Positive Fehlerkultur

Warum uns Unvollkommenheit voranbringen kann

29:24 Minuten
Ein Mann fällt durch ein Sicherheitsnetz.
Mancher politische Fehltritt wird zu einem Fall ins Bodenlose. © imago images / Ikon Images / Rob Goebel
Von Mandy Schielke · 30.01.2023
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Ob in der Politik, im Job oder im Privatleben – Fehler sind in unserer Leistungsgesellschaft nicht gern gesehen. Sie zuzugeben, trauen sich die wenigsten. Dabei könnte ein besserer Umgang damit viel bewirken.
Verspielt, vertan, verschätzt. Jeder macht Fehler. Irren ist menschlich. Ewige Wahrheiten und billige Binsen auf die man sich zurückziehen kann, wenn alles andere nicht mehr geht. Auch wenn es vielleicht etwas häufiger geschieht als früher. Politiker geben ziemlich selten zu, dass sie etwas falsch gemacht haben. Und das ist quasi systembedingt, sagt Stephan Detjen, Chefkorrespondent von Deutschlandradio in Berlin: 
"Politiker stehen ja in einem harten Wettbewerb der Ideen, wo sie ständig mit der Behauptung konfrontiert sind, sie würden Fehler machen, jedenfalls in einer pluralen Demokratie, wo es eine Opposition gibt, die es sich zur Aufgabe macht, der Regierung ständig vorzuhalten, dass sie alles falsch macht und dass sie Fehler macht. Und insofern hat das Eingeständnis oder der Nachweis von politischen Fehlern immer einen hohen Preis, nämlich im Zweifelsfall den Verlust von Macht, den Verlust von Mehrheit." 

Rund um die Uhr auf Fehlersuche

Aber nicht nur die Opposition diagnostiziere Fehler beim politischen Gegner. Auch die Medien seien rund um die Uhr auf Fehlersuche. 
"Das machen wir ständig. Und insofern muss man, um in diesem System als Politiker zu bestehen, muss man die Fähigkeit haben, mit der ständigen Anklage umzugehen, mit der ständigen Konfrontation damit, dass versucht wird, einem Fehler nachzuweisen und das eigentlich wahrscheinlich jeder Fehler, den man macht, früher oder später sehr gnadenlos aufgespürt wird. Also man kann Fehler in einem transparenten, offenen, demokratischen System sehr schlecht vertuschen.“ 

"Kurskorrektur" statt Fehlereingeständnis

Spenden- oder Masken-Affären, Schummeln bei Doktorarbeiten oder vermeintlich selbst geschriebenen Büchern, ein herzhaftes Lachen im unpassenden Moment? Alles kommt ans Licht.
"Wir wählen in der Demokratie verantwortliche Politiker in der Hoffnung, dass sie keine Fehler machen. In dem Augenblick, in dem führende Politikerinnen und Politiker Fehler zugeben, gehen sie immer das Risiko ein, dass Vertrauen verloren geht“, sagt der Politikwissenschaftler und Experte für Politische Theorie Hubertus Buchstein.
Und so vermeiden Politiker und Politikerinnen es lieber, von Fehlern zu sprechen, und reden stattdessen davon, zu korrigieren oder umzusteuern. Der vor über zehn Jahren beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie sei ein prominentes Beispiel dafür. Kurskorrektur statt Fehlereingeständnis. Auch jüngst nach dem Überfall Putins auf die Ukraine konnten wir diese Form der verdeckten Fehlerkommunikation beobachten, meint Hauptstadtkorrespondent Stephan Detjen.
"Den denkwürdigen Kursschwenk der Bundesregierung unter Olaf Scholz, die noch bis vor Kurzem gesagt hat: keine Waffenlieferungen in die Ukraine, kein Ausschluss Russlands vom SWIFT System. Die SPD, die sich immer gegen die Erhöhung von Verteidigungsausgaben ausgesprochen hat und jetzt in einem dramatischen Kursschwenk eine neue politische Richtung eingeschlagen hat, ohne zu sagen, die vorherige Politik war ein Fehler, sondern wo sie gesagt hat, die Umstände haben sich geändert. Und das erfordert jetzt in anderen Zeiten eine andere Politik, wie Annalena Baerbock das gesagt hat.“ 

Aber was ist überhaupt ein Fehler?

