Faszinierende Frauenfiguren

In Willa Cathers Roman "Sapphira und das Sklavenmädchen" kann man sich hineinfallen lassen wie in einen alten Sessel. Man fühlt sich sofort wohl in der Südstaaten-Welt der Familie Colbert, die von Cather in gemächlichem Rhythmus und mit großer Liebe zu ihren Figuren entsponnen wird.
Dabei geht es um eine Zeitenwende, bei der die althergebrachten Sitten des Südens ins Wanken geraten: Noch vor dem Bürgerkrieg deutet sich 1856 in dem kleinen Ort Black Creek in Virginia das heraufziehende Ende der Sklaverei an, vermittelt durch das Mutter-Tochter-Gespann Sapphira und Rachel.

Sapphira, eine stolze, alte Matriarchin, besitzt Heerscharen von Sklaven, die seit vier Generationen Teil ihrer Familie sind. Dass ihr die hellhäutige Nancy und deren Mutter Till tagtäglich beim Ankleiden und allen Hausarbeiten zur Hand gehen und ihren Launen ausgesetzt sind, ist für sie vollkommen selbstverständlich. Nur ihre Tochter Rachel beobachtet kritisch, wie Sapphira mit den Bediensteten umspringt, die sie als ihr Eigentum begreift.

Auch ihrem Ehemann Henry Colbert, einem gutmütigen, arbeitsamen Müller, der den Bauern immer wieder Kredit gewährt, ist unwohl, wenn er die Hoffart seiner Frau bemerkt. Als sein nichtsnutziger Neffe Martin zu Besuch kommt, spitzt sich die Lage zu. Der skrupellose Lebemann stellt Nancy nach – die junge Mulattin ist vollkommen rechtlos. In ihrer Not wendet sie sich an Rachel, die um den Preis der Entzweiung von ihrer Mutter eine Lösung findet.

1940 erschienen, ist "Sapphira und das Sklavenmädchen" der letzte Roman der amerikanischen Schriftstellerin Willa Cather (1873-1947). Der Kampf mit der Natur, der auch im Mittelpunkt ihres großen Debüts "O Pioneers!" von 1913 stand, wird zu einem Gleichnis für die Härten der Existenz: Jeden Augenblick kann die Ernte durch einen Hagelsturm vernichtet werden, ist die Arbeit eines gesamten Jahres verloren.

Ähnlich wie die Protagonisten ihrer frühen Werke verkörpern Henry und Sapphira Colbert die Tugenden der ersten Siedler: Ausdauer, Verantwortungsbewusstsein, die Fähigkeit, auf Verheißung zu hoffen und den unbeugsamen Willen, den amerikanischen Traum zu verwirklichen. Henry, Rachel und Nancy sind mit der Berglandschaft Virginias ebenso eng verbunden wie mit ihren Familien.

Neben den eindringlichen Naturbeschreibungen faszinieren an "Sapphira und das Sklavenmädchen" vor allem die Frauenfiguren. Wieder stellt Cather ihr Geschick als Psychologin unter Beweis. Ihr gelingen vielschichtige Charaktere, die gerade in ihrer Ambivalenz eine starke Anziehungskraft entfalten. Sapphira hat zahlreiche unangenehme Seiten, aber sie beeindruckt durch ihre Unbeirrbarkeit und Konsequenz, mit der sie an ihren Werten und Überzeugungen festhält. Würdig erträgt sie Alter und Krankheit, und am Ende besitzt sie sogar die Größe, sich mit ihrer Tochter zu versöhnen.

Cather, die als Journalistin bekannt wurde, zehn Romane, zwei Kurzromane und mehrere Dutzend Kurzgeschichten schrieb, galt bereits zu Lebzeiten als Klassiker. An Flaubert anknüpfend, bemüht sie sich um "den richtigen und angemessenen Ausdruck", einen direkten, klaren Stil und den stimmigen Wechsel zwischen innerer Anteilnahme und einer Schilderung von außen. Aus heutiger Perspektive befremdet die selbstverständliche Zweiteilung der Gesellschaft, von der in "Sapphira und das Sklavenmädchen" die Rede ist. Aber gerade dadurch wird Cather zu einer Chronistin des gesellschaftlichen Wandels.

Besprochen von Maike Albath

Willa Cather: Sapphira und das Sklavenmädchen
Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schnack
Knaus Verlag, München 2010
253 Seiten, 19,95 Euro
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