Faulheit
Beneidenswert lässig: Der Dude im Filmklassiker "The Big Lebowski". © IMAGO / Capital Pictures / CAP / NFS
Nennen wir es Müßiggang
In der Leistungsgesellschaft zählt nur Arbeit, das Gegenteil ist als Faulheit verpönt. Manche wollen diese rehabilitieren und betonen ihren Nutzen. Doch geht es auch ohne Verdammung oder Nützlichkeitsdenken? Und ist echte Faulheit überhaupt möglich?
Dieser Text dürfte eigentlich gar nicht existieren. Wenn ich konsequent sein müsste. Da hieß es in der Redaktion: Lasst uns doch mal was über Faulheit machen. Und da sagte ich mir: Super, kenn ich, kann ich, mach ich. Soll also heißen: Ich mach nichts. Endlich mal eine Aufgabe, bei der man im stressigen Alltag eine ruhige Kugel schieben kann. Also lege ich gemütlich die Beine hoch und wenn mich jemand fragt, was ich tue, nenne ich es einfach: Recherche. Das sorgt für Heiterkeit, ich brauche nicht mal ein schlechtes Gewissen zu haben.
Dann ist auch schon Mittagspause, die kann mal ein bisschen ausführlicher ausfallen, Drei-Gänge-Menü inklusive, dann noch ein Kaffeeplausch und ein paar kleinere Päuschen dazwischen, das wird ja in Büros ohnehin empfohlen, um Augen und Rücken zu schonen. Und wenn ich zurück am Schreibtisch bin, lege ich wieder die Beine hoch.
Aber das halte ich nur eine Weile durch. Denn um mich herum wird ja fleißig geklickt und getippt. Und irgendwann wird das Rumbummeln auch ein bisschen öde. Also raffe ich mich auf und schaue mir zumindest an, was über die Faulheit schon gesagt wurde. Spart ja auch Arbeit. Und ich staune: Da gibts schon einiges! Muss ich das jetzt alles lesen? Eigentlich läuft das der Idee zuwider, aber man bezahlt mich ja dafür.
Faulheit liegt im Trend – als Gegentrend
Jedenfalls: In letzter Zeit sind auffallend viele Bücher zum Thema Faulheit erschienen. Die meisten ziemlich dünn, nicht mal hundert Seiten. Entweder gibt es dazu nicht viel zu schreiben oder die Autoren versuchten, zumindest etwas Faulheit vorzuleben, oder sie haben fleißig gekürzt oder sich am Riemen gerissen, um die Lesefaulen nicht abzuschrecken – je nachdem.
Wichtigste Erkenntnis, in Kürze, weil mir die Lust fehlt: Der Ruf der Faulheit wird immer besser. Früher als Todsünde stigmatisiert, wird sie heute immer mehr zur Tugend erklärt. Das Nichtstun hat sogar seinen Nutzen, in der Entspannung und sogar Langeweile kommen einem die besten Ideen. Muße macht kreativ. Sie kann sogar eine Widerstandshandlung sein gegen das ausbeuterische kapitalistische System. Na, prima! Sollen die Kollegen sich doch weiter abrackern …
Aber: Nützlichkeit des Nichtstuns? Das ist doch wieder nichts weiter als eine Maßnahme zur Produktivitätssteigerung! Mehr Pausen und Urlaub, nur um mehr zu schaffen? Viertagewoche, aber nur, wenn man genauso viel schafft wie in fünf Tagen? Wo ist da der Fortschritt? Nein, nicht mit mir!
Alle müssen immer was tun
Doch der Druck ist groß. Konservative Politiker gehen davon aus, dass wir Menschen im Grunde alle faule Säcke sind und zur Arbeit getrieben werden müssen. Bloß nicht zu viele Sozialleistungen, erst recht kein bedingungsloses Grundeinkommen! Sonst tut keiner mehr irgendwas und die ganze Wirtschaft wie Gesellschaft brechen zusammen. Das größte Feindbild: der Totalverweigerer! Im vorauseilenden Gehorsam stürzen wir uns in die Arbeit, als hinge zumindest unsere Existenz davon ab.
Im Grunde ist es auch nicht verkehrt, was Sinnvolles zu tun, sich in eine Tätigkeit zu vertiefen oder sich gar dabei selbst zu verwirklichen. Dann hat man was geschafft, worauf man sogar stolz sein kann. Aber genauso sollte man das auch mit der Faulheit können – das gelingt aber nur den wenigsten.
Echte Faulheit, seien wir ehrlich, die halten wir nicht lange aus. „Alle müssen was tun“, das hat auch mal Funny van Dannen in einem sehr ernsten Lied zum Ausdruck gebracht. Zu viel Faulheit ist ganz bestimmt nicht unser Problem: Wir überbieten uns gegenseitig und rühmen uns fast schon, wenn wir Mittagspausen ausfallen lassen, nach Feierabend noch Arbeitsmails beantworten und irgendwann „ausgebrannt“ sind. Wir leisten mehr unbezahlte Überstunden als bezahlte. Über 700 Millionen im Jahr 2022. Das Nichtstun fällt uns immer schwerer, ein Zehntel soll bereits arbeitssüchtig sein, was sich auf ihre Arbeitstüchtigkeit, sprich: Gesundheit, niederschlägt.
