind in Tücher gehüllt, haben einen Turban oder Hut auf dem Kopf oder sind mit Jeans und ausgefranste T-Shirts bekleidet. Sie alle hat Michael Martin in ihrem Alltag fotografiert. Während der Arbeit, beim Teetrinken, beim Beten, beim Spielen, beim Viehfüttern oder einfach beim Rumsitzen. Michael Martins ausdruckstarke Portraits lassen sie alle dabei äußerst würdevoll erscheinen. Ohne Pathos und ohne zu romanisieren erzählen sie von der Schönheit und den Schwierigkeiten ihres Wüstenlebens.

An dieser Stelle sind die Lebensgeschichten von 24 Wüstenbewohnern, die dann anstelle des Autors zur Sprache kommen, besonders spannend zu lesen. In einfachen Worten erzählen sie von ihrem Leben, von dem Zauber, der die Wüste auf sie ausübt und von den Veränderungen wie etwa der Desertifikation, also der zunehmenden Ausbreitung der Wüste, die das Leben der Wüstenbewohner zunehmend bedroht. Fruchtbare Böden werden wüst, Armut und Hungersnöte sind die Folge. Auch darauf macht Michael Martin in seinem Bildband aufmerksam. Und genau das macht dieses Buch so wertvoll: Es entführt in die wunderschöne Welt der Wüsten, lädt zum Träumen ein und zeigt aber auch: Nur ein respektvoller Umgang mit der Umwelt, hilft die jetzt schon bestehenden Wüsten der Erde überleben zu lassen und verhindert, dass neue entstehen. Besser hätte das Buch zum Jahr der Wüste nicht aussehen können.


Michael Martin: Die Wüsten der Erde - 365 Tage
Frederking&Thaler, 2006
752 Seiten, 365 Farbfotos, 34,00 Euro
Wüstenwanderer
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