Fehlende Frustrationstoleranz

Wie sich Eltern von ihren Kindern dominieren lassen

Ein kleines Mädchen ist zornig.
Ein kleines Mädchen ist wütend. Lernen Kinder heute, dass es erlaubt ist, andere Menschen zu dominieren? © imago/allOver-MEV
Von Astrid von Friesen |
Bildung gilt als Schlüssel zu Wohlstand. Darum schicken Eltern ihre Kinder in beste Kitas und Schulen. Sie loben, fördern und vergessen oft das Fordern. Die wirklich wichtige Qualifikation Frustrationstoleranz bleibe so auf der Strecke, meint die Pädagogin Astrid von Friesen.
Fantasieren wir: Im reichen Deutschland bekommen zwei akademisch gebildete Eltern ein Kind. Dieses wird in die beste aller Welten hineingeboren, denn die Eltern sind intelligent, heiter, klug, voller Liebe – 24 Stunden am Tag. Was sollte man also diesem privilegierten Kind noch wünschen? Mir fällt nur ein: Frustrationstoleranz!
Wie Menschen mit alltäglichen Enttäuschungen, Zurückweisungen, Misserfolgen, mit Langeweile umgehen, ist eine zentrale Größe für ihr Lebensglück. Und als Kitt für unsere Gesellschaft unabdingbar. All dies lernen wir in der Kindheit. Es ist eine ärgerliche Realität, dass nicht jedes Kind ständig gewinnen kann oder dass ein anderes die Hauptrolle im Theaterstück erhält.
Auch trauen sich Eltern oftmals nicht, ihrem Kind ein Abwarten, auch nur ein fünfminütiges, abzuverlangen: Sie lassen sich ständig aggressiv unterbrechen, stehen bei Tisch selbst auf und holen den Apfelsaft, wenn die Sechsjährige, weder mental noch körperlich verhindert, diktatorisch danach verlangt! Und entlassen ihre 18-Jährigen ins Leben mit zu wenig bis keinen Koch-, Putz- und Selbstorganisations- und Demokratiefähigkeiten.

Selbstmitleidige Prinzen statt reife Demokraten

Folgende Botschaft kommt täglich ein Dutzendmal an: Du darfst unterbrechen, selbstverständlich wirst du bedient, es ist erlaubt andere zu dominieren! Du musst nur nörgeln und brüllen!
Doch wie soll ein Gemeinwesen bei chronifizierter Gereiztheit sowie rechthaberischem, aggressivem bis cholerischem Verhalten funktionieren, wenn zudem das Selbstmitleid, das deutsche Lamentieren und die Verachtung wächst? Durch immer stärkere Anforderungen, Unsicherheiten und Entgrenzungen an den Arbeitsplätzen, durch eine missverstanden demokratisierende Erziehung werden zunehmend Prinzen und Tyranninnen denn zukünftige Demokraten erzogen.
Was heißt das für unsere Gesellschaft? Parteien, Verbände und die freiwilligen Feuerwehren klagen bereits seit Jahren über schwindende Freiwillige. Und Lehrherren über Ausbildungs-Hopper und -Abbrecher. Politische Partizipation funktioniert meist nur noch bei kurzfristigen Kampagnen – der lange Atem geht vielen aus, die Mühsal der Ebene wird gemieden.
Wegen der sich dahinter verbergenden Ich-Schwäche haben diese Betroffenen oft Leistungs- und Durchhalteprobleme und können sich selbst wenig Zufriedenheit über Schulleistungen, ihre beruflichen Tätigkeiten, über Sport oder Hobbies verschaffen, weil sie die anfänglichen Misserfolge schwer verkraften. Doch jeder Mensch fällt beim Skilaufen zunächst auf die Nase, das ist normal!

Den Realitäten des Lebens nicht gewachsen

Die Neuen Medien verstärken dies durch die sofortigen Dopamin-Ausschüttungen. Im realen Leben und beim Vokabellernen sind diese Glückshormone naturgemäß schwieriger zu erhalten. Geschweige denn bei langwierigen, demokratischen Prozessen, nämlich bei der Gremien- und Parteiarbeit, beim Beschaffen von Mehrheiten.
Viel Politikverdrossenheit scheint mir auf diesem Mangel an Frustrationstoleranz zu beruhen, was zur Verachtung von Politikern, Wissenschaftlern und anderen Experten führt, die – in einem unbewussten Umkehrschluss – sozusagen stellvertretend für das eigene Versagen gehasst werden. Extrem kurze Anti-Parolen entsprechen dieser Neigung, Dinge nicht zu Ende zu denken. Viele dieser Meckerer wirken wie verwöhnte, nörgelnde Fünfjährige, auch mit der Fäkalsprache der Kleinkinder, die nicht lernen durften, reif mit den Realitäten des Lebens umzugehen.

Astrid von Friesen ist Diplom-Pädagogin, Gestalt-, Trauma- und Paar-Therapeutin in Dresden, sie unterrichtet an der TU Freiberg, und macht Lehrerfortbildung und Supervision. Gemeinsam mit Gerhard Wilke schrieb sie: "Generationen-Wechsel: Normalität, Chance oder Konflikt? Für Familien, Therapeuten, Manager und Politiker" (LIT-Verlag, 2016)

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