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Ungewöhnliche Orte und ein Gegenprogramm
Rund 40 Orte bespielt die documenta in Athen. Wir sprechen mit dem Kurator Adam Szymczyk und dem Filmemacher Naeem Mohaiemen, der auf dem stillgelegten Flughafen von Flucht erzählt. Poka-Yio sieht das documenta-Konzept kritisch - und hat mit der Athens Biennale ein Gegenprogramm entwickelt.
Möbel werden zu Instrumenten. Die Künstlerin Nevin Aladag, Berlinerin mit türkischen Wurzeln, hat auf Athener Flohmärkten Möbel gefunden und sie von professionellen Instrumentenbauern umarbeiten lassen: Ein Stuhl wird zur Bouzouki oder Oud, eine Kommode zum Cello oder Hackbrett. Ihre musikalischen Installationen erinnern an die Musiksalons des europäischen Bürgertums im 16. und 17. Jahrhundert ebenso wie an die Rembetiko-Keller im Athen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Beim Spielen nehmen die Musiker wie von selbst eine neue Körper- und Geisteshaltung ein. Eingerichtet wurde das "Musikzimmer" passenderweise im Athener Konservatorium, einem der 40 Spielorte dieser documenta.
Der stillgelegte alte Athener Flughafen wird im Film "Tripolis cancelled" des Filmemachers Naeem Mohaiemen zu einer gigantischen Kulisse und zum Sinnbild für eine Stadt im Verfall. Mohaiemen (geboren in London, er pendelt zwischen Dhaka/Bangladesh und New York) knüpft damit an eine persönliche Geschichte an. Sein Vater wurde 1977 sieben Tage lang auf diesem Flughafen festgehalten, weil er seinen Pass verloren hatte und die Behörden zwischen Athen und Tripolis keine Lösung finden konnten. Mohaiemen erzählt auf poetische und bildgewaltige Weise von Flucht und Migration, Verzweiflung und den Grenzen der Menschlichkeit. Der abgewrackte Flughafen, auf dem in jüngster Zeit vorübergehend Flüchtlinge untergebracht waren, ist ein gespenstisches Niemandsland.
documenta: kein Austausch auf Augenhöhe mit Athen?
documenta-Chef Adam Szymczyk setzt auch auf kleinere Spielorte. Wir sprechen mit ihm und Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung. Biennale- und documenta-Künstler Olaf Nicolai bespielt beispielsweise mit einer Soundarbeit das Dora Stratou Tanztheater, das in einzigartiger Weise die Tradition griechischer Volkstänze erforscht. Nicolai verbindet das Viola-Spiel von Ilias Sdoukos mit Protest-Atmos aus aller Welt – akustischem Rohmaterial von Journalisten und aus Archiven. "In the woods there is a bird" nennt er seine Komposition und das dazugehörige Künstlerbuch, das in Kooperation mit dem documenta Radioprojekt "If I heard a sound" entstanden ist.
Der griechische Architekt, Stadtplaner und Theoretiker Aristide Antonas lebt und arbeitet in Athen und Berlin. Seit Langem befasst er sich mit Leerstand, Brachen und Ruinen. Aus der Beschäftigung mit dem Verfall der Städte entstand seine "Theorie der Lücke". Für die documenta hat er Räume der Athener Kunsthochschule umgestaltet. Unter dem Titel "Empty University" entwickelt er in Räumen der Athener Kunsthochschule offene Rauminstallationen – nichts Fertiges, sondern Vorschläge in der Art von Regie-Anweisungen für neue Modelle von Zusammenkünften.
[Das Gespräch mit Aristide Antonas ist nicht im Audio der gesamten "Fazit"-Sendung enthalten. Sie finden es hier.]
Poka-Yio, der Direktor der "Athens Biennale" bedauert, dass es mit der documenta keinen Austausch auf Augenhöhe gab. Er wirft den Kuratoren vor, sich nicht intensiv genug auf die lebendige, lokale Kunstszene eingelassen zu haben, die unter dem massiven Druck der Krise Erstaunliches hervorgebracht hat. "Athen ist derzeit Europas Finsternis. Athen ist der Anfang eines Europas, das sich immer mehr dem Chaos nähert. Du musst dieser Finsternis in die Augen blicken und verstehen, was auf uns zukommt", so Poka-Yio, der mit der Athens Biennale zeitgleich zum documenta-Start einen Gegenentwurf anbietet.