Meinung
Robert Habeck (Grüne) gilt als Protagonist eins selbstkritischen Politikstils © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Politiker: Die Unfähigkeit zur Selbstkritik schadet der Demokratie
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Das Vertrauen in die Demokratie bröckelt – laut Umfragen zweifeln immer mehr Deutsche daran. Der Bundestag und Parteien sind kaum noch glaubwürdig. Mit ein Grund: Politiker, die lieber beschönigen als sich und ihr Tun selbstkritisch zu hinterfragen.
Mit Robert Habeck verschwindet vielleicht nicht die allergrößte wirtschaftspolitische Leuchte aus der Arena des Berliner Circus-Maximus, aber doch der Initiator einer neuen politischen Kultur. Wie immer man ihn als Regierungshandwerker einschätzen mag: Habeck verkörperte nicht nur eine andere, wohltuende, post-heroische Art der Männlichkeit, sondern auch einen Stil selbstkritischer Reflexion, die in der anbrechenden Ära des Großmaulheldentums hätte vorbildlich werden können.
Man mag die rasche Abkehr von Habecks melancholisch verzärtelter Selbstbezichtigung betrauern, weit tragischer aber ist, dass Selbstkritikfähigkeit und Fehlerkultur hierzulande denkwürdig unterentwickelt sind.
Für die offenbar unerschütterliche SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken zum Beispiel haben nicht die Sozialdemokraten Schuld an den 16,4 Prozent Selbstverzwergung ihrer „Volkspartei“, sondern natürlich: die Rechten. Wie wäre denn stattdessen zu erwägen, ob nicht sie, Eskens Sozialdemokraten, durch ihre verkorkste Ampel-Politik in den vergangenen drei Jahren eine Mitschuld haben könnten am bedenklichen Aufstieg der Rechten?
Kooperation als Leitkompetenz
Olaf Scholz fliegt ohnehin in seiner Egokapsel auf einer extraterrestrischen Umlaufbahn, und bevor es aus München nur einen Hauch Selbstkritik zu hören gäbe, konvertiert Markus Söder jede Kritik an seinen politischen Kehrtwenden sofort in ein fulminantes Selbstlob für Bayern und also sich selbst.
Glaubwürdige Selbstkritik hingegen wäre ein Nachweis von Lernfähigkeit. In der total venetzten Welt sind Kooperation, Kollaboration und Team-Moderation notwendige Leitkompetenzen. In einer zivilisierten Gesellschaft geht es ja nicht darum, Recht zu haben, sondern sich mit gut kommunizierten Argumenten über das Bestmögliche für alle zu verständigen.
In der deutschen Kampfzone mit ihrer Pranger-Mentalität aber wird immerzu nach persönlicher Schuld und individueller Verschuldung gesucht, statt aus der Analyse eines Fehlers die besten Lehren zu ziehen und Prozesse zu optimieren.
Fehleranalyse statt Schuldzuweisung
Selbstkritik ist eine soziale Kompetenz, die weder gelehrt wird noch im gängigen Tugendkatalog auftaucht – in der Politik genauso wenig wie in der Gesellschaft. In einer durch Social Media geprägten Sozialisation, in der immer alle Sieger und Gewinner sein wollen, gilt das Eingeständnis eigener Fehler sofort als Defizit, als Schwäche oder Scheitern.
Wer ständigen Rankings und Performance-Bewertungen ausgesetzt ist, wer immer alles richtig und korrekt machen will, fasst Selbstkritik nicht als Beitrag zur Verständigung in einem kooperativen Prozess auf, sondern als Vehikel zur Selbstentwertung.
Und Angehörige der Generation Z, die sich selbst gern großartig finden und ebenso gern forsche Forderungen aufstellen, treibt ja bereits ausbleibende Bewunderung in die Verzweiflung.
Selbstverschuldete Politikverdrossenheit
Der Staat und die Politik schließlich haben ein hohes Maß an Staatsfeindschaft und Politikverdrossenheit ihrer Bürger selbst verschuldet, indem sie die Fehler und Fehleinschätzungen während der Coronapandemie bisher in keiner Weise selbstkritisch und systematisch aufgearbeitet haben. Untersuchungsausschüsse oder Enquetekommissionen hätten manches vom verlorenen Glauben an die Institutionen der Demokratie zurückbringen können.
Fehlbar sind wir alle, und irren ist allzu menschlich. Wer sich selbst also kritisch reflektiert, zeigt die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen und offen für andere Wege und Ideen zu sein. Jedes liberaldemokratische System ist auf diese Fähigkeit angewiesen, um sich weiterentwickeln zu können.
Letztlich ist Selbstkritik keine Schwäche, sondern die größte Stärke. Ein ehrliches, glaubwürdiges und nicht taktisch motiviertes Eingeständnis eigener Fehlbarkeit würde mehr Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen zurückbringen als die ständig hilflos-hysterischen Aufrufe zur „Rettung der Demokratie“.