Nachwuchsmediziner für die Provinz begeistern
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Wie bekommt man junge Mediziner und Medizinerinnen aufs Land? Ein niedergelassener Arzt im Bayerischen Wald hat sich diese Frage auch gestellt und das inzwischen sehr erfolgreiche Programm "Die Landarztmacher" für Studierende mit etabliert.
Der Weg nach Kirchberg im Wald dauert. Von der Autobahn A 3 zwischen Regensburg und Passau geht die Bundesstraße 533 mitten hinein in den Bayerischen Wald. 79 Einwohner pro Quadratkilometer zählt der Landkreis im äußersten Südosten Bayerns.
"Ich bin hergekommen und habe vom ersten Moment an gespürt: Das passt. Die Gegend und ich. Das war vor 22 Jahren und es hat seitdem nicht den Bruchteil einer Sekunde gegeben, in dem ich diese Entscheidung bereut hätte."
Landarzt Wolfgang Blank vor den Fenstern seiner "Gemeinschaftspraxis im Bayerwald". Der Blick geht auf den örtlichen Supermarkt am alten Sportplatz von Kirchberg im Wald, auf der anderen Seite breiten sich bis zum Horizont Wald, Wiesen und Felder aus.
Abends beim Joggen fliege ihm schon mal eine Eule über den Kopf oder der Fuchs schleiche vorbei, erzählt Blank, das gebe es in der Stadt nicht. Den Cappuccino vom nicht vorhandenen Italiener um die Ecke könne er selbst zubereiten. Notarzt und Krankenwagen kämen hier genauso schnell zum Patienten wie in der Stadt. Und dazu die Ruhe.
"Junge Mediziner müssen die verschiedenen Möglichkeiten der späteren beruflichen Tätigkeit kennenlernen und an der Universitätsklinik lernen sie die Hausarztmedizin nicht kennen, also haben wir diese Lücke geschlossen und Programme aufgelegt, dass eben junge angehende Ärzte, die vielleicht noch nicht wissen, dass Landarztsein ihr Traumberuf ist, eben diesen Beruf zu zeigen."
Der Beruf des Landarztes sei in den vergangenen Jahren regelmäßig schlecht geredet worden, kritisiert der Mediziner. Deshalb bietet er seit gut 20 Jahren einen eigenen Weg an –für Studierende im Praktikum, in der Famulatur und für Ärzte in Weiterbildung. Rund 800 junge Menschen habe er damit bereits erfolgreich erreichen können:
"Wir haben seit 15, 16 Jahren Studenten hier bei uns, unter denen haben wir junge Ärzte rekrutiert, die uns die Weiterbildung gemacht haben. Mehrere von denen sind jetzt auch in der Region geblieben und haben Praxen übernommen, sodass die Versorgung gewährleistet ist und der Altersdurchschnitt rapide gesunken ist."
Erst die fachliche Ausbildung, dann in den Bayerischen Wald
Im August und September begrüßt er wieder 38 Medizinstudenten im Schnupperkurs "Exzellenter Sommer". Alle Landarztpraxen der Umgebung nehmen einen der jungen Menschen auf. Ein ähnliches vierwöchiges Programm läuft im Februar und März als sogenannter "Exzellenter Winter". Neben der fachlichen Ausbildung wirbt der Landarztmacher mit den Freizeitmöglichkeiten im Bayerischen Wald. Und das kommt an:
"Man kann hier mit Sicherheit gut wandern gehen, das werde ich am Wochenende gleich mal ausprobieren und erst mal die Gegend erkunden."
"Prinzipiell finde ich es eine richtig schöne Gegend hier. Die Natur ist schon schön hier, das ist was anderes als in der Stadt."
Vom Hörsaal in die Landarztpraxis – Lisa und Victoria absolvieren ihre Famulaturzeit derzeit im Bayerwald: Anamnese, Erstgespräch mit den Patienten, Nachbesprechung mit den Praxisärzten. Die eine studiert an der Universität Erlangen, die andere kommt von der Uni Homburg im Saarland:
"Von uns Medizinstudenten gibt es so eine Internetseite, die heißt Famulatur-Ranking, da können Medizinstudenten ihre Famulatur bewerten und da war ganz oft diese Gemeinschaftspraxis im Bayerwald bewertet, und da dachte ich, ja guckste mal."