"Fehler haben eine dreifache Zeitstruktur. Das heißt, es gibt eine vor dem Ereignis. Es gibt ein Ereignis und es gibt ein danach. Und Fehler werden immer erst im Nachhinein erkannt. Ganz aktuell eine Korrektur etwa der Politik gegenüber Russland in der Außenpolitik", erläutert Hubertus Buchstein.
Aber was ist das überhaupt ein Fehler? Schlicht ein Abweichen von der Norm? Oder vielleicht sogar Schicksal. Eine Frage, die Buchstein, Professor für Politische Theorie an der Universität in Greifswald so beantwortet.

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"Fehler lassen sich definieren als vermeidbare falsche Entscheidungen oder Handlungen. Bei Unglück spielt der Zufall eine große Rolle. Das haben wir nicht voraussehen können. Deshalb ein Unglück und kein Glück. Schicksal ist eine weitere Möglichkeit, Dinge schlecht laufend zu beschreiben und zu erklären. Dann ist das häufig göttlicher Wille. Irrtum: Das bedeutet, wir hätten es vorher nicht wissen können. Wir haben uns da geirrt. Wir machen uns keine wirklichen Vorwürfe. Selbstkritik setzt ein, für die Fälle, für die wir den Begriff Fehler reserviert haben."

Ein Blick zurück in die Ideengeschichte

Fehler gehören beim Ringen um Entscheidungen in einer Gesellschaft ganz natürlich dazu, könnte man glauben. Fehler und Demokratie, das muss eigentlich immer zusammengehören. Der Blick zurück in die Ideengeschichte, zu den Anfängen der Demokratie zeigt indes ganz unterschiedliche Interpretationen, wie Hubertus Buchstein erklärt:
"Die einen sagen Demokratie, ist schon der Fehler, etwa in der griechischen Antike. Wenn Thukydides in seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges schreibt, dass und warum die griechische Attacke auf Sizilien, die mit einer vernichtenden Niederlage endete, falsch gelaufen ist. Das lag daran, weil die Demokratie einfach keine richtigen Entscheidungen treffen kann. Eine zweite Möglichkeit ist, zu sagen, Demokratie als ein Modus der Fehlerkorrektur. Das haben wir auch schon in der Antike. Perikles: Wir beraten öffentlich, diskutieren. Wir brauchen einen Pluralismus an Meinungen, an Information und Anschauung. Und dann hoffen wir, bei aller Zukunftsunsicherheit zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen.

Des einen Fehler ist des anderen Politik

Das ist die Traditionslinie, die in Richtung Liberalismus geht. Dann drittens die Idee: Demokratie als Innovationstreiber. Das ist im 20. Jahrhundert Niklas Luhmanns Systemtheorie. Es ist alles so unübersichtlich, alle sammeln Informationen, tauschen sie miteinander aus. Und das treibt Innovation voran. Das, in Anführungsstrichen, lässt Fehler erkennen und vermeiden. Und dann ist Demokratie die politische Form des hoffentlich Vermeidens von Fehlern. Und schließlich viertens: Demokratie macht keine Fehler.“
Fehler ist dabei natürlich nicht gleich Fehler. Es gibt Politiker, die ihr Amt missbrauchen oder andere Straftaten begehen. Dafür sind Gerichte zuständig. Politische Fehler, können in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet werden, wie jetzt in Rheinland-Pfalz, wo es um die Flutkatastrophe im Sommer 2021 geht. Und auch das Bundesverfassungsgericht kann Fehler diagnostizieren und sogar dafür sorgen, dass politische Entscheidungen revidiert werden. 

