Wiederholungszwang

Warum wir immer wieder die gleichen Fehler machen

Eine Person hält ein Poster in der Hand, auf dem sich exakt dieses Motiv unendlich wiederholt.
Hinter Wiederholungszwang steckt auch die Angst vor der Unkontrollierbarkeit, erklärt Diplom-Pädagogin Astrid von Friesen. © Getty Images / francescoch
Eine Überlegung von Astrid von Friesen · 11.04.2022
Zerstörerische Beziehungen, Suchtverhalten, autoaggressive Lebensentwürfe: Oft wissen wir, dass etwas uns nicht guttut, und dennoch tun wir es immer wieder. Hinter diesem Wiederholungszwang stecken tiefsitzende Muster, meint Astrid von Friesen.
Eigentlich könnten wir wirklich klug sein! Denn Sigmund Freud hatte bereits 1920 den Wiederholungszwang definiert. Mit der Frage, warum Menschen Situationen, Handlungen und Gedanken permanent wiederholen, obwohl sie dadurch sich und andere quälen.
Das reicht von autoaggressiven Lebensentwürfen, von zerstörerischen Beziehungen und transgenerationeller Traumaweitergabe bis hin zu Sucht- und Zwangserkrankungen. Die dahinterstehenden Muster prägen, wir müssen ihnen quasi folgen, um sie an anderen Orten, mit anderen Menschen und zu anderen Zeiten zu wiederholen.

Wiederholungszwänge schaffen zunächst Entlastung

Das Ich erfährt zwar extreme Unlust, doch das Unbewusste erfährt die Lust, besänftigt, geheilt, verstanden und befreit zu werden. Wenn wir diese Muster - einschließlich vieler historischen Wiederholungen - nicht für uns, in der Politik und in allen helfenden Berufen aufdecken, bleiben wir „verdammt zum Wiederholen“. So prophezeite es Freud.
„Warum immer ich? Warum immer wieder die falschen Partner:innen?“ So ein häufiges Aufstöhnen. Lebensbejahender wäre die Fragestellung: Will ich mein eigenes Leben in Selbstverantwortung gestalten oder in der Wiederholungsschleife steckenbleiben?
Unser Leben basiert quasi auf Wiederholungen. Einerseits beruhigende, heilsame Gewohnheiten und Rituale, woraus zum Beispiel jegliches Lernen besteht und das ewige Grenztesten von Jugendlichen. Aber auch übertragene Traumata in der nächsten Generation.

Wiederholung folgt dem Lauf der Natur

Auch die Natur lässt sich als stetige Wiederkehr der Jahreszeiten, des Säens und Erntens beschreiben. Die soziale Ordnung festigt sich durch tägliche, wöchentliche oder jahreszeitliche Rituale, die einerseits die Traditionen, wie kirchliche Feste oder Staatsakte, andererseits die Unberechenbarkeit des Lebens begleiten, wie Krankheiten und Sterbeprozesse.
Am anderen Pol schmerzhafte Zustände, wenn Menschen aufgrund von Persönlichkeitsstörungen, in Krisenzeiten oder im Alter die Fähigkeit verlieren, ihren eigenen Alltag variantenreich und kreativ zu gestalten und ihre Not mithilfe von selbstquälerischen, kontrollierenden Ritualen zu bewältigen suchen.
Dies kann als Perfektionismus beginnen, der oftmals die Ursache für Ehezwiste, pädagogische Probleme oder Burnout-Erkrankungen, für Ess-, Wasch-, Zähl- oder Kontrollzwänge ist. Jeweils um die Kontrolle über frühere Ohnmachtsgefühle oder situative Überforderung zurückerlangen.
Zwangsgestörte halten uns quasi den Spiegel vor. In einer Gesellschaft, in der einerseits die Definition der eigenen Individualität - wie zum Beispiel zunehmend auch des Geschlechts - permanent stärker betont wird, scheinen andererseits die kontraphobischen Reaktionen zuzunehmen. 

Der Zwangsgestörte betrügt sich mit einer Kontrollillusion

Dahinter steckt auch die Angst vor der Unkontrollierbarkeit: der naturgegebenen, der gesellschaftlichen Entwicklungen. Und des Todes, wie sich dies besonders stark 2020 bis 2022 in der weltweiten Corona-Pandemie zeigte. Die täglich wiederholten Statistiken und Verhaltensanordnungen verdeckten unserer aller Ohnmacht, aber beruhigten das Gefühl ausgeliefert zu sein.
Warum diese Penetranz der unbewussten Wiederholungen?
Wenn wir den Mut aufbrächten, sie zu entziffern, könnten wir deren unbewusste Macht in uns selbst, in den Medien, in der Politik begreifen und bannen. Wir könnten wirklich sehr klug und weniger angstbesetzt dann handeln!

Astrid v. Friesen, Diplom-Pädagogin, Gestalt-, Paar- und Trauma-Therapeutin in Dresden und Freiberg, Supervisorin, Journalistin und Publizistin, unterrichtete 20 Jahre an der TU Bergakademie Freiberg. Ihre beiden letzten Bücher mit Gerhard Wilke: „Generationen als geheime Macht -Wechsel, Erbe und Last“ (2020) sowie „Die Macht der Wiederholungen: Von quälenden Zwängen zu heilenden Ritualen“ (2021).

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