Faszinierende Nachkriegsmoderne
Die Bewunderung für den großen Kollegen Frank Lloyd Wright führte den Wiener Architekten Richard Neutra Mitte der 20er-Jahre in die USA, wo er sich einen festen Platz in der klassischen Moderne erbaute. In den letzten zehn Jahren vor seinem Tod 1970 in Wuppertal realisierte er eine Reihe von Bauten in Europa, die 40 Jahre später erstmals in einer Retrospektive vorgestellt werden.
Die locker und großzügig inszenierten Wohnräume scheinen direkt in die Landschaft überzugehen. Vielleicht ist es ja auch umgekehrt: Die schöne Landschaft setzt sich innen in der leicht und elegant wirkenden Raumfolge fort. Drinnen und draußen sind bei Richard Neutra oft nur durch eine Glasfassade voneinander getrennt. Und wenn die Villa ins Gebirge eingefügt wurde, geraten Ein- und Ausblicke schier atemberaubend. Die Natur als einzigartige Bühne mit der Villa als Hauptdarstellerin. Ein Großereignis von Architektur, dem eine Vision vom Verhältnis zwischen Mensch und Natur einbeschrieben ist. Dion Neutra, Sohn und langjähriger Mitarbeiter des berühmten Baumeisters:
"Jedes unserer Projekte haben wir mit der Frage begonnen, wie wir den Menschen zur Natur in Beziehung setzen können. Um dieses Verhältnis, besonders die klimatischen Herausforderungen und die Reaktion darauf, ging es ja schon in den Anfängen der Menschheit vor Millionen von Jahren. Daran haben wir gedacht - und berücksichtigt, dass sich der heutige Mensch im Kontakt mit der Natur wohler fühlt. Deshalb haben wir bei unseren Gebäuden rundherum soviel Glas verwendet - und dann Doppelglas, damit der Kontakt zur Natur selbst unter niedrigen Temperaturen möglich ist. Das ist die Theorie hinter all den Projekten."
Das wohl aufwendigste Einzelprojekt war das Domizil des Verlegers Gerd Bucerius, der am Lago Maggiore residierte. Acht Villen und zwei Siedlungen - in Quickborn und bei Frankfurt - hat Richard Neutra in seinem letzten Jahrzehnt in Europa realisiert - der Österreicher, der bei Adolf Loos studiert und sich in den frühen Zwanzigern in den USA niedergelassen hatte, amerikanischer Staatsbürger wurde und in Kalifornien als Villen-Architekt geschätzt war. "It's a Neutra", sagten die ebenso stolzen wie vermögenden Hausbesitzer schon in Kalifornien: ausreichend Spielraum gab es da unter flachen Dächern, Glaspartien, Spiegel, reflektierende Wasserflächen. Ankerplätze der Seele sollten seine Wohngebäude sein. Der von europäischer Kulturgeschichte beeinflusste Neutra brachte schließlich mit seiner Rückkehr ein Stück amerikanischen Lebensstils nach Europa. Klaus Leuschel, Leiter dieses Ausstellungsprojekts:
"Es hat sich herauskristallisiert, dass er zu diesem Zeitpunkt fast schon out war in Amerika, er hat jedenfalls nicht mehr so große Bauaufträge gekriegt. Und da müssen wir uns die Nachkriegssituation in Europa, insbesondere im deutschsprachigen Raum, vergegenwärtigen. Der Schriftsteller Urs Widmer hat es mal den Ausbruch aus dem Dumpfen genannt. Diese Häuser sind bestens geeignet, das anschaulich werden zu lassen, weil sie nicht das dumpfe Deutsche der Nachkriegsarchitektur verkörpern: Es war Kalifornien."
Damit die gebaute Umwelt ganz und gar auf die Bewohner zugeschnitten war, ließ Neutra von seinen Auftraggebern umfangreiche Fragebogen ausfüllen, die Aufschluss über deren Persönlichkeit geben sollten. Und die Natur selbst wurde keineswegs "okkupiert", ein harmonisches Zusammenspiel stand auch hier im Vordergrund. Für seine Haltung verwendete Neutra den Begriff "Biorealismus". Leuschel:
"Das ist für ihn ein Dachbegriff gewesen, unter dem er letzten Endes sehr viel auch versteckt hat, manche Banalität wie die 'Spiderlegs', mit deren Hilfe er die bis zum Boden reichenden Glasfenster um die Ecke gezogen hat, um den Ausblick auf die Natur zu ermöglichen. Deutlich war der teilweise sehr sensible Umgang mit dem Baugrundstück, wo einfach nicht der Baum abgeholzt worden ist - es wurde drum herum gebaut, damit die dort wohnenden Leute im Gebäude maximal von der Natur profitieren konnten."