Aushandeln als hartes Ringen um Positionen

„Die Politik ist ja keine exakte Wissenschaft, sondern sie lebt davon, dass eigentlich ständig in diesem offenen, sehr harten Ringen miteinander ausgehandelt wird, was eigentlich ein Fehler ist, was richtige, was falsche Politik ist“, gibt Stefan Detjen zu bedenken.„Und insofern gehört das auch mit dazu, dass der Behauptung, der eine mache in der Politik einen Fehler, immer auch entgegengehalten werden kann, nein, das ist kein Fehler, genau das ist richtige Politik.“ 
Ist es richtig, Steuern zu senken, Zuschüsse zu erhöhen oder ganz aktuell Corona-Schutzmaßnehmen zu lockern? Der Streit darüber, was als politischer Fehler gilt, ist immer Teil der politischen Debatten.

"Und das Urteil, was in der Politik dann mal ein Fehler ist, das überlässt Politik oft, wenn sie klug ist, den Historikern und den Nachgeborenen.“ 
Und dieses Urteil wird in puncto Klimapolitik vermutlich bitter ausfallen, prognostiziert der Politikwissenschaftler Hubertus Buchstein: "Wir wissen, was geschieht. Beispiel Klimawandel und tun trotzdem nicht genug dagegen. Insofern werden uns spätere Generationen hier Fehler vorwerfen. Und sie werden nicht sagen Unglück, Schicksal, Irrtum."

Fehler mit schwerwiegenden Folgen

Auch Stefan Detjen erinnert daran, dass manche Fehler schwer wiegen:

"Dann gibt es natürlich ganz dramatische Fehlereingeständnisse. Wenn wir an den, im letzten Jahr verstorbenen, ehemaligen amerikanischen Außenminister Colin Powell denken, der als tragische Figur in die Geschichte eingegangen ist, weil er vor dem Irakkrieg, vor dem Weltsicherheitsrat angebliche vermeintliche Beweise dafür präsentiert hat, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hat und später erkennen musste, er hat sich da instrumentalisieren lassen.
So hat er das jedenfalls selber gesehen. Er hat sich da zum Instrument der Scharfmacher in der eigenen Regierung damals gemacht und hat das als Fehler eingestanden, rückblickend und auch zu erkennen gegeben, dass er da sehr darunter gelitten hat.“
US-Außenminister Colin Powell sitzt im UN-Sicherheitsrat und hält eine kleines Fläschchen mit einer Substanz hoch.
Am 5. Februar 2003 legte US-Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat in New York angebliche Beweise für Massenvernichtungswaffen des Saddam-Regimes vor. Eine Lüge, der die Invasion im Irak folgte. © picture alliance / dpa / epa afp Clary
"Sich einen Fehler einzugestehen, bedeutet immer auch, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren und sich damit auch zu arrangieren“, sagt der Psychologe und Psychotherapeut Markus Bramer aus München. "Und das ist eben nicht so leicht. Und ja, das wird im Übrigen auch oft mit Schwäche verwechselt.“

Unser Bild von uns selbst wankt

Um uns stark und stabil zu halten, tendieren wir auch eher dazu, uns möglichst beständig als unfehlbar zu sehen, auch um dann Kritik und Anregungen von außen letzten Endes besser aushalten und begegnen zu können.
"Es geht einerseits ja darum, auch ein Bedürfnis zu erfüllen, ein ausgeglichenes, narzisstisches Gleichgewicht zu erhalten, also auch gewissermaßen das Gefühl, mit sich im Reinen zu sein, ein positives Bild von sich zu bewahren. Und auf der anderen Seite gibt es eben auch das Bedürfnis nach Weiterentwicklung, nach persönlichem Fortschritt. Und wenn wir uns mit einem Fehler konfrontiert sehen, dann droht diese narzisstische Homöostase erst mal aus dem Gleichgewicht zu geraten. Etwas ist nicht gelungen, und dieses Scheitern stellt unser bisheriges Bild, das wir von uns haben, in Frage."
Denn wir ärgern uns überhaupt selbst am meisten über unsere eigenen Fehler. Und so ist das Leben mit ständiger Fehlersuche durch das Umfeld schwer zu verkraften. Mitunter auch für durchgecoachte Berufspolitiker, sagt Deutschlandradio-Chefkorrespondent Stephan Detjen.
"Das erfordert eine bestimmte Konstitution, das erfordert die Fähigkeit, wirklich mit einer Dauer-Anklage zu leben und das auszuhalten und sich selber sehr genau zu prüfen. Auch ob man davon überzeugt ist, dass das, was man politisch tut, richtig ist. Man muss da sozusagen als Persönlichkeit auch sehr zentriert sein, um das auszuhalten. Die meisten Menschen würden dieses Maß an öffentlicher Infragestellung, an öffentlichen Vorwürfen, mit denen man als Politikerin oder als Politiker konfrontiert ist, würden die gar nicht aufbringen, gar nicht aushalten."