Die zwei Medizinstudentinnen im achten Semester haben sich die Praxis des Allgemeinmediziners Wolfgang Blank ganz bewusst für ihr Blockpraktikum, die "Famulatur", ausgesucht. Ein Pluspunkt:
"Alle sind total herzlich. Dadurch, dass hier so viele Studierende sind und praktische Erfahrungen sammeln, sowohl die Mitarbeiter als auch die Patienten schon total darauf eingestellt sind."
Die Rolle des Landarztes hat sich verändert
Der Alltag der Landärzte habe sich in den letzten Jahren sehr verändert, betont Wolfgang Blank. Der moderne Landarzt sei weniger Einzelkämpfer, sondern mehr Teamplayer. Viele Gemeinschaftspraxen seien entstanden, viele Mediziner arbeiteten unter einem Dach und unterstützen sich gegenseitig.
Heute werden in den Praxen professionelle Gesundheitsmanager beschäftigt, die komplett die Abrechnung, die Arbeitsverträge und alle nicht medizinischen Vorgänge übernehmen – und die Ärzte so von bürokratischen Lasten befreien – längst überfällig, meint der Arzt.
"Wenn ich die Ressource Arzt habe, dann setze ich die als Ressource Arzt ein und verbrenne sie nicht als 50 Prozent Verwaltungsmensch, was er nicht kann, was er nicht gelernt hat, was ihn von der restlichen Arbeit ablenkt."
Die jungen Medizinstudentinnen werden im Supermarkt von Kirchberg im Wald interessiert von den Einheimischen angesprochen, sie schauen den Ärzten täglich über die Schulter, erfahren hautnah, was ein Landarzt heute in Deutschland leisten kann und muss.
Diese Programme lässt sich der Landarztmacher einiges kosten:
"Wenn jemand in den ländlichen Raum kommen möchte, um sich anzuschauen, wie wir hier arbeiten, müssen wir Unterkunft und Mobilität sicherstellen. Wir haben erst eine Wohnung gemietet, als es mehr wurden, haben wir zwei Wohnungen gemietet, wir suchen jetzt nach der dritten und vierten Wohnung, haben ein Auto hingestellt, mit denen die Studierenden fahren können."
Ohne Vernetzung geht es nicht
Was die Studierenden und jungen Ärzte in Weiterbildung auch kennenlernen: die sogenannte "virtuelle Gemeinschaftspraxis". Ein breites Netzwerk mit anderen Landarztpraxen im Bayerischen Wald, aber auch bis zum Fichtelgebirge und nach Franken sorgt für einen ständigen Kontakt unter weit entfernten Kolleginnen und Kollegen im ländlichen Raum, falls eine Diagnose unklar ist.
Die junge Ärztin Mareike Bauer, seit November approbierte Medizinerin der Universität Erlangen, macht seit April in Kirchberg im Wald ihre Facharztausbildung. Einige Jahre zuvor hatte sie bereits an dem Projekt der Praxis "Exzellenter Sommer" teilgenommen.
"Für mich war es eigentlich wichtig, dass das Team passt, dass der Chef gut ist, man sich gut aufgehoben fühlt. Die Umgebung war zweitrangig."
Vernetzung ist das Schlagwort auf dem Land und das lebt Blank seinen Studierenden und Assistenzärzten am praktischen Beispiel vor. Der Enthusiasmus des Landarztmachers aus dem Bayerischen Wald kommt bei den Studierenden gut an, auch wenn sie sich jetzt noch nicht auf den Beruf des Landarztes festlegen wollen:
"Prinzipiell kann ich mir das schon vorstellen, ich habe schon während meines Studiums an zwei, drei Landarztpraxen meine Praktika gemacht, das hat mir bislang sehr gut gefallen, weil ich das Gefühl hatte, dass die Anbindung der Patienten an die Praxis doch sehr persönlich ist."
"Ich war gleich begeistert, ich komme aus dem Sauerland in NRW und wohne da auf dem Dorf. Ich kann mir auf Dauer auch vorstellen, wieder aufs Land zurückzugehen, auch ins Sauerland zurückzugehen. Ich würde es auf jeden Fall in Betracht ziehen und bin gespannt was ich nach dieser Famulatur sage."