Faszinierende Welt der Mathematik

Ein Inder erfand die Null, aus Syrien kommen die Dezimalzahlen und in Usbekistan entstand die Algebra. Nicht nur diese Erkenntnisse versammelt der renommierte englische Computerwissenschaftler und Mathematiker Peter J. Bentley in seinem "Buch der Zahlen". Er sieht die Mathematik als beste Schule des Geistes und will Aufmerksamkeit erlangen für das Wunderbare und Faszinierende.
Der Titel dieses Buches könnte auch über einer Abhandlung zur gegenwärtigen Finanzkrise stehen. Alles was an Hiobsmeldungen heute verbreitet wird, steht in Zahlen geschrieben: von den Verlustmeldungen der Banken, über die Bewegung der Aktienkurse bis zu den Konjunkturdaten und den astronomischen Quantitäten der Rettungspakete. Auch dass die ganze Misere noch immer etwas Geheimnisvolles an sich hat und dass sie die Welt veränderte, fasst der Untertitel prägnant zusammen.

Aber der renommierte englische Computerwissenschaftler und Mathematiker Peter J. Bentley befasst sich gerade nicht mit dieser prosaischen Seite der Zahlen, wenn er von ihnen als den "sichtbaren Zeichen im Gewebe der Welt" erzählt. Er hält es mit Platon, der meinte, dass die Mathematik die beste Schule des Geistes sei, und er will Aufmerksamkeit erlangen für das Wunderbare und Faszinierende.

Entstanden ist ein berückend schönes Buch zu einem Wissensgebiet, dass bis heute in weiten Kreisen Bauchweh verursacht und von der Frage begleitet ist "Wozu?". Wer Bentleys Buch zur Hand nimmt, wird nach der Lektüre eine Antwort finden.
Erzählt wird auf 272 Seiten von den Zahlenarten und von den Werkzeugen, mit denen man sie handhabt. Sie wurden von Menschen erfunden, Mathematiker, die ihr Fach mit Leidenschaft betrieben. Jeder Fortschritt in der langen Geschichte der Mathematik ist mit einem Namen verbunden.

Die biografischen Exkurse, die jede Etappe begleiten, vermitteln ein lebendiges und sogar ein heilsames Bild über die Wurzeln unseres Wissens, denn die Welt der Zahlen wurde vom Menschengeist aus allen Kulturen entwickelt: ein Inder erfand die Null, aus Syrien kommen die Dezimalzahlen und in Usbekistan entstand die Algebra. Buddha konnte rechnen.

Es gibt natürliche und rationale Zahlen, es gibt die vollkommenen und die Primzahlen, gerade und ungerade, es gibt irrationale Zahlen und die besonderen wie die Kreiszahl Pi, die goldene Zahl Phi oder "e" die Eulersche Zahl. Hinter all diesen Kategorien, der Autor bezeichnet sie schön als die Muster im Gewebe der Welt, verbirgt sich ein Kosmos verbindender Gedanken.

Lässt man sich mitnehmen, dringt man in sie ein, kann man nachvollziehen, warum zum Beispiel Pythagoras und seine Schüler die bestechende Ordnung, die durch die Zahlen möglich wurde, zur Religion erhoben. Ganze Zahlen und Brüche waren ihre Domäne, mit denen sie die äußere Welt interpretierten.

Aber jede vermeintliche Ordnung enthält auch das Übel des Widerspruchs. Aus der Berechnung eines Einheitsdreiecks nach dem Satz des Pythagoras folgt die Wurzel aus 2. Was soll das sein? Eine irrationale Zahl, weil sie sich nicht als Bruch schreiben lässt, weil man sie nie hundertprozentig genau kennt, sondern nur soweit wie die Dezimalstellen hinter dem Komma reichen. Die Pythagoräer haben das Problem einfach verschwiegen, es passte nicht in ihr Schema, und so erhält der Leser die verblüffende Einsicht, dass die wahrheitsträchtige Zahlenwelt auch schon am Anfang von Manipulationen begleitet war.

Bentleys kleine Geschichte der Mathematik, in der die harten Tatsachen der Zahlen im Mittelpunkt stehen, macht auf fühlbare Weise deutlich, wie die Menschheit um Wissen rang und mit Hilfe der Zahlen das Gewebe der Welt zu ergründen suchte. Sie zeigt den Erkenntnisweg, auf dem die Wissenschaft die Religion ablöste und die Vernunft den Aberglauben.

Auf diesem Weg standen die Mathematiker nicht allein, sie wurden begleitet von Künstlern wie Raffael, Dürer, Holbein und anderen. Manchmal sind es Porträts, manchmal wunderschöne Gemälde und Fresken, die man sich in den zahlreichen Abbildungen anschauen darf. Die Erkenntnis- und Zahlenwelt hat einmal, so lernt man, die Bildende Kunst fasziniert.

Die 15 Kapitel, in die das Buch gegliedert ist, brauchen nicht der Reihe nach durchgearbeitet zu werden. Es versteht sich fast von selbst, dass der Autor bei den einzelnen Teilen nicht auf die triviale Nummerierung von 1 bis 15 zurückgegriffen hat sondern Titel wählte, die der Mannigfaltigkeit der Zahlenwelt besser entspricht. So gibt es eins zur Wurzel 2, oder zu Pi oder auch zur 0, dem Nichts.

Man kann immer wieder darüber nachdenken, warum die Mathematik und die Zahlenwelt so ins Abseits geraten sind. Das scheinbar Leb- und Fruchtlose, dass sich im pflichtgemäßen Umgang mit diesem Gebiet aufdrängt, mag eine Rolle spielen. "Das Buch der Zahlen" gibt uns die Möglichkeit, den faszinierenden Weg der Mathematik zu verfolgen und hinter den scheinbar trockenen Zahlenwerkzeugen Menschen zu sehen, die suchten und rangen, damit wir das Gewebe der Welt verstehen können.

Rezensiert von Peter Kirsten

Peter J. Bentley: Das Buch der Zahlen. Das Geheimnis der Zahlen und wie sie die Welt veränderten
Primus-Verlag, Zürich 2008,
272 Seiten, 39,90 Euro