Nur nicht Scheitern!

Zu Markus Bramer kommen dann auch viele, die von Wunsch getrieben sind, Scheitern zu vermeiden.
"Innerhalb psychotherapeutischer Behandlung wird der Begriff Fehler als solcher eher selten so konkret gebraucht, denn es geht ja gar nicht um Leistung und um Versagen. Und man kann sagen, er wird vielleicht sogar eher vermieden, auch wegen seiner negativen Konnotation. Kaum jemand verbindet damit ja was Positives.
Das ist zunächst auch nachvollziehbar, denn sowohl im Kontext unter Einbindung in Gruppen als soziale Wesen, aber auch gegenüber unseren eigenen Idealvorstellungen wollen wir möglichst erwartungsgemäß sein und keine Fehler begehen. Aber das wiederum ist nicht immer möglich und letztlich auch eine Illusion, der wir nicht erliegen sollten. Denn Menschen sind lernende Wesen und auch Menschen machen Fehler. Und das ist letztlich auch gut so."

Auch Merkel räumte ihren Fehler ein

Stephan Detjen erinnert an ein prominentes Beispiel: "Ein besonders deutliches, sehr persönliches Fehlereingeständnis haben wir gehört von Angela Merkel bei dem Versuch, einen befristeten Lockdown über die Ostertage zu machen und dann hat das nicht funktioniert. Sie ist damit gescheitert. Aber sie hat danach dann sehr persönlich die Verantwortung dafür übernommen. Und das ist ihr dann auch in vielen Reaktionen hoch angerechnet worden."

"Um es klipp und klar zu sagen, die Idee eines Oster-Shutdowns war mit bester Absicht entworfen worden, denn wir müssen es unbedingt schaffen, die dritte Welle der Pandemie zu bremsen und umzukehren. Dennoch war die Idee der sogenannten Osterruhe ein Fehler“, erklärte Angela Merkel.
Angela Merkel steht im Bundestag und hält eine Rede.
Am 24. März 2021 erläuterte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag die Rücknahme des Beschlusses zur Osterruhe.© imago images/Xinhua
Es gibt sie also die Ausnahmen und die Situationen, in denen Fehlereingeständnisse sogar mit Anerkennung belohnt werden können. Aber das ist noch eher selten, beobachtet Deutschlandradio-Chefkorrespondent Stephan Detjen. Aber wieso fällt es uns allen – nicht nur Politikern und Politikerinnen überhaupt so schwer, zuzugeben, einen Fehler gemacht zu haben?

"Das beruht auch darauf, dass wir auch früh in unserer Sozialisation gelernt haben, dass Fehler etwas ausschließlich Negatives darstellen, was eher mit schädlichen Folgen verbunden ist“, erklärt Markus Bramer.
„Ein Fehler ist immer auch mit der grundsätzlichen Idee assoziiert, dass es immer auch ein richtig gibt, von dem wir abgewichen sind, es nicht erreicht haben. Und diese Vorstellung wird über die Erziehung weitergegeben. Schon sehr früh. Der Schüler mit dem fehlerfreien Diktat wird gelobt und der mit den vielen Rechtschreibfehlern erhält bestenfalls keine Reaktion oder gar eine kritische.
Wer ein Musikstück fehlerfrei vorträgt, bekommt Applaus. Und dem, der Fehler macht, sagt man, er solle mehr üben. Gerade auch in unserer Leistungsgesellschaft wird vermittelt, dass es wichtiger ist, keine Fehler zu begehen, als sich mit dem, was wir tun, entlang den eigenen Begabungen, Stärken und Schwächen zu orientieren und Fehler schlichtweg auch als Bestandteil von Lernprozessen zu begreifen."