Fragt sich nur, in welchem Zustand sich die privat genutzten Neutra-Bauten in Europa heute präsentieren. Für diese Ausstellung und eine entsprechende Fotoserie hat man sie noch einmal aufgesucht:
"Insgesamt bin ich eher überrascht gewesen bei den Gebäuden, die wir uns anschauen durften. Da war der Zustand eher gut. Es gibt aber durchaus, ob man nun die Villen oder die Reihenhäuser nimmt, die Siedlungen in Walldorf bei Frankfurt und in Quickborn, ein paar Häuser, die nicht in einem so guten Zustand sind. Dafür gibt es aber verschiedene Erklärungen."
Des Erbes scheint man sich nicht immer bewusst zu sein. Mit Entwürfen, Plänen, eigens gebauten Modellen, vielen jüngeren Fotos und ein paar älteren Filmaufnahmen wird das letzte Lebensjahrzehnt des Architekten anschaulich. Und ein Blick auf nicht verwirklichte Projekte ist außerdem möglich, zum Beispiel auf einen Entwurf für das Düsseldorfer Schauspielhaus.
In den hohen Zentralraum des MARTa-Museums - des imposanten Gehry-Gebäudes, das sich so schwer bespielen lässt -, hat man eine hölzerne Kulisse eingebaut, die Werkstattcharakter, aber auch ein wenig vom lichten Lebensgefühl vermitteln soll. Und die Villen-Fotos von Julius Shulman, der in Los Angeles durch Neutra zum Architekturfotografen wurde, erweitern in einer parallelen Ausstellung das Panorama auf ideale Weise.
Es ist die Würdigung eines modernen Klassikers: Deutlich wird, dass Neutras nicht ganz so bekanntes Jahrzehnt in Europa nicht bloß ein Epilog zu seinen amerikanischen Großtaten war, kein müder Nachklapp. Dion Neutra fasst die späten Aktivitäten seines Vaters so zusammen:
"Er war weiterhin erfindungsreich und außerordentlich kreativ bis zu seinem Lebensende. Als er starb, fotografierte er gerade eines seiner Häuser. Er hatte das Glück, dass er nicht krank wurde und deshalb bis zuletzt produktiv sein konnte, mit vielen reizvollen Ideen. Die hier dokumentierten Villen in Europa wurden spät von meinem Vater realisiert, und wir haben noch manches andere verwirklicht. Es war eine der produktivsten Phasen in seinem Leben."
"Jedes unserer Projekte haben wir mit der Frage begonnen, wie wir den Menschen zur Natur in Beziehung setzen können. Um dieses Verhältnis, besonders die klimatischen Herausforderungen und die Reaktion darauf, ging es ja schon in den Anfängen der Menschheit vor Millionen von Jahren. Daran haben wir gedacht - und berücksichtigt, dass sich der heutige Mensch im Kontakt mit der Natur wohler fühlt. Deshalb haben wir bei unseren Gebäuden rundherum soviel Glas verwendet - und dann Doppelglas, damit der Kontakt zur Natur selbst unter niedrigen Temperaturen möglich ist. Das ist die Theorie hinter all den Projekten."
