"Faust" auf "Faust"

Von Stefan Keim |
Was für ein Theaterstoff! Und doch nähern sich ihm die meisten Regisseure mit Misstrauen. Unter den jungen Regisseuren von heute sind es eher die Grübler, die das Stück angehen. Nur einer wagt einen komödiantischen, lustvollen "Faust"", aber verlässt dafür das Theater. Die "Faust"-Premieren reißen auch nach Ostern nicht ab.
Die Hilfe des Teufels zu benötigen, um ein unbedarftes Landei zu verführen, das könne nur einem deutschen Professor passieren. So fassen manche Franzosen lästerlich das deutsche Nationaldrama zusammen. Und wahrlich: Faust ist kein Sarkozy, kein Cyrano, auch kein dänglischer Hamlet, der über die Verlockungen von Weib und Leib ja längst hinaus ist. Faust ringt mit den verschiedenen Sphären des Seins, will immer weiter vor dringen, erkennen, was die Welt im Innersten zusammen hält. Und lässt sich doch vom Glanz Gretchens blenden, will nichts anderes als ein Stündchen ruhig ihr am Busen hängen, verliert seinen Weg, wird zum Spielball der höllischen Mächte.

Was für ein Theaterstoff! Und doch nähern sich ihm die meisten Regisseure mit Misstrauen. "Was ich auch tat", so zitiert das Programmheft des Nationaltheaters Weimar Goethe während seiner Arbeit am "Faust", "ich entfernte ihn mehr vom Theater, als dass ich ihn heran gebracht hätte." Und einige Seiten später fragt der Schriftsteller Ludwig Bechstein: "Ist Faust ein bühnengerechtes Stück? Wurde es für die Bühne geschrieben? Soll es gegeben werden? Kann es gegeben werden?" Seine Antwort: "Faust ist ein Torso, ein riesenhaftes Fragment; zu groß um eingegrenzt werden zu können in den engen Raum der Bühne."

Für den zweiten Teil des Faust mag das in jeder Hinsicht zutreffen, der Text ist eine gewaltige Sammlung an Geschichten, Zeitkommentaren und mythischen Verweisen. Da muss ein Regisseur mit großem Selbstbewusstsein die Gedankenstränge heraus zerren, die ihn interessieren. Nicht einmal von Peter Stein ist bekannt, dass er plane, "Faust 2" ungekürzt spielen zu wollen. Der erste Teil jedoch ist schon zu bewältigen, und es erscheint übertrieben ehrfürchtig, sich und seine Mittel anhand dieses Klassikers so radikal in Frage zu stellen. Schließlich haben einige der schönsten "Faust"-Aufführungen der Theatergeschichte ein wildes Komödiantentum als Basis, nicht nur die berühmten Inszenierungen von Gustaf Gründgens sondern auch die von Claus Peymann in den siebziger Jahren.

Doch die spielerischen Geschichtenerzähler unter den jungen Regisseuren, David Bösch oder Rafael Sanchez zum Beispiel, inszenieren keinen "Faust". Das tun die Grübler, in Weimar Tilmann Köhler mit dem ersten und Laurent Chétouane mit dem zweiten Teil. Köhler, der hoch gelobte und im letzten Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladene Nachwuchsstar, kämpft dreieinhalb Stunden lang mit dem Stoff ohne überzeugend die Oberhand zu gewinnen. Auf einer steilen Treppe brüllt ein magerer, hysterischer Schauspieler zu Beginn Fausts Monolog am Rande der Textunverständlichkeit, es gibt zwei Jungfern, ein Gretchen und eine Margarethe, was Köhler in Goethes Skizzen gelesen zu haben glaubt. Dafür entfällt die Schülerszene, auch auf Marthe Schwerdtlein warten die Zuschauer vergebens. Und wenn sie sich dem Weibe nähern, wechseln Faust und Mephisto die Rollen. Viel schwerer Gedankenstoff, einige schöne Momente, aber auch viel Hilflosigkeit. Am Ende steht man ratlos vor diesem "Faust".