„Nur wer nichts macht, macht keine Fehler“

"Fehler gehören zum Leben dazu, zum Lernen, zum Leben, zum Alltag, wir alle machen Fehler. Nur wer nichts macht, macht keine Fehler. Und das ist genau auch die erste Botschaft, die, denke ich, wichtig ist, die man Kindern mitgeben muss. Das ist überhaupt nicht schlimm, Fehler zu machen, das passiert."

Susanne Narciss ist Professorin für die Psychologie des Lernens und Lehrens an der TU-Dresden. Fehler sind für sie vor allem Lerngelegenheiten. Das bereits Kindern zu vermitteln, ist wichtig, damit sie ein gesundes Verhältnis dazu entwickeln und sich vor allem nicht schämen, wenn mal was schiefgeht.
"Wenn wir so einen beschämenden Umgang mit Fehlern haben, dann besteht die Tendenz, Fehler zu vertuschen. Und das kann katastrophale Folgen haben."

Nichts zu korrigieren ist auch keine Lösung

Und der Motivation überhaupt lernen zu wollen, den Garaus machen. Von der Idee, aus Angst die Lernmotivation zu bremsen, Fehler bei Kindern überhaupt nicht zu korrigieren, davon hält die Pädagogin aber auch gar nichts. Die Konfrontation mit einer Wirklichkeit, in der Fehler garantiert irgendwann angesprochen werden und vor allem Konsequenzen haben werden, kann ansonsten viel zu drastisch ausfallen.
Besser, wenn Kinder unterschiedliche Strategien lernen, Fehler zu finden. Auch auf spielerische Art – in Rätseln beispielsweise. Überhaupt falle es Kindern viel leichter, Fehler zu adressieren, wenn sie sie nicht selbst gemacht haben.
"Eine meiner Doktorandinnen hat Studien gemacht zum Lernen aus eigenen und fremden Fehlern. Da haben wir fehlerhafte Lösungsbeispiele quasi auch rein gegeben. Und die Kinder, die an diesen Studien teilgenommen haben, fanden es ganz toll, dass sie quasi jetzt mal die Lehrer-Aufgabe machen durften, dass sie eben die Arbeit eines anderen, einer Mitschülerin oder eines Schülers korrigieren durften, und haben da auch mit Feuereifer mitgemacht. Warum wir das gemacht haben, war die Überlegung, dass ich dann diese negativen Emotionen, die mich überkommen können, wenn ich selbst Fehler gemacht habe und mich mit meinen eigenen Fehlern auseinandersetzen muss, die habe ich nicht, wenn ich fremde Fehler bearbeite."

Mit der eigenen Fehlbarkeit zurechtkommen

Wenn wir gelernt haben, dass alle Menschen ständig Fehler machen und es auch noch schaffen, das als Ressource zu begreifen, dann kommen wir vielleicht auch mit der eigenen Fehlbarkeit besser zurecht, vermutet der Psychologe und Psychotherapeut Markus Bramer aus München.
"Denn in einem reflektierten Umgang mit Fehlern liegen mindestens zwei Chancen. Zum einen fördert es die Chance, einen bewussten Umgang damit zu finden, eine erträgliche und zugewandte Haltung sich selbst gegenüber, anstatt sich anzugreifen und zu kritisieren. Das wiederum hilft auch, ein Verständnis über sich und die Gründe des eigenen Handelns zu bekommen und auch die eigenen Grenzen und Potenziale zu erkennen und einzuschätzen. Ein realistisches Selbstbild zu formen und sich auch so anzunehmen, wie man ist, mit Stärken, aber eben auch mit den eigenen Schwächen. Das ist immer eine gute Grundlage für ein stabiles Selbstbewusstsein.
Zum anderen liegt in der Auseinandersetzung mit Fehlern aber auch die Chance einer persönlichen Entwicklung, etwas zu verändern, etwas anders zu machen, etwas Altes hinter sich zu lassen. Jeder begangene Fehler birgt ja auch ein wertvolles Wissen über die eigene Person in sich. Einen Fehler zu verstehen heißt letztlich immer auch, sich selbst besser zu verstehen.“

Neue Fehlerkultur in der Bundesregierung?