Das wohl aufwendigste Einzelprojekt war das Domizil des Verlegers Gerd Bucerius, der am Lago Maggiore residierte. Acht Villen und zwei Siedlungen - in Quickborn und bei Frankfurt - hat Richard Neutra in seinem letzten Jahrzehnt in Europa realisiert - der Österreicher, der bei Adolf Loos studiert und sich in den frühen Zwanzigern in den USA niedergelassen hatte, amerikanischer Staatsbürger wurde und in Kalifornien als Villen-Architekt geschätzt war. "It's a Neutra", sagten die ebenso stolzen wie vermögenden Hausbesitzer schon in Kalifornien: ausreichend Spielraum gab es da unter flachen Dächern, Glaspartien, Spiegel, reflektierende Wasserflächen. Ankerplätze der Seele sollten seine Wohngebäude sein. Der von europäischer Kulturgeschichte beeinflusste Neutra brachte schließlich mit seiner Rückkehr ein Stück amerikanischen Lebensstils nach Europa. Klaus Leuschel, Leiter dieses Ausstellungsprojekts:
"Es hat sich herauskristallisiert, dass er zu diesem Zeitpunkt fast schon out war in Amerika, er hat jedenfalls nicht mehr so große Bauaufträge gekriegt. Und da müssen wir uns die Nachkriegssituation in Europa, insbesondere im deutschsprachigen Raum, vergegenwärtigen. Der Schriftsteller Urs Widmer hat es mal den Ausbruch aus dem Dumpfen genannt. Diese Häuser sind bestens geeignet, das anschaulich werden zu lassen, weil sie nicht das dumpfe Deutsche der Nachkriegsarchitektur verkörpern: Es war Kalifornien."
Damit die gebaute Umwelt ganz und gar auf die Bewohner zugeschnitten war, ließ Neutra von seinen Auftraggebern umfangreiche Fragebogen ausfüllen, die Aufschluss über deren Persönlichkeit geben sollten. Und die Natur selbst wurde keineswegs "okkupiert", ein harmonisches Zusammenspiel stand auch hier im Vordergrund. Für seine Haltung verwendete Neutra den Begriff "Biorealismus". Leuschel:
"Das ist für ihn ein Dachbegriff gewesen, unter dem er letzten Endes sehr viel auch versteckt hat, manche Banalität wie die 'Spiderlegs', mit deren Hilfe er die bis zum Boden reichenden Glasfenster um die Ecke gezogen hat, um den Ausblick auf die Natur zu ermöglichen. Deutlich war der teilweise sehr sensible Umgang mit dem Baugrundstück, wo einfach nicht der Baum abgeholzt worden ist - es wurde drum herum gebaut, damit die dort wohnenden Leute im Gebäude maximal von der Natur profitieren konnten."
Fragt sich nur, in welchem Zustand sich die privat genutzten Neutra-Bauten in Europa heute präsentieren. Für diese Ausstellung und eine entsprechende Fotoserie hat man sie noch einmal aufgesucht:
"Insgesamt bin ich eher überrascht gewesen bei den Gebäuden, die wir uns anschauen durften. Da war der Zustand eher gut. Es gibt aber durchaus, ob man nun die Villen oder die Reihenhäuser nimmt, die Siedlungen in Walldorf bei Frankfurt und in Quickborn, ein paar Häuser, die nicht in einem so guten Zustand sind. Dafür gibt es aber verschiedene Erklärungen."
Des Erbes scheint man sich nicht immer bewusst zu sein. Mit Entwürfen, Plänen, eigens gebauten Modellen, vielen jüngeren Fotos und ein paar älteren Filmaufnahmen wird das letzte Lebensjahrzehnt des Architekten anschaulich. Und ein Blick auf nicht verwirklichte Projekte ist außerdem möglich, zum Beispiel auf einen Entwurf für das Düsseldorfer Schauspielhaus.
In den hohen Zentralraum des MARTa-Museums - des imposanten Gehry-Gebäudes, das sich so schwer bespielen lässt -, hat man eine hölzerne Kulisse eingebaut, die Werkstattcharakter, aber auch ein wenig vom lichten Lebensgefühl vermitteln soll. Und die Villen-Fotos von Julius Shulman, der in Los Angeles durch Neutra zum Architekturfotografen wurde, erweitern in einer parallelen Ausstellung das Panorama auf ideale Weise.
Es ist die Würdigung eines modernen Klassikers: Deutlich wird, dass Neutras nicht ganz so bekanntes Jahrzehnt in Europa nicht bloß ein Epilog zu seinen amerikanischen Großtaten war, kein müder Nachklapp. Dion Neutra fasst die späten Aktivitäten seines Vaters so zusammen:
"Er war weiterhin erfindungsreich und außerordentlich kreativ bis zu seinem Lebensende. Als er starb, fotografierte er gerade eines seiner Häuser. Er hatte das Glück, dass er nicht krank wurde und deshalb bis zuletzt produktiv sein konnte, mit vielen reizvollen Ideen. Die hier dokumentierten Villen in Europa wurden spät von meinem Vater realisiert, und wir haben noch manches andere verwirklicht. Es war eine der produktivsten Phasen in seinem Leben."