Selbst unsere Freizeit muss durchgeplant und irgendwie sinnvoll verbracht sein, mit Leibesübungen oder anderen Unternehmungen. Doch auch der Rückzug in Wellnesstempeln und Yoga Retreats in der Natur ist ein Produkt, das man sich erst mal verdienen muss. Die restliche leere Zeit im Alltag wird mit Medienkonsum gefüllt. Sogar Einschlafen geht für manche nicht mehr ohne Hörbücher. Nicht mal im Ruhestand kommen wir zur Ruhe.
Vielleicht ist das Credo der Zeit im Werbeclaim eines Baumarkts auf den Punkt gebracht: „Es gibt immer was zu tun.“ Für die FDP gab es sogar „nie mehr zu tun“ – als wäre vorher bloß herumgetrödelt worden, um erst jetzt richtig anzupacken. Aber wozu tun wir das alles? Für den Fortschritt! Und was ist schon immer der Sinn des Fortschritts gewesen, jeder neuen Erfindung? Ein besseres Leben mit weniger Mühsal und mehr Muße. Doch dieser paradiesische Urzustand stellt sich irgendwie nicht ein.
Freiheit zur Faulheit
Nach neoliberaler Sicht muss man sich Faulheit leisten können, sie sich verdienen. Aber das wäre wohl keine echte Faulheit, weil sie nur aus echter Freiheit hervorgehen kann. Und doch gelingt uns das genauso wenig wie den Getriebensten. Vielleicht müssen wir uns damit abfinden: Echte Faulheit gibt es nicht. Wir Menschen können uns ausruhen, uns Zeit lassen, nachlässig sein, aber als Dauerzustand ist Faulheit unerträglich.
Jetzt fällt mir vor lauter Faulheit nichts anderes ein als Gemeinplätze über Work-Life-Balance, Entspannung und Achtsamkeit. – Ach ja, schön wär’s, wenn uns das nach einer Flut von gut gemeinten Ratschlägen endlich mal gelänge. Tut es aber nicht. Denn unser Gehirn steht leider nie still, mit Meditation ist es nicht ganz ruhig zu kriegen. Wahrscheinlich ist es einfacher, nichts zu fühlen als nichts zu denken. Aber selbst das ertragen wir nicht lange.
Deshalb ist wohl das größte Problem immer noch die Denkfaulheit. Dann reicht es nur noch, an seine Vorurteile und Überzeugungen zu glauben, sei es an Religion, politische Ideologie oder Arbeitsethos und ist auch von Vernunft nicht mehr davon abzubringen. Aber es braucht natürlich auch viel Ausdauer, diese Denkfaulheit durchzuhalten. Was natürlich auch eine Form von Bequemlichkeit ist. Ohnehin ist Faulheit eine Einstellung, die Kondition erfordert, dem Drang zur Tätigkeit zu widerstehen. Der wahre Faule dürfte eigentlich keine haben. Er müsste gleichgültig sein, unpolitisch und undogmatisch, allerdings nicht: unmündig. Faulheit geht nur, wenn man sich dazu entscheiden kann.
Müßiggang statt Faulheit
Warum eigentlich „Faulheit“? Das hat doch was von „Fäulnis“, Verderbnis, Laster, Belastung. Vielleicht sollten wir zunächst, dem Trend der Zeit folgend, zunächst Sprachhygiene betreiben, bevor wir das Bezeichnete selbst anpacken. „Trägheit“ wäre eine Alternative, aber die hat fast schon was von Lethargie und Depression. Dann schon lieber das gute alte deutsche Wort „Müßiggang“, das wahrscheinlich zu den schönsten unserer Sprache gehört – und schon ist die Faulheit positiver besetzt. Oder zumindest neutraler.
Allerdings steckt in Müßiggang eben ein Gang, eine Tätigkeit, den Widerspruch in sich werden wir nicht los. Doch es ist eben kein Gang mit Ziel und Zweck, eher ein Spaziergang, bei dem wir nichts sollen, nichts wollen. In den Tag hineinleben. Völlig unproduktiv. Sinnlos. Und ohne Smartphone. Wenn Sie unbedingt ein Vorbild brauchen, lernen Sie vom Dude aus dem Film „The Big Lebowski“ – einem der faulsten Säcke weltweit. Er sät nicht, er erntet nicht. Er ist genügsam, braucht nur Bowling, weiche Drogen und seinen gemütlichen Teppich.
Faulheit als Menschenrecht
Man muss nicht gleich eine Religion draus machen, keine Challenge, keinen Wettbewerb – das wäre nicht im Sinne des Erfinders. Aber wenn alle so dächten? Das werden sie wohl nie, aber wenn viele so dächten, wären sie wohl etwas zufriedener. Und doch sei den Faulsten unter Ihnen gesagt: Wem es wirklich gelingen sollte, fast nichts zu tun als das Dasein zu genießen und ein erfülltes Leben zu führen, der ist ein Lebenskünstler zu nennen und um seinen Reichtum zu beneiden – auch wenn er oder sie bloß Bürgergeld bezieht.
Bevor aber nun die Leistungsorientierten, Workaholics und Highperformer aufschreien, dass ich die Arbeitsmoral senke und diese Botschaft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verfehlt sei, sollten sie sich bewusst machen: Jeder Mensch hat auch das Recht, unproduktiv und nutzlos zu sein. Oder um es mit den Worten eines klügeren Mannes, dem Philosophen André Rauch, zu sagen: „Wir müssen jedem Menschen das Recht zubilligen, er selbst zu sein.“
Damit ist im Grunde alles gesagt. Und warum nicht gleich so? Ich hätte mir die ganze Mühe sparen können.