Die neue Bundesregierung will anders, offener mit Fehlern umzugehen. Vizekanzler Robert Habeck hat bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages von SPD, FDP und Grünen ein „lernendes Deutschland, eine lernende Politik“ versprochen. Fehlereingeständnisse vermutlich inklusive. Da sich derzeit die Ereignisse überschlagen, kann es auch gar nicht anders gehen, sagt Deutschlandradio-Chefkorrespondent Stephan Detjen.
"Wenn wir diese dichte Abfolge von Krisen sehen, Weltfinanzkrise 2008, Eurokrise, Brexit, Coronakrise, Kriege, Flucht, Migrationskrise – also die Politik ist in einem total verdichteten Krisenmodus. Und das bedeutet immer, dass sie mit riesigen Ungewissheiten konfrontiert ist, auf die man nicht vorgefertigte Antworten hat und wo man sich dann immer wieder tastend und sich selbst korrigierend vorwärtsbewegt."
Die Hertie-Stiftung etwa hat zu Beginn des Jahres den Hashtag #FehlerkulturChallange gestartet, wo sich Politiker und Politikerinnen zu Fehlern bekennen können und erklären, was sie daraus gelernt haben.

Etwas falsch zu machen, ist menschlich

Fehlergeständnisse als Zeichen von Offenheit und nicht von Schwäche. Dieser Gedanke verfestige sich im politischen Geschäft und auch unter Journalisten und Journalistinnen, beobachtet Stephan Detjen:
"Ich glaube, dass das auch mit geschlechtsspezifischen Rollenmustern zu tun hat. Dass Politik natürlich in dieser ganzen männlichen Prägung, eine ausgesprochen geringe Fehlertoleranz hatte und ein Klima lange geherrscht hat, indem das Eingeständnis von Schwächen, von Fehlern, in der es keine Sprache, wenig Ausdrucksformen dafür gab und Politik dann auch sehr geprägt war von diesen sehr männlichen Typen, von diesen patriarchalischen bis hin machistischen Figuren Kohl, Schröder, Joschka Fischer, kann man ja durch alle Parteien durchdeklinieren.“
Dann auch durch den verstärkten Eintritt von Frauen auch eine Gesprächskultur entstanden ist, wo man gemerkt hat, da fängt Politik an, darüber nachzudenken, wie gehen wir eigentlich selber miteinander um und wie gehen wir damit um, dass wir alle Menschen sind, die unter Umständen mal Fehler machen!

Großzügiger werden

Überhaupt geht es bei der Suche und dem Finden einer gesunden Fehlerkultur ja hauptsächlich darum, aufgeschlossener, nachgiebiger, großzügiger zu werden, mit sich selbst und mit den anderen – nicht nur in der Politik, sondern auch im Alltag, in der Familie und auch am Arbeitsplatz. Hubertus Buchstein, Professor für Politik – und Kommunikationswissenschaft an der Universität Greifswald:
"Dass man da als Bürger anderen Mitbürgern gegenüber, die in Verantwortung stehen, etwas großzügiger ist und ihnen einfach auch das Recht auf Irrtum zugesteht und nicht immer gleich mit der Fehler-Keule kommt. Dahinter steht ja immer die Idee, dass es irgendwann keine Fehler mehr gäbe. Und das ist ja Unsinn."

Die Erstausstrahlung des Features war am 28. März 2022.

Sprecherin: Luise Wolfram
Ton: Andreas Stoffels
Regie: Roman Neumann
Redaktion: Martin Hartwig

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