Auch ältere Regisseure plagen sich sehr mit den großen Texten. Sebastian Baumgarten lädt in Hannover Faust 1 und 2 mit seinem bewährten Assoziationsgewitter auf, collagiert eine wilde Mischung aus Fremdtexten und Videobildern, eine "intellektuelle Schnitzeljagd" nannte es treffend die Süddeutsche Zeitung. Und Thomas Bischoff dekonstruiert den ersten Teil in Göttingen, lässt Hexenküche und Auerbachs Keller weg, stellt um, jagt die Figuren in einen existentiellen Kampf. Den klassischen Regietheateransatz, den klassischen Text in die Gegenwart zu verlagern, erprobt Christoph Schroth, der zu DDR-Zeiten einen legendären Gefängnis-Faust inszeniert hatte, nun in Cottbus. Da ist Gretchen eine Muslima, was ihre Gretchenfrage nach der Religion mit neuer Bedeutung auflädt. In der Kirchenszene alpträumt sie von einer Steinigung durch schwarze Gestalten.

Nur einer wagt einen komödiantischen, lustvollen "Faust", aber der verlässt dafür das Theater. Sewan Latchinian jagt sein Publikum per Shuttlebus durch Senftenberg, mit vier Fäusten (für ein finales Halleluja) und auch vier Mephistos. Grillabend, Kinderchor und Musicalauftritt der himmlischen Heerscharen inklusive. Ein Spektakel. Doch warum inszeniert niemand einen spektakulären Faust auf der normalen Bühne? Wieso schwitzen und grübeln die Darsteller so viel und spielen so wenig? Die Antwort ist: Der "Faust" ist eins der wenigen Stücke, das die Theatermacher bei einem immer mehr bildungsentbürgerlichten Publikum als bekannt voraus setzen. Hier können sie sich noch einmal beweisen und hoffen, dass die Zuschauer auch komplexe Wendungen im Hirn mit vollziehen. Was hier und da auch funktioniert, eine rege Publikumsdiskussion nach Tilmann Köhlers "Faust" in Weimar bewies das. Doch das Theaterglück liegt in der Verbindung von Sinnlichkeit und Intellektualität, die ja im Stück selbst schon Thema ist. Ein weiter Schritt ins Spielerische ist der "Faust 1" in Münster, der etwas zu schulklassentauglich als Musical daher kommt und in Manfred Kaderks grandiosem Raumkonzept die Darsteller ganz nah ans Publikum heran rückt. Regisseur Markus Kopf lässt den "Faust" als Volksstück spielen und durchschimmern, dass der Stoff lange als Puppenkomödie auf Jahrmärkten gezeigt wurde.

Die "Faust"-Premieren reißen auch nach Ostern nicht ab. Martin Wuttke zeigt im Berliner Ensemble sein "Faust Solo mit Chor", in Gießen gibt es ein neues Tanzstück mit Musik von Arthur Honegger, und in Potsdam inszeniert Uwe Eric Laufenberg "Faust" als Teil eines Projektes über den Glauben. Ein Tag später folgt seine Dramatisierung der "satanischen Verse" von Salman Rushdie. Der Fantasie der Theatermacher sind also keine Grenzen gesetzt. "Ihr wisst", sagt der Theaterdirektor in Goethes berühmtem Vorspiel, "auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder, was er mag." Und am Ende fordert er: "So schreitet in dem engen Bretterhaus den ganzen Kreis der Schöpfung aus und wandelt mit bedächt´ger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle". An diesen Worten wird jede "Faust"-Aufführung gemesssen.

Service:
Einige Aufführungen:

Nationaltheater Weimar:
"Faust 1" am 29. März, 3., 6. und 18. April
"Faust 2" am 27. März, 12. und 30. April
www.nationaltheater-weimar.de

Städtische Bühnen Münster
28. und 30. März, 2., 5., 19. und 26. April
www.stadttheater.muenster.de