Feiern ohne Ende

Der Exzess als kapitalistisches Prinzip

08:19 Minuten
Susanne Witzgall im Gespräch mit Katja Bigalke |
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Rauscherfahrungen sucht der Mensch, seitdem er existiert. Der Kapitalismus aber habe diese Sehnsucht kommerzialisiert, meint die Kunsthistorikerin Susanne Witzgall. Die Coronakrise ermögliche uns, den Drang nach Exzessen grundsätzlich zu überdenken.
Die Ausschweifung, die Party, sehen und gesehen werden, scheint modernen westlichen Gesellschaften in die DNA eingeschrieben zu sein, und zwar nicht nur in Clubs. Auch bei Filmpremieren, auf den Buch- und Kunstmessen werden wilde Partys gefeiert.
Party leitet sich vom Lateinischen "partire" ab: Es gehe bei solchen Gelegenheiten auch ums Teilen, sagt die Kunsthistorikerin Susanne Witzgall, und zwar von Erfolgen und Emotionen. "Man bildet auf diese Art und Weise Affektgemeinschaften", erklärt sie.

Wenn die Selbstentgrenzung fehlt

Was, wenn diese Party ausfällt? Dann, so Susanne Witzgall, fehlen nicht nur Plattformen des Informationsaustauschs, sondern auch Orte, an denen man in Tanz und Rausch Erfahrungen der Selbstentgrenzung mache.
Das Über-Sich-Hinausgehen scheint zu den Grundbedürfnissen des Menschen zu gehören. Schon die alten Römer veranstalteten ausgiebige Fressgelage oder Gladiatorenkämpfe. In der kapitalistischen Aneignung aber, sagt Susanne Witzgall, führe das Ausleben des Exzesses zu einem Paradox: Auf der einen Seite werde exzessiver Konsum auch in Form von Feierkultur von unserer Gesellschaft gefördert und gefordert, auch um Wachstum zu garantieren.
"Aber auf der anderen Seite wird exzessiver Konsum von unserer Gesellschaft auch kontrolliert und in Schranken gewiesen", so die Kunsthistorikerin. Scheitere ein Individuum daran, werde es ganz allein hierfür verantwortlich gemacht.
Der Exzess ist auch immer eine Frage der Exklusivität und der Distinktion. Bestimmte Feierevents dienten bedauerlicherweise der Ausgrenzung, findet Susanne Witzgall. "Vielleicht ist ja heute genau die Zeit, sich die Frage zu stellen, welche Formen der Feierkultur überhaupt wichtig sind und welche wir aufrechterhalten wollen", sagt sie.
(hum)
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