Im Prüflabor für Kunstgelenke
Wenn Hüftgelenk oder Knie verschlissen sind, kann ein Kunstgelenk eingesetzt werden. Solche Implantate helfen vielen Menschen, aber so mancher hat auch Pech damit: Von Kunstgelenken, die im Körper abbrechen, bis hin zu giftigem Metallabrieb reichen die Skandale. Wie kann das sein?
"So, dann kommen wir in das Tribulogielabor …"
Eine große Tür schwingt auf – und Philippe Kretzer steuert zielstrebig auf eine Apparatur zu. Sie drückt den oberen Teil eines künstlichen Kniegelenks immer wieder mechanisch auf eine kleine Schale. Das Biomechaniklabor der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg testet auf diese Weise, wie verträglich das Kunstgelenk ist, erklärt dessen Leiter Philippe Kretzer.
"Wir sehen hier einen Prüfstand, der Metallpartikel erzeugen soll ... Metalle, die in der Klinik zu Problemen geführt haben. Wir wollen Partikel erzeugen um zu schauen: Warum sind die so kritisch?"
Kritisch wurde es in der Vergangenheit für Patienten mit Kunstgelenken nämlich immer wieder. Zum Beispiel durch den Abrieb winziger Metallpartikel, die dann in die Blutbahnen gelangten. Diese Partikelvergiftung verursachte bei einigen Betroffenen sogar Schäden an inneren Organen. In seinem Büro hat Philippe Kretzer eine ganze Sammlung solcher Fehlkonstruktionen.
"Ich kann Ihnen hier ein Beispiel zeigen ..."
Darunter sind auch Hüft-Prothesen, die im Körper der Patienten abgebrochen sind:
"Das waren Prothesen mit modularen Schenkelhälsen. Da geht’s darum, dass man mit diesem zusätzlichen Adapter die Möglichkeit hat, den Kopf in verschiedene Position zu arretieren. Das hat den Vorteil, dass der Operateur während der OP noch nachjustieren kann. Klingt erstmal verlockend. In der Klinik hat sich dann gezeigt, dass es an dieser Schnittstelle zu massiven Korrosionsprozessen gekommen ist."
"Das kann man im Labor gar nicht alles berücksichtigen"
Die Betroffenen fragten sich dann zu recht, warum solch unausgereifte Prothesen überhaupt auf dem Markt sind. Ingenieur Philippe Kretzer sieht das eher nüchtern:
"Natürlich ist die Frage, ob man im Labor all das vorher sagen kann, was im Körper passiert. Und das kann man de facto nicht. Da sind einige Faktoren. Auch der Patient selber. Wenn der sehr schwer ist, wird das Implantat ganz anders belastet. Das heißt wir haben viele Faktoren. Und das kann man im Labor gar nicht alles berücksichtigen."
Denn ob der Patient übergewichtig ist oder gegen ärztlichen Rat dann doch Fußball spielt mit seiner Prothese – solche Extreme testet ein Prüflabor in der Regel nicht. Es sind meist Standardverfahren, die versuchen, eine durchschnittliche Alltagsbelastung nachzustellen.
Wie zum Beispiel hier der Hüftsimulator. Ein Hüftimplantat kreist in einer Verankerung.
"Wir wollen mit der Maschine testen, wie gut ein Implantat im Knochen verankert ist. Sie muss gut im Knochen sein. Mit der Maschine testen wir, ob sie sich bewegt zum Knochen. Ob es also kleinste Bewegungen zwischen Maschine und Knochen gibt. Wir können verschiedene Prothesen damit vergleichen."
Um die Verankerung zu testen, kreist die Prothese hier ein, zwei Stunden, um ihren Verschleiß zu testen schon mal drei, vier Monate. Wenn das Kunstgelenk diesen Test ohne Auffälligkeiten besteht – kann der Hersteller sich mit den Laborergebnissen direkt an eine private Zertifizierungsstelle wenden, zum Beispiel an den TÜV. Dieser entscheidet dann nach Aktenlage, ob die Prothese für den Markt zugelassen wird.
"Die Implantate bisher müssen ne CE-Zulassung haben. Das kennen wir, zum Beispiel vom Spielzeug. Auch Spielzeug, das in Deutschland verkauft wird, muss eine CE-Zulassung haben. Es ist im Wesentlichen eine Dokumentenprüfung, die für die Zulassung notwendig ist."
Prüfungen dauern nur einige Monate
Etwa 80 solcher Zertifizierungsstellen gibt es in Europa. Erteilt eine von ihnen die Zulassung – darf ein Implantat ohne jede weitere Prüfung europaweit vertrieben werden. Immer wieder gibt es Kritik an diesem Zulassungsverfahren. Denn die vorgeschriebenen Laborprüfungen dauern in der Regel nur einige Monate. Materialmängel einer Prothese zeigen sich aber oft erst nach Jahren. Volker Ewerbeck, Direktor der Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsklinik Heidelberg setzt deswegen lieber auf das Altbewährte.
"Es kommen monatlich beinah neue Implantate auf den Weltmarkt, die in den Tests gut abschneiden, aber noch auf keine Langzeitergebnisse verfügen. Deswegen ist unsere Auswahl an Implantaten beschränkt. Wir verwenden ausschließlich Implantate, die lange und gut bewährt sind und verfolgen die auch."
Es ist ein Markt, auf dem sich viele Hersteller tummeln. Sie vertreiben Prothesen aus Metall, Keramik, Titan und Kunststoff in unterschiedlichen Kombinationen. Philippe Kretzer schätzt, dass allein 200 verschiedene künstliche Hüftgelenke im Handel sind.
Auch Modeerscheinungen wie das Anti-Allergie-Knie drängen auf den Markt – ein golden beschichtetes Knie, das hier im Heidelberger Labor getestet wird.
Die golden beschichtete Knie-Prothese kreist seit Wochen über einer Platte aus Kunststoff. Ob die Beschichtung wirklich verhindert, dass schädliche Ionen in den Körper kommen, ist noch offen. Es zeigt sich aber: Das Goldknie sorgt für mehr Abrieb im Gelenk als erwartet:
"Die Beschichtung ist aus Titannitrit. Das kennt man aus dem Baumarkt. Da gibt es goldene Bohrer, die sind aus Titannitrit. Die haben halt eine besondere Härte. Härter als Metall. Eigentlich sollte man meinen, dass auch der Verschleiß geringer ist. Aber wir sehen hier: Nee, es ist nicht so. Und wir glauben, dass das an der Rauigkeit liegt."
Mängel wie diese fallen schon im Labor auf, manche erst dann, wenn es zu spät ist: nämlich im Körper des Patienten. Erfahrene Operateure wie Volker Ewerbeck plädieren deswegen inzwischen dafür, Prothesen beziehungsweise Implantate nicht nur im Labor zu testen, sondern an ausgewählten medizinischen Zentren und bei einer begrenzten Zahl von Patienten.